Die sieben Jahre

Ein Kriegsepos

Von Emil SzittyaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Emil Szittya

 

Die Abfahrt

I.
Als die Buben und Männer gingen, putzten sich die tuschelnden Weiber vom Gesicht das sommerliche Rot. Die Lokomotiven winselten sich durch bange, zaudernde Landschaften. Die Buben und Männer schrien: – „Haho! Wir gehen ins Wunderland der Pyramiden“. – Die hinaufgeschraubten Engländer behielten ihr salzloses Gesicht und kümmerten sich wenig um die Greuelmusik. Die Buben und Männer schrien: „Haho! Wir werden mit feurigen venezianischen Weibern die Betten teilen!“ – „Haho! Ein Rosetti’scher Mond beleuchtet unsere Straßen!“ – In Paris bei den Fortifikationen hielt man rasch Predigten über den Royalismus und Paris war doch nicht mehr ein Ding an sich. Die unentschiedenen Länder wurden ein Spielzeug für traurige, zitternde Kinder. Und man schenkte kein Geld mehr den Frauen, weil plötzlich die Männer zu begehrt waren. Die Worte waren oft zu laut.

II.
Die deutsche Disziplin wünschte sich Heldentaten. Jeder fürs Hinraffen prädestinierte Rotzjunge trug ein Monokel. Französische Mysterienspiele bekamen Carbolgeruch. In Ungarn hing man die Erntelieder auf die blutigen Dolche. Man hat sich Ensor’sche Fratzen für den Traum geschenkt. Man hat sich zum Ironiker aufgerafft. Die Bars wurden nur für Soldaten geöffnet.

III.
Man spielte sich einen Raumozean, in dem hinterlistige Japaner schmutzig grinsten. Keiner wünschte den Sieg zu einem Wunder zu entfalten. Die Jünglinge waren plötzlich sehr alt. Man erzählte sich nicht mehr Abenteuer und Räubergeschichten. Die Fußknöchel der Jünglinge zitterten.

IV.
Alle Übermenschsehnsüchtigen hatten große Pupillen und spürten eine Verdrossenheit in ihren Gliedern. Als die beblümten, bemusikten Waggone nach allen Weltteilen flogen, stockte auf Augenblicke der Erlebniswunsch. (Der arme Rimbaud hätte bei dieser Gelegenheit einen schönen, plastischen Abbruch gehabt). Auf Dorfkirmessen trank man sich zum letzten Mal toll mit rotem Wein und aß dazu Hasenbraten. Die Frauen versuchten, aber konnten den Gang nicht hemmen.

V.
In Rumänien schrieb man Heldengedichte über Romulus und Remus. Keiner liebte mehr die Länder, in denen er einst träumen wollte. Parc Saint-Cloud war aus den Gehirnen verscheucht. Die Serben mit ihren bunten Farben wollten eine Brücke für russische Leidenschaft sein. Und in Konstantinopel schaute man sich gleichgültig die Wunderwerke von Kaiser Theodosius an.

Die Schlacht

I.
Die Landschaft bekam ein pockennarbiges Aussehen. Heuschreckenplage übersäte die Landschaft. Der Teufel fühlte wieder Blut in seinen hundert Armen. Die Landschaft hatte Cholerageruch. Allvater ließ die Luft versauen. Durch die Nerven zuckte wildes Blut. Brütendes Grauen ankerte in den Schädeln der Menschen. Alles plumpste in Alchemiealpdruck. Die Geier nährten sich von den Lebern der Menschen. (Die Beschlichenen brüllten: – „Lass mich in Ruh‘ Teufel!“) Gichtlahme Pendelhexen tanzten. Mit scharfgezähnten Löffeln fraßen die Teufel aus der Seelensuppe.

