Johannes der Täufer

JESUS VON NAZARET[1]

(Das Evangelium nach Markus Matthäus und Lukas)

Johannes der Täufer

(Mk I 4) Johannes der Täufer trat auf in der Wüste und rief zu Buße und Taufe zur Vergebung der Sünden.[2] (5) Da zog zu ihm hinaus das ganze jüdische Land und alle Jerusalemer, bekannten ihre Sünden und ließen sich von ihm taufen im Jordan[3]. (6) Johannes trug ein Hemd aus Kamelhaar und einen ledernen Gürtel um seine Hüften[4] und nährte sich von Heuschrecken und wildem Honig.

(Mt III 7) Als er nun viele zu seiner Taufe kommen sah, sprach er zu ihnen: „Ihr Schlangenbrut, wie könnt ihr hoffen, dem kommenden Zorn zu entrinnen? (8) Bringt Frucht, die wahrer Buße entspricht, (9) und laßt euch nicht einfallen zu denken: Wir haben Abraham zum Vater! Ich sage euch: Gott kann aus diesen Steinen Abraham Kinder erwecken. (10) Schon ist die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt; jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen. (11) Ich taufe euch mit Wasser zur Buße; es kommt aber ein Stärkerer als ich nach mir, dem ich nicht wert bin, die Schuhe zu tragen. Der wird euch mit Feuer[5] taufen. (12) Er hat die Wurfschaufel[6] schon in der Hand und wird seine Tenne säubern: den Weizen in die Scheune sammeln, die Spreu aber verbrennen mit Feuer, das nie erlischt.“

Erklärungen

[1] „Niemand ist mehr in der Lage, ein Leben Jesu zu schreiben. Das ist das heute kaum noch bestrittene, überraschende Ergebnis einer Forschung, die fast zweihundert Jahre lang eine außerordentliche und keineswegs fruchtlose Mühe darauf verwandte, das Leben des historischen Jesus, befreit von aller „Übermalung“ durch Dogma und Lehre, wiederzugewinnen und darzustellen. Am Ende dieser Leben-Jesu-Forschung steht die Erkenntnis ihres eigenen Scheiterns. Albert Schweitzer hat ihr in seinem klassischen Werke „Die Geschichte der Leben-Jesu-Forschung“ ein Denkmal gesetzt, aber zugleich die Grabrede gehalten.“ (Günther Bernemann, Jesus von Nazareth. 1956) Diese Tatsache erklärt sich aus der  Unzulänglichkeit der Quellen. Abgesehen 1) von der kurzen Angabe des römischen Geschichtsschreibers Tacitus aus dem Anfang des 2. Jhs., dass der Name der Christen von Christus stamme, der in Judäa unter Kaiser Tiberius durch den Prokurator Pontius Pilatus hingerichtet sei: 2) von der kurzen Angabe des jüdischen  Geschichtsschreibers Josefus über Jakobus, „den Bruder des Jesus der Christus genannt wird“ und 3) von einer Angabe des Talmuds über die uneheliche Herkunft Jesu u. ä. haben wir nur christliche Quellen, u. zw., da Paulus kein Interesse für Jesu Erdenleben zeigt, nur die vier Evangelisten. Von diesen scheidet aber das Johannesevangelium als Quelle für das Leben Jesu fast völlig aus, da es die Überlieferung über Jesus, wie der Vergleich mit den drei anderen Evangelien zeigt, ganz frei und eigenmächtig umgestaltet hat, sodaß Jesus keine menschlichen Züge mehr trägt und als Gottes Profet in lebensvollen Sprüchen und Gleichnissen das nahende Gottesreich verkündet, sondern in langen, feierlichen Reden viel von sich selbst spricht als dem vom Himmel herabgekommenen Sohn Gottes, der, mit dem Vater völlig eines, am jüngsten Tage jeden, der an ihn glaubt, auferwecken und zu sich in die himmlische Heimstatt führen wird. Auch die drei anderen Evangelien, die man wegen ihrer weitgehenden Übereinstimmungen die Synoptiker nennt, sind nicht mit der Absicht geschrieben, die Überlieferung über Jesus, die sie vorfanden, nach der Weise eines heutigen Geschichtsforschers kritisch zu sichten, um zu erkennen, wie alles wirklich gewesen; sondern es gilt auch für sie das Wort des Johannesevangelium XX 31: „Das ist geschrieben, damit ihr glaubt, daß Jesus der Messias, der Sohn Gottes ist, und damit ihr durch den Glauben Leben habt in seinem Namen.“ Aber die Synoptiker zeigen doch unter dieser Übermalung so viele menschliche Züge Jesu, so viele lebensvolle Begebenheiten aus seinem Leben und ein so sehr der Wirklichkeit entsprechendes Bild seiner Umwelt, daß wir daraus wenigstens eine ungefähre Vorstellung, zwar nicht von seinem ganzen Leben, wohl aber von der kurzen seines öffentlichen Auftretens und von seinen Hauptgedanken und der Art ihrer Verkündigung gewinnen können. Abweichend von den Gepflogenheiten unseres heutigen Buchwesens nennt in keinem der Evangelien der Verfasser seinen Namen oder Ort und Zeit der Veröffentlichung. Kirchliche Überlieferung des 2. Jhs. Schreibt das 1. Evangelium dem Apostel Matthäus (Mt) zu, der dieses oder wenigstens die Worte Jesu hebräisch, d. i. aramäisch, niedergeschrieben habe, „es dolmetschte sie aber jeder, so gut er konnte, das 2. Evangelium Markus (Mk), den Dolmetscher des Petrus, das 3. Lukas (Lk) dem Arzt, dem Begleiter des Paulus. Ob man aber dieser Überlieferung Glauben schenken darf, darüber kann nur eine Prüfung der Evangelien selbst entscheiden. Eine solche Prüfung ergibt:

