Die Juden bis zum Tode des Tiberius

Die Juden bis zum Tode des Tiberius

(XVIII 2) Nachdem Quirinius das Vermögen des Archelaus verkauft und die Schätzung der übrigen Vermögen zu Ende geführt hatte, setzte er den Hohenpriester Joazar, der mit dem Volke in Streit geraten war, von Amt und Würden ab und macht Anan zum Hohenpriester.

Herodes-Antipas und Filippus aber nahmen jeder Besitz von seiner Tetrarchie. Filippus baute die an den Quellen des Jordans gelegene Stadt Paneas aus, die schon sein Vater mit einem dem Augustus geweihten Tempel geschmückt hatte, und gab ihr den Namen Cäsarea Filippi.

Unter dem Prokurator Kopenius, der wie gesagt zugleich mit Quirinius nach Judäa geschickt war, folgendes: Am Feste der ungesäuerten Brote, das wir Passah nennen, pflegten die Priester schon gleich nach Mitternacht die Tempeltore zu öffnen. Diese Gelegenheit benutzten nun einmal einige Samarier, die heimlich nach Jerusalem gekommen waren, dazu, Menschenknochen in Hallen und Vorhöfen des Tempels zu verstreuen.

Auf Augustus folgte in der Regierung Tiberius, der Sohn seiner Gattin Livia. Unter diesen waren Anan und später Josef, auch Kaiafas genannt, Hohepriester und Pontius Pilatus Prokurator.

Da Herodes der Tetrarch mit Tiberius sehr befreundet war, so gab er nach ihm einer Stadt, die er am See Gennesar baute, den Namen Tiberias. Nicht weit von ihr befinden sich heiße Quellen. Tibarias wurde mit zusammengelaufenem Volk besiedelt; darunter vielen Galiläern, auch Bettlern die man aufgegriffen hatte, wurden zwangsweise angesiedelt. Um sie an die Stadt zu fesseln, gab Herodes ihnen Wohnungen Ländereien und mancherlei Freiheiten; denn es war ihm wohl bekannt, daß das Wohnen dort gegen das Gesetz verstieß. man hatte nämlich bei der Erbauung der Stadt viele dort befindliche Grabmäler zerstört, unser Gesetz aber erklärt die Bewohner solcher Orte für unrein auf die Dauer von sieben Tagen.

(3) Als Pilatus einen Teil seines Heeres aus Cäsarea[1] nach Jerusalem in die Winterquartiere führte, ließ er, um seine Mißachtung gegen die jüdischen Gesetze an den Tag zu legen, Brustbilder des Kaisers auf den Feldzeichen in die Stadt tragen, obwohl unser Gesetz alle Bilder verbietet. Aus diesem Grunde hatten die früheren Prokuratoren die Feldzeichen stets ohne solchen Schmuck beim Einzug der Truppen vorantragen lassen. Sobald das Volk erfuhr – der Einzug war im Dunkel der Nacht geschehen –, zog es in hellen Haufen nach Cäsarea und bestürmte Pilatus, er möge die Bilder irgend wo anders hin bringen lassen. Das aber bewilligte Pilatus nicht, weil darin eine Beleidigung des Kaisers liege. Da jedoch das Volk nicht aufhörte, ihn zu drängen, bestieg er am siebten Tage eine Tribüne des Stadiums, wo er bewaffnete Soldaten versteckt hatte. Als die Juden ihn jetzt aufs neue bestürmten, gab er den Soldaten ein Zeichen, sie zu umzingeln, und drohte ihnen mit sofortiger Niedermetzelung, wenn sie nicht ruhig nach Haus gingen. Die Juden aber warfen sich zu Boden, entblößten ihren Hals und erklärten, sie wollten lieber sterben als etwas geschehen lassen, was ihrem Gesetz zuwider sei. Einer solchen Standhaftigkeit konnte Pilatus seine Bewunderung nicht versagen; er befahl daher, die Bilder sofort aus Jerusalem nach Cäsarea zurück zubringen.

