Belagerung Jerusalems bis zur Eroberung der Neustadt und der Vorstadt

Belagerung Jerusalems bis zur Eroberung der Neustadt und der Vorstadt

(Josefus’ Krieg V) Unterdessen war Titus von Cäsarea gegen Jerusalem mit vier Legionen und den Hilfstruppen der Verbündeten aufgebrochen. Oberbefehlshaber sämtlicher Heeresteile und Berater des Titus war Tiberius Alexander[1], der frühere Statthalter von Ägypten. (2) Die Spitze des Zuges bildeten die Hilfstruppen; ihnen folgten die Straßenbauer und Lagerabstecker, das Gepäck der Offiziere und hinter diesem der Feldherr selbst inmitten von Lanzenträgern; dann die Reiterei, vor dem Kriegsgerät herreitend; dahinter die Tribunen und die Führer der Manipel, die Feldzeichen und schließlich die Hauptmasse des Heeres in Sechserreihen, zuletzt die Söldner samt der sie überwachenden Nachhut. So erreichten sie die nördlich von Jerusalem sich erstreckende Hochebene, die den Namen Skopós[2] trägt, von der aus sie die Stadt mit dem glänzenden Riesenbau des Tempels erblickten. Hier ließ Titus sieben Stadien von der Stadt entfernt für die XII. und XV. Legion ein gemeinsames und drei Stadien weiter rückwärts für die V. ein besonderes Lager aufschlagen; die X. Legion erhielt Befehl, sechs Stadien von Jerusalem entfernt auf dem sogenannten Ölberg sich zu lagern.

Den unablässigen Kämpfen der Parteien in Jerusalem machte das Erscheinen der Römer für kurze Zeit ein Ende. Man entschloß sich zu einem sofortigen Ausfall gegen die mit Schanzarbeiten beschäftigte X. Legion. Diese wurde völlig überrascht und erlitt schwere Verluste, da sie wegen der Arbeit die Waffen abgelegt hatte. Die ganze Legion schien verloren zu sein; doch gelang es Titus, die Juden durch einen Flankenangriff zurückzudrängen.

(3) Als aber der Krieg nach außen für kurze Zeit ruhte, erwachte der Parteihader im Inneren aufs neue. Das Fest der Ungesäuerten Brote stand vor der Tür; daher öffneten Eleazars Anhänger ein wenig die Tore und ließen die, die Gott anbeten wollten, in den Tempel ein. Johannes aber mißbrauchte dies und schickte einige seiner Leute, die weniger bekannt waren, mit versteckten Waffen in den Tempel, um sich dessen zu bemächtigen. Kaum waren sie drinnen, als sie ihre Mäntel abwarfen und sich in voller Rüstung zeigten. Alsbald entstand im Tempel die größte Verwirrung: Die Zeloten sprangen, ohne sich weiter um die Bewachung der Tore weiter zu kümmern oder Widerstand zu leisten, von den Zinnen hinab und flüchteten in die unterirdischen Gänge; das Volk aber, das sich zitternd um Altar und Tempel drängte, ward niedergetreten und mit Knüppeln und Schwertern erschlagen. Eine Menge ruhiger Bürger fiel bei dieser Gelegenheit der Rachsucht ihrer Feinde zum Opfer: wer früher einmal einen der Aufrührer vor den Kopf gestoßen hatte, galt jetzt, wenn sein Feind ihn erkannte, als Zelot und wurde zur Hinrichtung abgeführt. So war Johannes in den Besitz des inneren Tempels und all seiner Vorräte gelangt und konnte nun dem Kampf mit Simon Giorassohn um so zuversichtlicher entgegensehen. Fortan gab es nur noch zwei Parteien unter den Aufständischen.

Unterdessen hatte Titus sich entschlossen, näher an die Stadt heranzurücken. Zu diesem Zweck ließ er zunächst den ganzen Zwischenraum bis zur Mauer einebnen. Alle Zäune und sonstigen Einfriedigungen, mit denen die Bewohner Jerusalems ihre Gemüse- und Obstgärten umgeben hatten, wurden beseitigt, alle Fruchtbäume abgehauen, Felsbuckel mittels eiserner Werkzeuge abgetragen und Vertiefungen und Spalten ausgefüllt. Als nach vier Tagen die ganze Fläche geebnet war, zog Titus mit den drei Legionen und ihrem ganzen Troß an die Nordwestecke der Stadt und bezog selbst zwei Stadien vor der Mauer gegenüber dem Psefinusturm[3] ein Lager, während der Rest seines Heeres – abgesehen von der X. Legion, die auf dem Ölberge blieb –, ebenfalls zwei Stadien von der Mauer entfernt, beim Hippikusturm ein Lager bezog.