1) Während Jesus mit seinen Jüngern aramäisch gesprochen hat, sind alle vier Evangelisten von vorn herein griechisch geschrieben. 2) Mt und Lk haben jeder fast das ganze Mk-Evangelium übernommen.

3) Mt und Lk haben jeder große Teile einer nicht mehr vorhandenen Sammlung von Sprüchen und Gleichnissen Jesu ??? übernommen.

4) Darüber hinaus haben Mt und Lk jeder für sich noch besonderes Gut ???, wovon einiges aus ??? stammen wird.

5) Das Mk-Evangelium und die ????-stücke in Mt und Lk verraten auf Schritt und Tritt eine aramäische Vorlage. Es hat also offenbar schon vor den Synoptikern in der Urgemeinde Jerusalem eine Sammlung von Jesusgeschichten und von Sprüchen und Gleichnissen  Jesu in aramäischer Sprache gegeben. Mt und Lk haben aber, wie ihre vielen und auffälligen Übereinstimmungen im griechischen Ausdruck zeigen, nicht die aramäischen Urtexte, sondern das griechische Mk-Evangelium und die gleiche griechische Übersetzung von ???? benutzt.

6) in Q ist Jesus weit mehr als bei Mk ein übermenschliches Wesen.

7) Der Wert von S als Geschichtsquelle ist oft sehr gering.

8) Außer dem, was sich so aus dem Vergleich der synoptischen Evangelien mit einander ergibt, wirft auch das Vorwort zum Lk-evangelium etwas Licht auf ihre Entstehung; es lautet: „Da schon viele es unternommen haben, eine Erzählung der Ereignisse zu verfassen, die sich bei uns vollzogen haben, wie sie uns die überliefert haben, die von Anfang an Augenzeugen und Diener der Verkündigung gewesen sind, so habe auch ich mich entschlossen, nachdem ich allem von vorn an genau nachgegangen bin, es der Reihe nach für dich, hochzuverehrender Theofilus, aufzuschreiben, damit du die Zuverlässigkeit der Lehren erkennst, in denen du unterrichtet bist. Von dem Verfasser des 3. Evangeliums stammt auch die Apostelgeschichte (Apg.), wie aus deren Vorwort hervorgeht, das lautet: „In meinem ersten Buche, Theofilius, habe ich über alles berichtet, was Jesus tat und lehrte, bis zu dem Tage, wo er den Aposteln, die er erwählt hatte, seine letzten Befehle gab und emporgehoben wurde. Das 3. Evangelium und die Apg sind also ein zusammenhängendes Geschichtswerk. Nun finden sich im zweiten Teil der Apg viele Stücke, in denen ein Augenzeuge mit „wir“ berichtet, der den Apostel Paulus von Troas nach Filippi, dann von Filippi nach Jerusalem und schließlich von Cäsarea nach Rom begleitet hat. Es ist anzunehmen, dass der Verfasser des „Wir-Berichte“ kein andrer gewesen ist als der Verfasser der ganzen Apg und somit auch das 3. Evangelium. Es ist auch durchaus möglich, ja wahrscheinlich, dass dieser, wie die kirchliche Überlieferung sagt, Lk gewesen ist, den Paulus in Filemonbrief 24 als seinen Mitarbeiter, in Kolosserbrief IV 24 als den geliebten Arzt erwähnt. Dieser hatte in den zwei Jahren, während derer Paulus in Cäsarea gefangen lag, die beste Gelegenheit und Muße, „allem von vorn an genau nachzugehn“, was schon „viele“ andre über Jesus berichtet hatten.