II.
Höckrige hinkten durch die Felder und trugen entseeltes Zauberkraut in der Hand. Kot, Seuche, Grau, Giftstoff mit Messing gefixsternt, dann Blut und harpierhaftes  Weiden (aus dem die Sonne sich eine Ouvertüre ampelte) siebte die Augenblicke, die Minuten, die Stunden, die Tage, die alle ohne Sonne waren. Böser Skorpionenzaubersaft düngte die Muttererde. Die Entseelten murrten nach einer Zuflucht. Aus tausend ungleichartigen Ahnungen tastete sich unentrinnbares Röcheln irgendeiner zerschossenen Hymnenstadt. Hässliche Spinnen forderten Tribut für ihren blutigen Dienst. Wie Schnelllaternen huschten verstümmelte Erinnerungen durch die Menschen. Tückische Freudenblumen lockten auf dürre Berge, auf denen einst Götter hausten und wo jetzt der Kuckuck zynisch mit dem nächtebestäubenden Echo schrie: „Nicht so karg mit den Kurven!“

III.
Ein Geißelgott schmaust unbescheiden die Saat und feiert die schmutzigen Saturnalien seiner Verschlingungen. Kahle schmutzige Greise schachern schalkhaft mit dem Landflehen. Arkaden bluten und aus den dunklen Schichten kommt das boshafte Lachen der Clowns. Das künstlich veranstaltete Erdbeben verrenkte das Weltenlenken und staunende Launen setzten die Aperçus. (Der deutsche Schriftsteller Walter Bloem wusste sogar, dass Hindenburg keinen Rasierspiegel mit sich trug.) Entsetzte safranfarbige Frauen weinten jahrelang Tag für Tag über schattenhafte Metamorphosen. – Sprödes Rot siegt sich durch die durch die Irrfelsen der Weinberge und knutscht die Gotteslandschaft zu Tode. (In Argos feierte man einst das Fest des Hunderttotschlages.) Viele sinnen nach Verderbung und treiben Totenbeschwörung. Und die, die sich opfern müssen, spinnen Verzehrendes über die Brüste ihrer Mütter und weinen, wenn sie dem Tode nahe sind, dass das Feuer durch den menschlichen Gebrauch verunreinigt wurde und verabscheuen das gemästete Gezügeltsein.

IV.
Beschämender Wahnwitz saust durch die Länder. Man weckt wieder einmal Grauen in den Göttern. Götter, schämt ihr euch nicht, dass ihr Titanen schuft? Wilde Bluthunde rasen durch die Reiche. In den Werften arbeitet man irrsinnig. Frevelnde tilgen mit einem reinen Keim das Verhängnis, (Wärme des Vergessens, angezweifelte Göttlichkeit, fühlst du nicht, dass die Saat brennt?) Im Hintummeln verreckten die Demutsmassregeln und der Kreislauf. Viele wurden auf dem Frevelfelde lebendig begraben.

V.
Geschrundener läppriger Wahn huscht lüstern, alles abschmeckend durch die Wiesen und rüstet saugendes Stöhnen in den Menschen. Ist dieses gelotterte Leben wirklich tragisch? Vermummte verkriechen sich in Grotten. Die überrumpelte Stammmutter schnappt grässlich, würdelos nach dem Verworfenheitsgesang und gruslige Winke molochen in ihrer matten warnenden Unruhe. Von sehr weit herkommende Komplikationschreie stülpen sich hurtig und aufraffend auf die Gehirne und komisch, dass sich Satyr in Echo verliebte.

VI.
Aus der zermalmenden Angst kriechen Erfasste oder Flüchtlinge hervor und spuken die Welt voll mit lästerndem trostlosen Weh. In diesem Frühling wird aus feinen silbernen Terrinen Blut gesaugt – und sogar die Herbste möchten dem Leben noch etwas abzärteln, um nicht zu der verhängnisvollen Todesblume Narzissos zu werden. Die Urgewalten werden Erzschlünde verschlucken und scherzen mit Blut um ein ächzendes Geschick.

VII.
Die Erde ädert in wirkliche geheimnisvolle Johannisfeuer. Nemesis hängt im Chortanz über den Abhängen. Die verstümmelten Helden schreien jämmerlich. Die blutenden Felder werden zu verzweifelten Fragezeichen.