Pilatus machte auch den Versuch, das Wasser einer zweihundert Stadien von Jerusalem entfernten Quelle in die Stadt zu leiten, und beschloß, dazu Tempelgelder zu verwenden. Dieser Plan mißfiel aber den Juden; und so liefen Tausende von ihnen zusammen und verlangten mit lautem Geschrei, er solle davon Abstand nehmen. Pilatus schickte deshalb eine starke Abteilung Soldaten in jüdischer Tracht mit Knüppeln unter ihren Kleidern an einen Platz, von wo aus sie die Juden leicht umzingeln konnten, und befahl diesen dann auseinanderzugehn. Als aber die Juden mit Schmährufen antworteten, gab er den Soldaten das verabredete Zeichen; und diese fielen nun über sie her, sodaß viele von ihnen umkamen, andere verwundet weggetragen werden mußten.[2]

Um diese Zeit traf auch die in Rom lebenden Juden ein Unglück. Ein Jude war aus seinem Vaterlande geflüchtet, weil er wegen einer Gesetzesübertretung Strafe befürchten mußte. Er hielt sich damals in Rom auf, gab sich für einen Erklärer des Mosaischen Gesetzes aus und verband sich mit drei anderen Männern, die in allem seinesgleichen waren. Diese vier beredeten eine vornehme Frau namens Fulvia, die das Mosaische Gesetz angenommen hatte, Purpur und Gold durch sie an den Tempel in Jerusalem zu schicken. Sie behielten es dann aber und verpraßten es. Als Tiberius dies von dem ihm befreundeten Gatten der Fulvia erfuhr, befahl er, alle Juden aus Rom zu vertreiben. Die Konsuln hoben deshalb viertausend von ihnen aus und schickten sie als Soldaten nach Sardinien. Als die meisten sich wegen ihres Gesetzes weigerten, Kriegsdienste zu leisten[3], wurden sie hart bestraft.

(4) Inzwischen hatten sich die Samarier empört, von einem Schwindler aufgewiegelt, der sie aufforderte, mit ihm den Berg Garizim zu besteigen, der bei ihnen als heilig gilt; dort werde er ihnen die heiligen Geräte zeigen, die Mose selbst dort vergraben habe. Die Samarier schenkten seinen Worten Glauben, griffen zu den Waffen und wollten in großer Zahl auf den Berg ziehen. Pilatus aber kam ihnen zuvor, griff sie mit Reiterei und Fußvolk an, hieb eine Anzahl von ihnen nieder, schlug den Rest in die Flucht und nahm viele gefangen, von denen er die Vornehmsten und Einflußreichsten hinrichten ließ. Der Hohe Rat der Samarier aber beschwerte sich wegen dieses Gemetzels beim Statthalter von Syrien, Vitellius: sie hätten sich, sagten sie, nicht versammelt, um sich gegen die Römer zu empören, sondern nur, um sich gegen die Übergriffe des Pilatus zu schützen. Darauf sandte Vitellius einen anderen Prokurator nach Judäa und befahl Pilatus, sich nach Rom zu begeben, um sich vor dem Kaiser wegen der gegen ihn erhobenen Beschwerde zu verantworten. Nach zehnjähriger Amtsführung in Judäa reiste daher Pilatus nach Rom; eh er aber dort ankam, war Tiberius gestorben.

(6) Daß Tiberius während seiner zweiundzwanzigjährigen Regierung den Juden nur zwei Prokuratoren schickte und nicht von sich aus Pilatus schon früher absetzte, erklärt sich daraus, daß er grundsätzlich die Verwaltungsstellen denen, die sie einmal bekommen hatten, beließ, und zwar aus folgendem Grunde: Der Sinn der meisten Menschen, so glaubte er, neige zur Habsucht; wenn nun jemand ein Amt nur für kurze Zeit erhalte, so sei seine Sucht zu plündern nur um so größer; wenn er aber längere Zeit im Besitz eines Amtes bleibe, so werde er, wenn er genug zusammengescharrt habe, der Erpressungen überdrüssig und höre damit auf. Hierzu führte er folgendes Beispiel an: „Ein Verwundeter lag am Boden, und eine Menge Fliegen saßen auf seinen Wunden. Ein Wanderer, der zufällig vorbeiging, hatte Mitleid mit ihm; und da er ihn für zu schwach hielt, um die Fliegen zu vertreiben, so trat er hinzu und wollte es selbst tun. Der Verwundete aber bat ihn, das zu unterlassen, und antwortete, als der andere ihn fragte, weshalb er denn nicht von seiner Plage befreit sein wolle: Du machst mir nur noch mehr Schmerzen, wenn du sie vertreibst; denn sie sind schon voll von meinem Blute und lassen schon etwas mit Quälen nach; vertreibst du sie aber und kommen dann neue, hungrige, so werden diese mich schon Erschöpften zu Tode quälen.“