Besonders im Hause des Evangelisten Filippus, dessen Gastfreundschaft er nach Apg XXI 8.9 genoß, wird Lk damals viel von seinem Sondergut erhalten haben. Vgl. auch die Erklärungen vor Lk I.II.

9) Lk hat aber nicht nur den von Mk überlieferten Stoff aus andrer Überlieferung vermehrt, sondern ist auch von Mk oft abgewichen. Diese Abweichungen bestehen in vielen Fällen nur aus einer Änderung der Reihenfolge oder der stilistischen Form der Geschichten. Doch auch vor inhaltlichen Änderungen ist Lk nicht zurückgeschreckt. Dafür zwei Beispiele:

a) Die Geschichte von der Berufung der ersten vier Jünger, die Mk I 16-20 und ganz ähnlich Mt IV 16-22 bringt, gibt Lk V 1-11 folgendermaßen: „(1) Es begab sich aber, als die Menge ihn bedrängte und das Wort Gottes hörte, während er am See Gennesaret stand, (2) sah er zwei Botte am See stehn die Fischer aber waren ausgestiegen und wuschen ihre Netze. (3) Da stieg er in eines der Boote, das Simon gehörte und bat ihn, ein wenig vom Lande hinauszufahren. Dann setzte er sich und lehrte vom Boot aus die Menge. (4) Als er seine Rede beendet hatte, sagte er zu Simon: „Fahr hinaus auf die Höhe und werft eure Netze zum Fang aus!“ (5) Simon erwiderte: Herr, die ganze Nacht haben wir uns geplagt und nichts gefangen aber auf dein Wort hin will ich die Netze auswerfen.“ (6) Als sie das taten, fingen sie eine große Menge Fische, und ihre Netze zerrissen. (7) Da winkten sie ihren Genossen in dem anderen Boote, sie sollten kommen und ihnen helfen. Die kamen und sie füllten beide Boote zum Sinken voll. (8) Als Simon Petrus das sah, fiel er Jesus zu Füßen und sagte: „Geh weg von mir! Ich bin ein Sünder, Herr.“ (9) Denn Staunen hatte ihn ergriffen und alle, die bei ihm waren, über den Fang, den sie gemacht hatten, (10) auch Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, die Simons Teilhaber waren. Jesus aber sprach zu Simon: „Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fangen.“ (11) Da fuhren sie ihre Boote wieder ans Land, verließen alles und folgten ihm nach. Man sieht, dass Lk die dürftige Doppelerzählung des Mk zu einer einzigen zusammenzieht, indem er Andreas ganz streicht, Jakobus aber und Johannes zu Teilhabern des Petrus macht, und dass er die Erzählung anreichert durch Jesu Lehren vom Boote aus (was er aus Mk IV 1 herübernimmt) und durch die Geschichte vom wunderbaren Fischfang (die bei Mk und Mt fehlt und die Johannes, stark abweichend, passender erst nach der Auferstehung Jesu in XXI bringt): durch die Geschichte vom wunderbaren Fischfang will Lk zugleich die Nachfolge der Jünger erklären, während Mk sich mit der Angabe der Tatsache begnügt. Der Wunsch nach besserer literarischer Wirkung und nach psychologischer Vertiefung hat also Lk in diesem Fall veranlasst, seine Vorlage so stark zu ändern.

b) Völlig umgestaltet hat Lk das Auftreten Jesu in Nazaret, das Mk erst VI 1 (kurz vor der Aussendung der zwölf Apostel) bringt. Lk setzt es (IV 16 ff.) an den Anfang des öffentlichen Auftretens Jesu, noch vor die Berufung der ersten Jünger, und lässt Jesus in einer Art Antrittspredigt sich offen als Messias bezeichnen, während er dies noch Mk erst XIV 62 tut, vom Hohenpriester gedrängt, vorher aber stets bemüht ist, das Geheimnis seiner Berufung zum Messias zu wahren (VIII 30).

10) Während nach Mk und Mt Jesuws nach seiner Kreuzigung seinen Jüngern nur in Galiläa erschien,  ist er nach Lk (Evangelium und Apg) ihnen nur in und bei Jerusalem erschienen, und haben sich die Jünger zwischen Passah und Pfingsten überhaupt nicht von Jerusalem entfernt. Dies wird keine freie Erfindung des Lk sein, sondern er wird hier einfach die Tradition der Urgemeinde Jerusalem wiedergeben, die hier um das Jahr 60, als Lk sich hier aufhielt, die galiläische Tradition des Mk und Mt verdrängt hatte.

