Einleitung

6. Zensur und Künstlerprotest

Das wirksamste Mittel der preußisch-wilhelminischen »Obrigkeit«, eine künstlerische und ideologische Gegenbewegung wie den Expressionismus in das Abseits subkultureller Rander­scheinungen zu drängen, war die Institution der Zensur.[1] Mit ihren Schikanen war nach wie vor zu rechnen, obwohl der erfolgreiche Künstlerprotest gegen die sogenannte »Lex Heinze«[2] – ein Gesetz gegen Pornographie, das auf bildende Kunst und Literatur übertragen wer­den sollte – schon um die Jahrhundertwende breite Zustimmung gefunden hatte. Der 1900 ge­gründete »Goethe-Bund« trat programmgemäß für die Freiheit des geistigen Schaffens ein und unterstützte die Künstler in ihrer Opposition gegen die Polizeizensur. Schärfstens attackierte man dieses anachronistische Skandalon und inszenierte Kampagnen in der Hoffnung, daß »die Zensur mit anderem Gerümpel dahin wandern wird, wohin sie gehört, auf den Kehricht«.[3] Angeblich gegen »Schund« gerichtet, nahmen sich die Zensurbehörden künstlerische Provoka­tionen zum Ziel ihres Eingriffs, »um doch ihre einmal bezahlte Existenz zu motivieren«, wie eine Polemik im Losen Vogel besagte.[4] Auf obligate Anfrage hin konnte es geschehen – so am 11.2.1911 der Direktion des Deutschen Theaters –, daß der Berliner Polizeipräsident von Ja­gow »die Genehmigung zur öffentlichen Aufführung des Stückes Die Hose von Karl Sternheim in den Kammerspielen aus Gründen der Sittlichkeit auf Grund des § 10 II 17 A.L.R.« einfach verweigerte.[5]