VIII.
Die Landschaft bebt in Sinnentaumel.

IX.
In der von Metallrost bebenden Landschaft tasten habsüchtige Lästermäuler. Triebhafter Untergang schnaubt durch die gefurchten Fluren wo distelige Torheit hämorrhoidenhaft aufgestapelt lag und alles von Gekauertem, von Knarrendem, von Rasseln und Metallrest betäubt war. Matrosen wahrsagten sich einander sanfte Träume. Gorillas tanzten durch das Feld. Albanische Glocken jagen die Menschen zum Kampf.

X.
Viele machte es feige, alles zu verlieren, weil die beklemmenden Warnungserinnerungen nur auf Augenblicke stehen blieben. Aus den Menagerieköpfen tropfte eine weiße, mit Blutfetzen gemischte Masse und schmutzte sich wie ein Gesellschaftsspiel gegen die Reinigungswerke Gottes. (Muss auf diese Art der Mensch in den Tod hineinzweifeln).  Die schweifenden Männer hörten überdrüssig, wie ihre Weiber nach einer Jakobinerkappe schrien. Jammerndes Chaos presste sich durch die düster verhängte Landschaft, weil man zu feige war, am Distelweg alles zu verlieren. Der Himmel war in den sich schwer schleppenden Rauch getaucht. Sonderbar fortgespültes Scheinwerferlicht wirbelte um die nicht fassbaren Gepflogenheiten. Feuerräder gabelten sich stemmende aufgerissne Flammen.

XI.
Auf durchschnüffeltem Gestrüpp sind Menschen wie Eidechsen durcheinander gehadert, und zu den Einschiebselgötzen kann man diesmal nicht Zuflucht nehmen, weil die Einschiebselgötzen nur pittoresk Pferde durchsausen unermessliche Fernen, schlürfendes Getümmel klebt Kot in Christus‘ Antlitz. Und niemand weint über den geschmälerten Gottesglanz, weil Visionengeglüh in den Augen saß. „Klimbimjuchhei“ bedeckte und liegt in den Gesten arabischer Bettler. Nur manchmal hörten diese Durchschnittseuropäer langgezogene Schreie, die sich über die Länder verzweigten, und nachher sahen die Boten wie Herbstblumen aus. Gott hörte das Gebet nicht. Und es wurde wieder einmal in Abrede gestellt, dass er existiert.

XII.
Der Dunst von trübseligen Orgien wird von handelnden Wesen erhascht und stählerne Statuen wanken massakriert durch dreckige Spelunken. Das gemarterte frevelhafte Menschengeschlecht blutet stummbleich in ewigen Finsternissen und eine Dreckflut beschwebt die zerplatzten Gehirne und macht aus der Landschaft einen Hexenball. Panorama der Tollheit ausgestreckt, alles Heimatliche aus dem Gefühl verscheucht.

Der zerrüttend Spuk hat seine Wanderschaft durch alle Länder begonnen, schläfert durch bange Kerker, bepackt mit Blutmischung durch Lebensextasen und mancher Bürgerbauch bekommt eine Verdauungsstörung. Abscheuliche Durchseelerstimme packt die Pedale von dem zaudernden Groteskentempo. Das ärgerliche Hadern bearbeitet, wirbelt, schnappt und schnappt die Finsternis auf, und streut Irrlichter über den toten Menschen.

Hinter den Schützengräbern

(Für Hugo Ball)

I.
Verwirrt wehen durch die Straßen selbstlose Menschendrachen, und brüten sich im Herbst wie Stimmungen nach einem ausgeschlafenen Opiumrausch. Eine Onanistenfratze wurde aus der Welt. Alle Frauen sind Buckel im dämmernden Licht der Kirchen, und über die Buckel ist ein großes graues Tuch gerollt, auf dem ein Skelett tanzt, das Kantariden fraß. Die Sonne, die immer so gerne Fata Morgana spielte, hat jetzt ein verwestes Lachen. Krankenhäuser und Medikamentenfabriken werden jetzt gebaut. Alle werden Erinnerungssammler.