Nach dem Gesagten kann man sich die Entstehung der drei ersten Evangelien etwa so vorstellen: Jesus hat nichts Schriftliches hinterlassen; doch wird er seinen Jüngern nach der Lehrweise jener Zeit eine große Zahl von Sprüchen und Gleichnissen als Kern seiner Lehre mündlich eingeprägt haben. Nach seiner Kreuzigung sehen wir die Apostel in erster Linie bemüht, ihren Volksgenossen zu beweisen, dass Gott Jesus aus dem Grabe erweckt, ihn zu seiner Rechten erhöht und zum Herrn und Messias gemacht habe, damit er in Kürze wiederkäme, um Gericht zu halten und das Reich Gottes aufzurichten. Vgl. Apg II 22-38.40 IV 33 V 29-32 VI 6 – VII 56 ! Daneben werden sie aber auch bald bemüht gewesen sein, die Kenntnisse der Sprüche und Gleichnisse Jesu lebendig zu erhalten und, als immer mehr Männer und Frauen sich ihnen anschlossen, die Jesus nicht persönlich kennen gelernt hatten, diesen auch aus dem Leben Jesu zu erzählen.  Hauptgewährsmann scheint Petrus gewesen zu sein. Wenn auch die Sprüche (oder Spruchgruppen wie Mt VI 1-6.16-18) Gleichnisse und Erzählungen ursprünglich einzeln geformt eingeprägt und verbreitet wurden, so werden doch schon früh der eine oder andere Apostel und besonders die Lehrer der Gemeinden sich schriftliche Sammlungen angelegt haben, aus denen schon in der Urgemeinde Jerusalem eine Art Ur-Mk und Ur-Q in arasäischer Sprache entstanden sein wird. Wo griechisch sprechende Juden oder Heiden in größerer Zahl sich den Christen anschlossen (so zu Antiochis in Syrien: vgl. Apg XI 19-26) werden alsbald griechische Übersetzungen entstanden sein. Lange Zeit blieb diese mündlich-schriftliche Überlieferung in Fluß und erfuhr manchen Zuwachs durch fremden Stoff und manche Umgestaltung entsprechend der dogmatischen und sonstigen Entwicklung des Christentums, bis sie schließlich in den synoptischen Evangelien erstarrte. Bezüglich des Mk-Evangeliums schließe ich mich der kirchlichen Überlieferung an, dass der Jerusalemer Johannes Markus (Apg III 12), der Vetter des Barnabas, (Kolosser IV 10), der diesen und Paulus auf ihrer 1. Missionsreise bis Perge begleitete (Apg XIII 5.13  XV 36-41), nach kirchlicher Überlieferung aber später Begleiter und Dolmetscher des Petrus war, das 2. Evangelium verfasst hat. Es war für Heidenchristen bestimmt und ist wohl gleich nach der Neronischen Verfolgung und noch vor der Belagerung Jerusalems erschienen. Dagegen ist das Mt-Evangelium erst nach der Zerstörung Jerusalems von einem des Alten Testaments wohl kundigen Judenchristen für Judenchristen (daher die vielen „Schriftbeweise“) geschrieben. Lk hat nach dem über ihn bereits Gesagten mindestens die Sammlung seines Sonderguts (S) um das Jahr 60 in Judäa abgeschlossen Sein Evangelium selbst ist erst nach der Zerstörung Jerusalems, spätestens gegen Ende des 1. Jhg. Erschienen. Vgl. auch Einleitung zur Apg!

Was ich unter Mk bringe, findet sich meist auch, mehr oder weniger verändert, in Mt und Lk. Was ich unter Mt bringe, stamm meist aus Q und findet sich dann meist, mehr oder weniger verändert, auch in Lk. Was Sondergut (S) des Mt ist, kann man aus der Übersicht über meine Textauswahl (am Ende meines Buches) ersehen. Was ich unter Lk bringe, ist immer sein Sondergut (S).

[2] Nach Lk III 1 im 15. Jahre des Kaisers Tiberius (-28/29 n. Chr.).

[3] Zur Taufe gehörte fließendes Wasser; darin tauchte der Täufling unter.

[4] Wie Elia (2. Könige I 8), dessen Wiederkunft man erwartete (Maleachi IV 5 Mt XVII 10) und für den Jesus Johannes den Täufer hielt (Mt XI 14)

[5] Mt und Lk: „mit heiligem Geiste und Feuer”. Johannes wird nur „mit Feuer“ gesagt und damit das Feuer des bevorstehenden Gerichts (Mt III 12) gemeint haben. Denn die in Verbindung mit der Taufe auftretenden ekstatischen Erscheinungen (z.B. Zungenreden), die als Wirkungen des heiligen Geistes galten, waren erst ein späteres, christliches Erlebnis. Vgl. Apg II 3.4   XIX 1-7!

[6] Schaufel, mit der der Bauer das gedroschene Getreide in die Höhe warf, damit der Wind die Körner von der Spreu sonderte.