(4) Drei Mauern bildeten den Festungsgürtel der Stadt, soweit nicht steile Hänge sie umgaben, an solchen Stellen hatte sie nur eine Ringmauer.

Die Altstadt war auf zwei einander gegenüberliegenden Hügeln erbaut. Von diesen war der, der die Oberstadt trug, viel höher; wegen seiner Festigkeit wurde er von König Dawid die Burg genannt, bei uns hieß er der Obere Markt. Der andere Hügel, Akra genannt, trug die Unterstadt. Ihm gegenüber lag ein dritter Hügel, ursprünglich niedriger als die Akra und von ihr durch ein breites Tal getrennt; später aber füllten die Hasmonäer das Tal aus, um die Stadt mit dem Tempel zu verbinden, und trugen die Kuppe der Akra ab, damit der Tempel auch sie überragte. Das Tal, das den Hügel der Oberstadt von dem der Unterstadt trennt und Tyropoion, d. i. Käsemachertal, heißt, erstreckt sich bis zum Siloah hinab; so nannten wir die starke Süßwasserquelle. Außen waren die beiden Hügel der Stadt von tiefen Tälern umgeben, und konnte man wegen der beiderseitigen steilen Abhänge nirgend herankommen.

Die älteste der drei Mauern war aber nicht nur wegen dieser Steilhänge schwer zu nehmen, sondern Dawid Salomo und die Könige nach ihnen hatten sie auch ganz besonders stark gebaut. Im Norden lief sie vom Hippikusturm bis zur westlichen Halle des Tempels, im Westen von demselben Turm zum Essenertor, dann ostwärts zur Siloahquelle und endlich nordwärts bis zur östlichen Halle des Tempels.

Die zweite Mauer begann an der Nordseite der ersten und zog sich im Bogen um die Vorstadt herum bis zur Burg Antonia.

Die dritte lief vom Hippikusturm nördlich zum Psefinusturm, von da östlich zum Eckturm und schließlich südlich bis zur Verbindung mit der ersten Mauer westlich vom Kidrontal. Diese dritte Mauer hatte König Agrippa I. um die Neustadt Bezeta zu ziehen begonnen, die sich infolge Anwachsens der Bevölkerung allmählich gebildet hatte und die noch ganz schutzlos war. Er hatte aber aufgehört zu bauen, als er kaum die Fundamente gelegt hatte, weil er fürchtete, die Größe des Werkes könnte ihn beim Kaiser Klaudius in den Verdacht bringen, daß er eine Empörung plane. Hätte er die Mauer wie sie begonnen war vollendet, so würde die Stadt wohl uneinnehmbar geworden sein; denn die Mauer war aus zwanzig Ellen langen und zehn Ellen breiten Steinblöcken zusammengefügt, die man mit eisernen Werkzeugen nicht so leicht hätte untergraben oder mit Belagerungsgeräten erschüttern können. Sie war zehn Ellen breit und wurde später von den Juden in aller Eile auf eine Höhe von zwanzig Ellen gebracht, wozu noch Brustwehren und Zinnen kamen. Die erste Mauer war durch sechzig, die zweite durch vierzehn, die dritte durch neunzig Türme verstärkt. Der Umfang der ganzen Stadt betrug dreiunddreißig Stadien.[4]

War nun die dritte Mauer an sich schon bewundernswert, so erst recht der an ihrer Nordwestecke stehende Psefinusturm, in dessen Nähe Titus lagerte. Zu einer Höhe von siebzig Ellen aufragend, gewährte er bei Sonnenaufgang eine Fernsicht bis nach Arabien und bis zum Meere. Er war achteckig.