(4) Zur Zeit des Passahfestes begab sich Vitellius selbst nach Jerusalem. Da die Juden ihm einen glänzenden Empfang bereiteten, gestattete er den Priestern, das Gewand des Hohenpriesters wie früher im Tempel aufzubewahren. Dieses wurde nämlich damals in der Burg Antonia aufbewahrt, und zwar aus folgendem Grund: Hyrkan, der erste der vielen Hohenpriester dieses Namens, hatte nahe dem Tempel einen Turm erbaut, wo er seine meiste Zeit zubrachte und das in seinem Gewahrsam befindliche Gewand, das nur er tragen durfte, niederlegte, sooft er in gewöhnlicher Kleidung in die Stadt ging. Dasselbe taten seine Söhne und Enkel. Als Herodes König wurde, verwahrte auch er das hohepriesterliche Gewand dort, weil er der Meinung war, das Volk werde dann nichts gegen ihn unternehmen. Ebenso wie Herodes tat auch sein Sohn und Nachfolger Archelaus. Als dann die Römer dessen Reich in Besitz nahmen, bemächtigten sie sich auch des hohepriesterlichen Gewandes, das in einer steinernen Truhe unter dem Siegel der Priester und Schatzmeister verwahrt lag mit einer Lampe davor, die der Burghauptmann täglich anzünden mußte. Sieben Tage vor jedem der drei großen Feste und vor dem Großen Versöhnungstage wurde das Gewand vom Burghauptmann den Priestern übergeben und vom Hohenpriester benutzt, am Tage nach jedem Feste aber wieder in die Truhe geschlossen, wo es zuvor gelegen. Vitellius befahl nun dem Burghauptmann, sich künftig weder um die Aufbewahrung noch um die Benutzung des Gewandes zu kümmern. Nachdem Vitellius dem Volke diese Vergünstigung gewährt und den Hohenpriester Josef-Kaiafas seines Amtes entsetzt und dieses auf Jonatan, den Sohn des Hohenpriesters Anan, übertragen hatte, kehrte er nach Antiochia zurück.

Im 20. Jahre der Regierung des Tiberius starb Filippus Herodessohn nach siebenunddreißigjähriger Herrschaft. Er war seinen Untertanen ein milder Herrscher. Wenn er auf Reisen ging, nahm er seinen Richterstuhl mit, um unterwegs überall Recht zu sprechen. Da er keine Kinder hinterließ – seine Gattin war Salome, die Tochter der Herodias –, so nahm Tiberius sein Land an sich und schlug es zur Provinz Syrien.

(5) Um diese Zeit kam es zum Kriege zwischen Herodes und dem Araberkönige Aretas von Petra. Herodes hatte nämlich eine Tochter des Aretas geheiratet; als er aber einmal auf der Reise nach Rom bei seinem Stiefbruder Herodes, dem Sohn der Hohepriestertochter Mariame, einkehrte, verliebte er sich in dessen Gattin Herodias und begehrte sie zur Ehe. Herodias willigte ein unter der Bedingung, daß er Aretas´ Tochter verstieße. Als dann Herodes-Antipas von Rom nach Hause zurückgekehrt war, verlangte seine Gattin, die von seiner Abmachung mit Herodias Kenntnis erlangt hatte, nach Machärus gebracht zu werden, einer an der Grenze der Gebiete ihres Mannes und ihres Vaters gelegenen Festung, die damals ihrem Vater unterstand. Dort angekommen, reiste sie sofort zu ihrem Vater weiter. In dem Kriege, der nun zwischen diesem und ihrem Manne ausbrach, wurde Herodes’ Heer völlig aufgerieben; doch kam der Krieg durch Eingreifen der Römer bald zum Stillstand.

Manche Juden waren übrigens der Ansicht, der Untergang des Heeres des Herodes sei nur dem Zorne Gottes zuzuschreiben, der für die Tötung Johannes des Täufers gerechte Strafe gefordert habe. Herodes hatte nämlich Johannes hinrichten lassen, obwohl dieser ein edler Mann war, der die Juden anhielt, nach Vollkommenheit zu streben, Gerechtigkeit gegen einander und Frömmigkeit gegen Gott zu üben und so zur Taufe zu kommen. Dann werde, verkündete er, die Taufe Gott angenehm sein, weil sie nur zur Weihe des Leibes, nicht aber zur Abbitte von Sünden angewendet würde; die Seele sei ja schon vorher durch gerechtes Leben gereinigt. Da nun infolge der Anziehungskraft solcher Lehren große Scharen bei Johannes zusammenströmten, so fürchtete Herodes, das Ansehen dieses Mannes könnte das Volk zum Aufruhr treiben, und hielt es daher für besser, ihn rechtzeitig auf dem Wege zu räumen als, wenn es zu spät sei, Reue empfinden zu müssen. Er ließ also auf diesen Verdacht hin Johannes in Ketten legen, nach der Festung Machärus bringen und dort hinrichten.