II.
Das Tragödienspielen ist offiziell erlaubt. Der Weihrauch in den Kirchen hat ein schweres Gewicht und kitzelt wie Stahlzungen die Seelen. Abenteuerwissenschaft mordet. Ein Sichverbergen blutet in plötzlich sogar Beethovenisch aussehenden Gesichtern. Auch der Dorfgeruch, der in die Stadt Obst bringenden Bäuerinnen ist mit Trauer besät. Nizza, Florenz, Ostende und das Plagiat von alten belgischen Kirmessen sind an Antiquitätenhändler verschachert.

III.
Auch Gott muß jetzt nach Lippen suchen. Gott der Liebe, weshalb verbargst du dich gerade jetzt? Auf den Straßen betteln Bataillone von Invaliden. Soldaten mit bunten, lumpigen Fahnen trauern sich durch die Straßen und singen sehr sehr traurige Lieder. Das Unterbewußtsein und das Bisherverborgne hat sich zu Ausrufungszeichen entfaltet.

IV.
Plakatsäulen schreien unter dem verwaschenen Gelb, das der Sonne nur noch ähnelt wie romantisch genannte schmutzige Gäßchen von Italien. Dienstmädchen arbeiten jetzt verträumt, Köchinnen werden differenziert und bereiten rachsüchtig für die Krüppel ein ziemlich schlechtes Fraß. Glanzlose Augen patscheln in Kot.

V.
Der Mensch verliert den Mut, sich einen Gott zu lügen. Nichts ist mehr heilig und wert, der Vernichtung zu entgehen. Der Tod ist nun der wässrige Ulk eines volkstümlichen Witzblattes.

VI.
Unter dem Lachen verkümmern durcheinander geworfene Länder. Halbverreckte wühlen in toten Visionen. Frauen wälzen sich zu nervös in breiten Betten und verzehren ihr köstliches Blut mit Traumgestalten.

Revolution

I.
Malvenfarbige Schlünde glitten fluchend in den Menschen. Von Neugier betäubt schlürfen die weitgeöffneten Augen die Schreie, die in unermesslichen Fernen grobgeschminkt aufklingen. Auf den Schienen des Glücks entgleisen hastig die Traumnächte.

II.
Und doch wieder nur Blut und Blut. Eine Russin jammert: – „Mein Gott, der apokalyptische Reiter ist da. Die Juden verschachern mein Vaterland!“ – Mißgeburten brüllen: – „Pogrom! Pogrom! Pogrom!“ Eine exaltierte Russin jammert: – „Laßt mir mein Land mit dem seltsamen Monde!“ – Und immer wieder ists die hüstelnde Vergeblichkeit, die es nach den Sehnsuchtssäften und den Malthusküssen dürstet.

III.
Die Menschen haben wieder die Abstraktion von dem lüsternen Geräusch. (Warum singt niemand mehr eine ächzende Hymne auf das heilige Russland?) Verfluchte Zeit! die einen Magen am Platz unserer Seele einräumte. (Russen schämten sich oft ihres Eigentums.) Das heilige Russland ist als Rabatt in dieser Revolution gestorben. Trotz Ausschweifungen des Zarismus hatte Russland einen Dostojewski, Borodin, und Wrubel. Die Menschen liegen unter Scheinwerfern in Schuldwarten.

IV.
Wir haben in diesem Kriege und in dieser Revolution unsere keimende Jugend verloren. Wir finden nicht mehr die lungernde Sonne auf unserm Weg. Nur von irgendwoher kommt eine bizarre, buntscheckige Ausstrahlung. Die Erregung von geheimnisreicher Wollust hat uns begrenzt. (Meine liebe Freundin Tatjana Joukoff schreibt mir aus dem heiligen Russland: – „Glauben Sie mir, an allem sind nur die Juden schuld“ –) (Tatjana schließt ihren Brief: – „Armer Vogel, jetzt werden wirklich neue Landkarten fabriziert.“) Lästige Zerrüttung kriecht durch die Glieder. Irgendwo legt ein Wahrsager Karten.

V.
Man benutzte Hund zum Geschlechtsverkehr. Die Schalen des Blicks waren mit Blut übersprüht. Die meisten Menschen tragen eine Wunde im Nacken. Niemand wollte mehr Sonnenkönig werden. In einem byzantinischem Dome betete ein von Enthaltsamkeit gequältes blondes Weib: – „O Gott, verscheuche doch diesen unnatürlichen Frühling aus meinen Gliedern.“ In München haben Kokotten und Tänzerinnen als Spass die Revolution inszeniert.