Zum Teil noch gewaltiger waren die drei Türme, die Herodes I. an der Nordseite seines Palastes, der die Nordwestecke der Oberstadt einnahm, erbaut und nach den drei Menschen benannt hatte die ihm die liebsten waren: seinem Bruder Fasael, seinem Freunde Hippikus und seiner Gattin Mariame. Den Unterbau des Fasaelturmes[5] z.B. bildete ein massiver Würfel mit vierzig Ellen langen Kanten, auf dem eine zehn Ellen hohe Halle herumlief, über der sich ein weiterer Turm erhob, der in Prunkgemächer aufgeteilt und sogar mit einem Bad versehen war. Die Gesamthöhe des Fasaelturmes betrug an neunzig Ellen. An Gestalt glich er dem Leuchtturm auf der Farusinsel vor Alexandria, übertraf diesen aber bedeutend an Umfang. Damals mußte er dem Tyrannen Simon als Zwingburg dienen. All diese Türme waren nicht aus gewöhnlichen Steinen erbaut, sondern aus Blöcken weißen Marmors, deren jeder zwanzig Ellen lang, zehn breit und fünf hoch war und die so glatt behauen waren, daß man nirgend eine Fuge sah.

An die Türme schloß sich die Hofburg des Königs, deren prunkvolle Ausstattung jeder Beschreibung spottete. Von einer dreißig Ellen hohen Außenmauer umgeben, enthielt sie riesige Speisesäle mit Ruhepolstern für hunderte von Gästen; ohnegleichen die Mannigfaltigkeit der seltenen, aus aller Herren Ländern herbeigeholten Steine; die Decken der Säle nach Länge der Balken und Pracht der Verzierungen wahre Wunderwerke; eine Menge Zimmer verschiedener Gestalt und Ausstattung, das meiste davon aus Silber und Gold; viele Hallen ringsum, jede mit einer andern Art von Säulen; die unter freiem Himmel liegenden Teile des Palastes überall in frischem Grün prangend; vielgestaltige Parkanlagen mit Wassergräben und Teichen voll bronzener Kunstwerke aus denen Wasser sprang, an den Teichen eine Menge Türmchen für zahme Tauben. Dieser herrliche Palast wurde gleich zu Beginn des Aufstandes von den Aufständischen durch Feuer zerstört.

(5) Der Tempel war auf dem Rücken eines mächtigen Hügels erbaut. Anfangs hatte dessen Gipfelfläche kaum für das Tempelgebäude und den Altar gereicht, da der Hügel nach allen Seiten abfiel. Nachdem aber König Salomo, der erste Erbauer des Tempels, die Fläche nach Osten mit Hilfe einer Stützmauer erweitert hatte, wurde auf dem Erdaufwurf eine Säulenhalle, damals die einzige, errichtet; an den übrigen Seiten dagegen stand der Tempel noch frei. In den folgenden Jahrhunderten verbreiterte man durch Anschüttungen die ebene Fläche des Hügels immer mehr und umgab sie ringsum mit einer dreihundert Ellen hohen Stützmauer, für die man Quadern von vierzig Ellen Länge verwendete.

Würdig solcher Fundamente waren auch die auf ihnen errichteten Bauten. Sämtliche Hallen waren doppelt und hatten fünfundzwanzig Ellen hohe Säulen aus einem Stück und von weißestem Marmor, die eine Kassettendecke aus Zedernholz trugen. Die Tiefe der Hallen betrug dreißig Ellen und ihre gesamte Länge, die Burg Antonia mit eingerechnet, sechs Stadien. Der äußere Vorhof war kunstvoll mit verschiedenen Steinen gepflastert. Überquerte man ihn, so kam man zu dem zweiten, dem heiligen Vorhof, den eine drei Ellen hohe steinerne Schranke umschloß. In dieser waren in gleichen Abständen Tafeln eingefügt, die teils in griechischer, teils in römischer Sprache besagten, daß kein Fremdstämmiger den heiligen Bezirk betreten dürfe. [6]

Auf vierzehn Stufen stieg man zu einer zehn Ellen breiten Terrasse empor, die sich vor einer hohen Mauer hinzog. Von der Terrasse führten fünfstufige Treppen zu den je vier Toren der südlichen und der nördlichen Mauerseite, je drei von diesen zu den Vorhöfen der Männer und der Priester und je eins in den Vorhof der Frauen, in den auch ein Tor von Osten führte. Diese neun Tore waren einschließlich Pfosten und Stürze über und über mit Gold und Silber bekleidet. Ein zehntes, vom Vorhof der Frauen zum Vorhof der Männer führendes Tor war bedeutend größer und trug auch viel reicheren Schmuck. Doch durften die Frauen die Umfriedigung ihres Vorhofs nicht überschreiten.

Zum Tempel, der inmitten des inneren Vorhofs stand, stieg man auf zwölf Stufen hinan. Die Front des Gebäudes war gleich hoch und breit, nämlich hundert Ellen; der hintere Teil des Gebäudes aber um vierzig Ellen schmaler, da der Vorbau rechts und links flügelförmig zwanzig Ellen weit darüber hinausragte. Das vordere, besonders reich verzierte Tor des Tempels, siebzig Ellen hoch und fünfundzwanzig breit, hatte keine Türflügel.