(6) Agrippa, durch seinen Vater Aristobul Enkel Herodes des Großen und der Makkabäerin Mariame, wurde nach dem Tode seiner Mutter, die mit Antonia, der Gattin des älteren Drusus, befreundet war, ein übler Verschwender und Schuldenmacher. Als er nicht mehr aus noch ein wußte, flüchtete er zum Kaiser Tiberius nach Kapri und wurde hier, von Antonia begünstigt, Prinzenerzieher. Nach des Kaisers Willen sollte er vor allem dessen Enkel betreuen, aus Dankbarkeit gegen Antonia aber widmete er seine ganze Sorgfalt vielmehr deren Enkel Gajus. Als er eines Tages mit diesem im Wagen ausfuhr, kam die Rede auf den Kaiser. Da sprach Agrippa den Wunsch aus, der Kaiser möge recht bald dem des Thrones würdigeren Gajus Platz machen. Das hörte Agrippas Freigelassener Eutychus, der den Wagen lenkte, schwieg aber einstweilen dazu. Doch als Agrippa später Eutychus beschuldigte, ihm einen Mantel gestohlen zu haben, was auch der Fall war, und Eutychus vor den Stadtpräfekten geführt wurde, erklärte er, er habe dem Kaiser ein Geheimnis zu melden, das seine Sicherheit betreffe. Der Präfekt schickte ihn deshalb nach Kapri, wo Tiberius ihn in Fesseln legen ließ, ohne ihn zu verhören. Tiberius verhörte nämlich die Gefangenen immer erst spät, damit sie nicht, wie er sagte, durch schnelle Hinrichtung von ihrer Haft befreit würden, was sie als Verbrecher gar nicht verdient hätten. Als nun auf Drängen Agrippas Eutychus schließlich doch vernommen wurde, sagte er: „Gajus und Agrippa fuhren einmal im Wagen, und ich saß zu ihren Füßen. Da sprach Agrippa zu Gajus: Käme doch endlich der Tag, an dem der Alte das Zeitliche segnete und dich zum Herrscher des Erdkreises machte! Seinen Enkel kannst du ja leicht aus dem Wege räumen. Dann käme die Welt und besonders ich in eine glückliche Lage.“ Tiberius hielt diese Aussage für glaubwürdig und gab deshalb Agrippa in Fesseln legen. So wie er war, im Purpurmantel, wurde er abgeführt; das einzige, was seine Gönnerin Antonia für ihn tun konnte, war, daß sie ihm ohne Wissen des Kaisers einige Hafterleichterungen verschaffte. Als aber Tiberius starb, nachdem er auf Grund eines Vorzeichens gegen seine persönliche Neigung Gajus zu seinem Nachfolger ernannt hatte, gab dieser Agrippa nicht nur die Freiheit zurück, sondern ernannte ihn auch zum Könige über die Tetrarchie, die Filippus gehabt hatte; auch schenkte er ihm für die eiserne Kette, die er bislang getragen, eine goldene von gleichem Gewicht.

Erklärungen

[1] Cäsarea und nicht Jerusalem war die Residenz des römischen Prokurators. Nach Jerusalem ging dieser nur aus besonderem Anlaß, z. B. zur Zeit der großen jüdischen Feste, weil dann unter den zusammengeströmten Massen leicht Unruhen ausbrachen.

[2] Hier folgt eine Erwähnung und Würdigung Jesu von Nazaret. Sie kann aber nicht von Josefus stammen, sondern muß von christlicher Seite eingeschoben sein; denn in ihr wird Jesus als Wundertäter, Lehrer der Wahrheit und Messiasgefeiert, der durch seine Auferstehung am dritten Tage nach der Kreuzigung die Weissagungen der Profeten erfüllte. Es kann nur die Frage sein, ob dieser Einschub eine andere Äußerung des Josefus über Jesus verdrängt hat (vgl. Josefus’ Äußerung über Johannes den Täufer in XVIII 5 !) oder ob Josefus es absichtlich vermieden hat, Jesus zu erwähnen, etwa um nicht seine Leser noch besonders darauf aufmerksam zu machen, daß der Urheber der bei den Römern verachteten und verhassten Christengemeinschaft ein Jude war.

[3] Vgl. XIV 10 in Kapitel „Befreiung der Juden vom Kriegsdienst“!