VI.
In irgendeinem Halleschen kommunistischen Winkelblättchen kotzt sich ein unbekannter Herr, Dr. Peter Bruck, gegen Karl Kautsky aus, dass er ein Dilettant sei und nichts von Marxismus versteht.

VII.
Jede Revolution bringt nur eine unwirkliche Helle.

Die Rückkehr

I.
Die Greise wurden feige und wollten mit der Vernichtung des Schundromans, Bedreckung des Verbrechens, den Angesichten jagen eine Stabilitätsseele schenken, aber die Exaltationsverheissungen erdrängten sich schon neue Asyle in der Bewegung. (Ihr zu Huren gewordenen Ehegattinen, schafft euch wenigstens mit Kokain, Haschisch, Morphium, eine Brücke zur Lebensfreude!). Die leergebrannten Männer würzen mit Gleichgültigkeit ihre Nächte und die Bewegung hat dieses Mal nicht die seltsame Anziehungskraft zum Unendlichen, weil sie sogar in ihren differenziertesten Formen nicht mehr das reine Flehen nach dem Unbekannten besitzt. Die Sexualität wird nunmehr nur aus Gehirnen geschlürft und Italien (wo es die idealsten Schuhputzer der Welt gibt) ist voll von Huren aus den Mittelmächten, weil die auch so einen „keinen Mut haben“, sich mit Narkose in eine andere Welt hineinzuspielen. (Und einst war doch die Erotik die einzige Gestaltung, die sich über die Ichgebundenheit erhob.) Und manchmal sehnte man sich nach der verlorenen Hand, nach den verlorenen Füssen, nach den Augen, die man aus Liebe zu dem Vaterlande verlor. Gelbe Falter schaukelten am Wege. Zornverzerrte Revieren lagen mumienhaft am Weg. Alle, die da zurückkehrten, hatten eine lavierende, akute Leberkrankheit und sehnten sich für ihren kippenden Körper Leckereien und Spukgeister zu schenken.

II.
Ein zu lautes Lied schrien die Wunden. Die gezüchtigten Wiesenozeane firnissten mit vergossenem Blut das Schauern. Alle Geburtstage begannen herbstlich traurig. Ein schwüles, irrendes Recken schlaffte die Glieder in Ergebnis-Möglichkeits-Zwiespalt. Tänzerinnen und achtzehnjährige Buben fanden ihr Blut für die Heimat zu kostbar, langweilten sich in Rom, und waren neidisch auf jeden, der einst schon leben durfte und in ihren meuternden Bewegungswünschen glotzte und hüpfte ein scheusslicher Abgrund, die Sehnsucht nach einem vorgegriffenen, larvenlosen Gesicht. Die Hände hatten etwas Gespenstergrelles, weil die Trauerimporte nicht mehr die Kraft hatten, den Kelch des Wunsches auszutrinken. In Italien trugen nach dem Kriege die Deutschen Faszisten-Zeichen, weil sie keinen Mut für toskanische Weinlesefeste hatten. Die Gefahr wurde zu romantisch und deshalb schuf sich jeder französische Bürger eine Pariser Kokotte als Ehegattin an. Man vergass, dass man sich das komische Zeug in tragischem Monat August anschaffte und deshalb benutzte man in Ungarn die Bäuche von dicken Juden als Orgienfeste.

III.
In den verwesten Landschaften bummelte das Augengähnen. In unheimliche, bedauerte Festtage. Grenzendes Angewidertsein lag wie ein sich aufspielendes Geschwulst in dem Röcheln der Seelen. Niemand erinnerte sich mehr an das Muttermal, weil in dem Auseinanderkrallen nur schmutzige, muffige Aufmerksamkeiten die Sonne meuterten. Die Gaumen kitzelt Faro, Absynth, Tokaier und Wodka; und die Menschen merkten nicht das düstere Violetnetz, das ihr unkeusches Krabbeln aussagte. Oh! Feigenbaumländer der Begierde, wo man mit forcierten Jubeltrillern das angenehme Kältegefühl auf trockenen Lippen hantierte, sodass verlegene Finger nichts mehr hatten, mit dem sie spielten. Die struppige Landschaft ist goldgelb gebrannt und über ihr schweift triefend schackernde Satanswollust. Wer hat noch Kompassgebot?