Das Innere zerfiel in zwei Teile: Die neunzig Ellen hohe, fünfzig Ellen breite und zwanzig Ellen tiefe Vorhalle und, durch einen Vorhang davon getrennt, einen zweiten, sechzig Ellen hohen, ebenso langen und zwanzig Ellen breiten Teil, der wieder in zwei Räume zerfiel: Der vordere, vierzig Ellen lange enthielt drei weltberühmte Kunstwerke: den Leuchter, den goldenen Tisch und den Räucheraltar. Die sieben Lampen des Leuchters bedeuteten die sieben Planeten; die zwölf Brote auf dem Tisch den Tierkreis und das Jahr. Der hintere Raum maß zwanzig Ellen und war ebenfalls durch einen Vorhang nach außen geschlossen. Er war ganz leer; niemand durfte ihn betreten oder hineinsehen; er hieß das Allerheiligste.

Das Äußere des Tempels bot alles, was Auge und Herz entzücken konnte. Auf allen Seiten mit schweren goldenen Platten bekleidet, leuchtete er bei Sonnenaufgang wie Feuer und blendete das Auge wie die Strahlen der Sonne. Fremden, die nach Jerusalem kamen, erschien er von ferne wie ein schneebedeckter Gipfel; denn wo er nicht vergoldet war, leuchtete er in blendender Weiße. Sein First starrte von scharfen goldenen Spießen, damit nicht die Vögel sich darauf  niederließen und ihn beschmutzten. Von den zu seinem Bau verwendeten Quadern waren manche fünfundvierzig Ellen lang, fünf hoch und sechs breit.

Vor ihm stand der fünfzehn Ellen hohe und je fünfzig Ellen lange und breite Altar mit hörnerartigen Vorsprüngen an den Ecken. Von Süden führte eine sanft ansteigende Rampe zu ihm hinauf. Er war ohne Anwendung eines eisernen Werkzeugs gebaut; überhaupt hatte Eisen ihn nie berührt.[7] Rings um Tempel und Altar lief eine zierliche steinerne Schranke; sie schied das gewöhnliche Volk von den Priestern. Männer, die nicht völlig rein waren, mußten dem inneren Hofe fern bleiben.

Geborene Priester, die wegen eines Gebrechens den heiligen Dienst nicht versehen durften, hielten sich dennoch innerhalb der Schranke bei den Unversehrten auf und bekamen auch die ihnen kraft ihrer Abstammung zustehnden Opferanteile, trugen aber gewöhnliche Kleidung; denn nur der Diensttuende durfte das heilige Gewand anlegen. Zum Altar und zum Tempel stiegen nur untadelige Priester hinauf, in Byssus gekleidet, vor allem aber ohne Wein getrunken zu haben, um bei ihrem Dienst keinen Fehler zu begehn.

Der Hohepriester stieg mit ihnen hinauf, aber nicht immer sondern nur an den Sabbaten Neumonden und großen Festen des Jahres. Wenn er Dienst tat, trug er zu unterst einen Schurz, dann ein leinenes Hemd und darüber einen bis an die Knöchel reichenden hyazinthblauen weiten Talar, der mit Fransen besetzt war, an denen abwechselnd Glöckchen und Granatäpfel hingen. Die Binde, die den Talar an der Brust befestigte, bestand aus fünf Streifen von Gold Purpur Scharlach Byssus und Hyazinth, demselben Gewebe, aus dem auch die Vorhänge des Tempels gewebt waren. Darüber trug er noch ein Schulterkleid in denselben Farben, unter denen jedoch das Gold vorherrschte. Es wurde von zwei goldenen Spangen zusammengehalten, in die die schönsten und größten Sardonyxe mit den Namen der Stämme Israels eingelassen waren. Auf der Rückseite hingen zwölf andere Edelsteine herab, je drei in vier Reihen: ein Sarder Topas Smaragd Rubin Jaspis Spfir Achat Amethyst Bernstein Onyx Beryll Chrysolith, auf deren jedem wieder der Name eines der Stammväter eingeritzt war. Den Kopf bedeckte ein Turban aus Byssus, um den sich ein goldener Reif zog der in Relief die vier heiligen Buchstaben[8] trug. Dieses Gewand legte der Hohepriester aber nicht ständig an, sondern nur, wenn er ins Allerheiligste ging, das tat er einmal im Jahre, ganz allein, nämlich an dem Tage wo alle Gott zu Ehren zu fasten pflegen.[9]

