Jahwes Gericht über Israels Feinde und über Israel

Worte des Amos[1]

Jahwes Gericht über Israels Feinde und über Israel

(Amos I)

I So spricht Jahwe:
Ob dreier Frevel von Damask und ob vierer nehm ichs nicht zurück.
Weil sie Gilead draschen mit eisernem Schlitten[2],
schleudr ich Feuer in Hasaels Haus, zu verzehren Benhadads Paläste[3];
und fort muß Arams Volk nach Kir.

So spricht Jahwe:
Ob dreier Frevel Ammons und ob vierer nehm ichs nicht zurück.
Weil sie aufgeschlitzt die Schwangern Gileads,
Raum zu schaffen dem eignen Volke,
leg ich Feuer an Rabbas Mauer, zu verzehren seine Paläste,
beim Geschrei am Tage der Schlacht, beim Wetter am Tage des Sturms.
Sein König und seine Fürsten werden abgeführt in die Fremde.

II So spricht Jahwe:
Ob dreier Frevel Israels und ob vierer nehm ichs nicht zurück.
Denn sie verkaufen um Geld den Gerechten,
Den Armen um ein Paar Schuh;[4]
Vater und Sohn gehen zur Hure, zu entweihn meinen heiligen Namen;[5]
gepfändete Kleider breiten sie am Altare,
trinken Wein der Gebüßten im Haus ihres Gottes.
Ich hab euch geführt aus Ägyptenland,
in der Wüste geleitet vierzig Jahre;
vor euch vertilgt die Amoriten[6], riesig wie Zedern, stark wie Eichen;
Profeten erweckt ich aus euren Söhnen, Nasire aus euren Jünglingen.
Könnt ihrs leugnen, ihr Söhne Israels?
Ihr aber gabt den Nasiren Wein[7], befahlt den Profeten: Weissagt nicht!
Drum laß unter euch ich schwanken die Erde
wie der Wagen schwankt beladen mit Garben.
Da vermag der Schnellste nicht zu entrinnen,
Selbst dem Stärksten versagt die Kraft,
der Bogenschütze hält nicht stand,
der Reiter rettet sein Leben nicht,
auch der Tapferste unter den Kriegern
nackt wird er fliehn an jenem Tage.[8]

Erklärungen

[1] Von Amos, dem ersten Schriftprofeten (s. Namen- und Sacherklärungen unter „Profetismus“!) wissen wir nicht mehr, als wir dem unter seinem Namen überlieferten Büchlein entnehmen können. Danach stammte er aus Juda (VII 12) und gehörte nicht zur Zunft der Profeten, sondern verdiente sich seinen Lebensunterhalt als Rinderhirt und mit dem Ritzen von Maulbeerfeigen (VII 14), bis er den unwiderstehlichen Ruf Jahwes vernahm, dem Reiche Israel den Untergang zu verkünden (VII 15 III 8). Dieses Reich erfreute sich unter Jerobeam II. einer letzten Blütezeit, die es aber nicht der eigenen Kraft oder dem Segen Jahwes zu verdanken hatte, sondern der Schwächung des alten Erbfeindes Aram durch das Vordringen der assyrischen Weltmacht. Eben diese aber wird nach Amos Jahwes Strafgericht an Israel vollziehen. Denn für Amos ist Jahwe nicht mehr der alte Kriegsgott, der mit seinem Volke durch dick und dünn geht (Richter V 3-5.20-27.31), sondern der Gott der Gerechtigkeit, der mit gleichem Maße alle Völker mißt (I II IX 7  III 2) und sich nicht durch Wallfahrten und prächtige Opferfeste bestechen lässt, seine Augen vor dem schamlosen Treiben der Mächtigen und Reichen, besonders den Armen und Schwachen gegenüber, zu verschließen.

[2] Vgl. 2. Samuel XXIV 22!

[3] Vgl. 2. Könige XIII 22-25!

[4] Amos‘ Gott ist nicht mehr der alte Kriegsgott Jahwe, der mit seinem Volke durch dick und dünn geht (Richter V 3-5.20-27.31), sondern der Gott der Gerechtigkeit, der die Frevel Israels genau so straft wie die seiner Feinde.

[5] Sogar die religiöse Prostitution war in die Jahwetempel eingedrungen. Vgl. 5. Mose XXIII 17.18 und 2. Könige XXIII 7!

[6] Hier wie beim Elohisten Name der gesamten vorisraelischen Bevölkerung Kanaans.

[7] Zu Amos’ Zeit verpflichtete das Nasirgelübde wohl noch für das ganze Leben; vgl. Richter XIII 5 und 4. Mose VI 2-20!

[8] Amos denkt an die Assyrer, von denen einige Jahrzehnte später das Nordreich Israel vernichtet wurde.