IV.
Das Verbrechen war kein aufrichtiges Erlebnis mehr, weil man in den hastig schwitzenden tapsigen Tummeln zu sehr nur die Wunden der Zeit sah und die meisten Zurückgekehrten hatten nicht nur zu grotesk schwache Empfangsarme, sondern zu magnetenhaft schroff zog die Jünglinge das Verlassene des Untergangs zurück. Die feuchten Schemen der Morgenmelancholie faulten in roten ziegelwurfwippigen Gässchen, in denen in anständigen Zeiten ein wirklich siedender Sommer üppigte. Überall lärmte über die saftige Grüngetupftheit der Länder, die sich haschend nach dem Himmel sehnen wollten, ein klaffend, surrend, grunzendes Verdammnisfoltern. Man hat sich hübsche, knickende Krankheiten aus dem Feld mitgebracht und musste sich zum Schieber installieren, weil das Leben gähnend unheimlich kurz geworden war. Das lange vermisste Gebet nutzte nichts, weil man sich von bellenden Galgenscherzen verblüffen liess und gar nicht den Versuch machte, die in der Natur liegenden Wunschkundgebungen, Kompliziertheiten und Sehnsüchte als Distanzgesicht zu verstehen und man hörte nicht, dass die Drehorgel noch immer einen Walzer spielte. Die stierenden Pfeffermünzgesichter waren besudelt und die alt gewordenen Jünglinge dachten nicht mehr daran, dass die Italienerinnen die hässlichsten Füsse der Welt haben, weil die entfesselten Nerven in ihrem Lebensdurst bei keinem Fest mehr festhalten konnten. Es zuckte in den Leibern der Wunsch nach den Ergebnissen von Zoten. Plötzlich umwandelten sich die Hampelmänner von alten Herren merkwürdigerweise in schnuppend, schnaubende Warnungsglocken und zwischen der Kalkwand ihrer Seelen wurde es sehr kalt.

V.
Und jetzt sumpfen puffende, theosophische und spiritistische Zirkel aus allen Schichten hervor und machen das Gehirn von Pan blutarm. Der seelenangelnde Tanz ist nicht mehr schlichtendes Gebet, sondern die brüllenden Wege kreuzen sich, meucheln wie nach formaler Schönheit sich harrende, sehnende kotige Strassen. Nur die glucksenden Dadaisten hatten die entgegenrummelnde Berechtigung, alles Ernste, Entsagende und alles Standarte ins Lächerliche zu ziehen, weil es zu viele Drollige gab, die aus gezuchteter Gleichgültigkeit zum Verbrecher wurden. Und es gab auch niemals gehegte Neunzehnjährige, die unter Schein gepreistem Kommunismus in zerknitternten, zerfetzten Soldatenkleidern auf den Strassen niederknieten und verschluckt vor dem Galgen heulten: – „Menschen, alles war vergebens! Betet mit uns zu Gott! Sonst entlaufen uns die Meilensteine!“ – Aber viele hatten ein manieriert skeptisches Lächeln für den Sprung der armen Verrückten. Heruntergekommene Menschen mit Verbrecherintention verübten Selbstmorde, weil das Ausserhalb keinen Reiz mehr hatte und sie von dem Schlachtfeld und der Revolution zu viele rumorende Merkmale mitbrachten. –

© Madeleine Goldring (Paris) / Georg Wiesing-Brandes (Hannover)

Hinweis: Das in den frühen 1920er Jahren geschriebene und hier erstmals veröffentlichte  „Kriegsepos“ von Emil Szittya hat Walter Fähnders ediert.  Weitere Informationen dazu gibt ein gesonderter Beitrag von Fähnders zu dieser Sonderausgabe von literaturkritik.de.