(6) Die zehntausend kampffähigen Aufrührer in der Stadt bildeten den Anhang Simons, dem sich außerdem fünftausend Idumäer angeschlossen hatten. Johannes, der den Tempel besetzt hielt, verfügte über sechstausend Schwerbewaffnete und zweitausendvierhundert Zeloten, die sich ihnen jetzt anschlossen. Diese beiden befehdeten sich noch immer, und das Volk war ihr Kampfpreis; wer nicht mitmachte, wurde ausgeplündert.

Nach einem Erkundungsritt um die Stadt beschloß Titus, die dritte Mauer von Norden her anzugreifen. Unter dem Schutz der Schleuderer und Bogenschützen, der Pfeilgeschütze Katapulten und Steinwerfer ließ er zunächst Dämme[10] bauen aus Bäumen die rings um die Stadt gefällt wurden. Die Werfer schleuderten Felsstücke bis zu einem halben Zentner über zwei Stadien weit; sie und die andern Geschütze sollten die auf der Mauer stehnden Juden verscheuchen und ihre Ausfälle abwehren.

Als nun nach Fertigstellung der Dämme die Widder herangeschafft wurden und zu krachen begannen, bemächtigte sich der Aufständischen eine gewaltige Angst. Jetzt endlich dachten die von gemeinsamer Gefahr Bedrohten daran, sich gemeinsam zu verteidigen: Simon ließ den im Tempel Verschanzten durch einen Herold Sicherheit verbürgen, und Johannes ging, wiewohl mißtrauisch, darauf ein. Als sie eines Tages bemerkten daß die Römer sich sorglos zerstreut hatten, brachen sie durch ein verstecktes Tor in der Nähe des Hippikusturmes in großer Menge hervor. Es gelang ihnen, bis zu den Geschützen vorzudringen und einen Teil davon in Brand zu stecken. Im letzten Augenblick erst konnte Titus sie zurückwerfen und die Belagerungswerke vor völliger Einäscherung bewahren.

(7) Die schwersten Verluste erlitten die Juden durch die fünfzig Ellen hohen Türme, die Titus auf den Dämmen hatte errichten lassen und von denen aus die Verteidiger auf der Mauer mit einem Hagel von Speeren Pfeilen und Steinen überschüttet wurden. Zogen sie sich aber außer Schußweite zurück, so konnten sie nicht mehr die Widder abwehren, die durch ihr unaufhörliches Stoßen allmählich doch etwas ausrichteten. Als nun die Mauer anfing, dem „Sieger“ – so nannten die Juden selbst den größten Sturmbock – nachzugeben, und sich der größte Teil der Verteidiger durch die Gefechte und Nachtwachen ermattet, von der Mauer zurückgezogen hatte, kletterten plötzlich die Römer an der vom „Sieger“ beschädigten Stelle in die Höhe; und sobald die ersten hinüber waren, öffneten diese die Tore und ließen das ganze Heer hinein, während die jüdischen Posten hinter die zweite Mauer flüchteten Am fünfzehnten Tage der Belagerung gelangten die Römer so in den Besitz der dritten Mauer und rissen einen großen Teil davon nieder.

Titus schob nun sein Lager vor in das sogenannte Lager der Assyrer[11] und schritt alsbald zum Angriff auf die zweite Mauer. Die Juden leisteten hartnäckigen Widerstand. Führte bei den Römern Kraft und Erfahrung das Schwert, so tat dies auf seiten der Juden jene Tollkühnheit, die der Angst entspringt, sowie die diesem Volke eigene Ausdauer im Unglück. Man stritt sich sogar bei ihnen, wer zuerst der Gefahr entgegengehn dürfte. Am meisten geachtet unter ihren Führern war übrigens Simon, an dem seine Untergebenen so sehr hingen, daß auf seinen Befehl jeder mit größter Bereitwilligkeit Hand an sich selbst gelegt haben würde.

Bald gelang es Titus, einen Turm der zweiten Mauer zu erschüttern, (8) und schon fünf Tage nach Einnahme der dritten Mauer konnte er die zweite nehmen. Als die Juden sie verlassen hatten, drang er mit tausend Reitern und seiner Leibwache da ein, wo der Wollmarkt, die Schmiedewerkstätten und der Kleidermarkt der Neustadt sich befanden. Nach dem Einzug verbot er, irgend einen der gefangenen Juden zu töten oder die Häuser in Brand zu stecken, und bot den Aufständischen, wenn sie ohne Schaden für die Bevölkerung kämpfen wollten, freien Abzug an; denn es lag ihm viel daran, die Stadt zu retten. Die Aufständischen aber faßten seine Freundlichkeit als Schwäche auf und drohten jedem Bürger den Tod an, der auch nur den Gedanken an Übergabe hegen würde. Und sofort griffen sie die einziehenden Römer an, teils von den Dächern herab, teils in den engen Gassen, durch deren Kenntnis sie den Eindringlingen gegenüber bedeutend im Vorteil waren, und verwundeten viele von ihnen.  Notgedrungen leisteten die Römer Widerstand, weil sie durch die enge Maueröffnung nicht in größeren Massen fliehen konnten. Und fast schien es um alle, die in die Vorstadt eingedrungen waren, geschehen zu sein, da verhinderte Titus durch Einsatz von Bogenschützen an den Straßenenden die Annäherung der Juden, bis all seine Soldaten den Rückzug bewerkstelligt hatten. Den Aufständischen schwoll nun der Kamm; sie meinten, die Römer würden nicht imstande sein zu siegen, wenn es wieder zum Kampfe käme. Und so hielten sie drei Tage lang in zäher Gegenwehr den neuen Angriffen der Römer stand; am vierten aber wurden ihnen diese zu stark und zogen sie sich zurück. Jetzt ließ Tituts den ganzen nördlichen Teil der zweiten Mauer schleifen und richtete seine Gedanken auf die Erstürmung der ersten Mauer.

(9) Einstweilen jedoch beschloß er Angriffe zu unterlassen und den Aufrührern Bedenkzeit zu geben; vielleicht würden sie dann im Hinblick auf die Schleifung der zweiten Mauer oder aus Furcht vor der Hungersnot sich nachgiebiger zeigen.

Die Pause benutzte er zu einer viertägigen Soldzahlung, zu der die Truppen, wie üblich, in voller Rüstung und mit enthüllten Waffen[12] erschienen; die Reiter führten dabei ihre aufgeputzten Pferde am Zügel. Weithin glitzerte die Umgebung der Stadt von Silber und Gold; aber so herrlich der Anblick für die Römer war, so schrecklich war er für ihre Feinde. Die alte Mauer in ihrer ganzen Ausdehnung sowie die Nordseite des Tempels waren mit Zuschauern dicht besetzt; selbst die Dächer der Häuser sah man voll Neugieriger, und kein Plätzchen gab es in der Stadt das nicht schwarz von Menschen wimmelte. Gewaltige Angst überfiel jetzt auch die trotzigsten Juden, als sie die ganze Heeresmacht versammelt sahen, dazu die Schönheit der Waffen und die vortreffliche Ordnung der Soldaten. Und es hätten bei diesem Anblick, wie mir scheint, die Aufrührer anderen Sinnes werden müssen, wenn sie nicht um der allzu großen Frevel willen, die sie am Volke verübt, eine Begnadigung seitens der Römer für unmöglich gehalten hätten.

Erklärungen.

[1] Ein Jude! Vgl. Altertümer XX 5  XVIII 8 !

[2] = Späher.

[3] Heute: Goliatburg.

[4] Etwa 6 km. Aber diese Angabe erscheint als zu hoch, auch wenn alle Vor- und   Rücksprünge der Stadtmauer berücksichtigt werden.

[5] Heute: Dawidsturm.

[6] Eine dicke Steintafel mit griechischer Inschrift hat sich erhalten und befindet sich jetzt in einem Konstantinopler Museum. Sie besagt: „Kein Fremdstämmiger darf das Heiligtum innerhalb der Schranke und der Umfassungsmauer betreten. Wer ergriffen wird hat sich selbst die Schuld an seinem Tode zuzuschreiben der darauf folgt.“

[7] Entsprechend der Vorschrift des Bundesbuches (2. Mose XX 25).

[8] H W H J = (von rechts nach links zu lesen!) Jahwe

[9] D. i. am Großen Versöhnungstage.

[10] Auf die Mauer zu, um Widder und Belagerungstürme an sie heranbringen zu  können.

[11] Vgl. 2. Könige XVIII!

[12] Schild Schwert Speerspitze usw. staken gewöhnlich in Lederhüllen.