Leserbriefe zur Rezension

Ein Herakles im feministischen Augiasstall?

Joachim Eberhardt zur Intertextualität im dichterischen Werk Ingeborg Bachmanns

Von Rolf Löchel


Joachim Eberhardt schrieb uns am 30.04.2003
Thema: Rolf Löchel: Ein Herakles im feministischen Augiasstall?

Sehr geehrter Herr Löchel,
leider gilt es in unserem Metier nicht, dass jede Publicity gute Publicity ist. Vielleicht ist ja auch Ihre Rezension meines Buches schlechte Publicity für Sie. Denn einige ihrer Mängel sind auch für solche denkenden Leserinnen und Leser offenkundig, die nicht mein Buch zum Vergleich haben. So ist z.B. der Zusammenhang, den Sie zwischen meinen Handbuch-Artikeln und meinem Buch herstellen, nicht recht nachzuvollziehen: Zu folgern, dass, weil ich einen anderen Artikel eben nicht geschrieben habe, man erkennen könne, wie sehr Monika Albrecht und Dirk Göttsche mit Ihnen, dem Rezensenten, einer Meinung sind, meine Ergebnisse in dieser Hinsicht würden sich "nicht immer durch besondere Überzeugungskraft" auszeichnen, kann ich nur als bösen Willen begreifen. Dass Sie damit außerdem Ihre Rezension beenden, legt als Fazit nahe, Ihr negatives Urteil würde von diesen beiden Experten geteilt. - Aber würde ein unbefangener Leser nicht eher zu dem SChluss kommen, allein die Tatsache, dass ich im Bachmann-Handbuch zwei Artikel geschrieben habe, begründe sich darin, dass die Herausgeber meine Arbeit und meine Ergebnisse achten? (Es scheint mir müßig, darauf hinzuweisen, dass allein schon deshalb nicht mehr Artikel schreiben konnte, weil die Artikel des Bachmann-Handbuchs bereits vollständig redaktionell vergeben waren, als ich die briefliche Bekanntschaft der Herausgeber machte, nämlich zu einem Zeitpunkt, als das Bachmann-Handbuch, der ursprünglichen Planung zufolge, bereits hätte erschienen sein sollen. Albrecht und Göttsche haben mir - warum wohl? - Artikel angeboten, die sie selbst zu schreiben geplant hatten.)
Aber ich möchte auch noch ein, zwei inhaltliche Dinge ansprechen. Wenn man Ihre Rezension liest, könnte man glauben, die rd. 500 Seiten meiner Arbeit bestünden fast ausschließlich aus Forschungskritik. Lediglich zwei Themen hätte ich selbst bearbeitet: "Eberhardts eigene Analysen intertextueller Bezüge konzentrieren sich zum einen auf den Komplex "Musik..." und zum anderen auf den Roman "Malina" ...". Das ist schlicht falsch, aber vielleicht haben Sie ja die Kapitel IV (über "Die Mannequins des Ibykus" und "Das Lächeln der Sphinx" im Kontext des Frühwerks) V (Gedichtzyklus "Ausfahrt", bestehend aus den Gedichten "Vom Lande steigt Rauch auf...", "Die Welt ist weit", "Abschied von England", "Paris" und "Wie Orpheus spiel ich", Vergleich mit späteren Fassungen, Überlegungen zum Zyklischen und zu einzelnen Gedichtzyklen), VI (Erzählfragment "Der Schweißer", "Ein Wildermuth", Überlegungen zum Band "Das dreißigste Jahr") und IX (Bachmanns theoretische Äußerungen zum Zitat) überblättert? Oder Sie haben sich darauf beschränkt, hier mal eine Formulierung, die Ihnen nicht gefiel, herauszupicken, dort mal einen Satz aufzunehmen, der Ihnen nicht behagt. Einen "allzustarken Willen zur Profilierung" unterstellen Sie mir - aber können Sie mir zeigen, wo meine Forschungskritik ungerecht oder unfair ist? Denn ich gehe nicht so vor wie Sie, dass ich einzelne Sätze außerhalb Ihres Zusammenhangs zitiere. Sie z.B. zitieren meine Kritik an der These, mit einem bestimmten Satz in Malina habe Bachmann Nietzsche zitiert, und werfen mir vor, ich ließe da etwas Prinzipielles außer Betracht. Sie haben aber doch gelesen, dass ich an der entsprechenden Stelle komplexer argumentiere. Sie werden sich erinnern, dass ich einen anderen Satz neben die fragliche Stelle halte, einen Satz von Kleist nämlich, den Bachmann in ihren Frankfurter Vorlesungen zitiert, den sie also nachweislich gekannt hat, und der jener Formulierung, die unter Zitatverdacht steht, viel ähnlicher und insgesamt viel prägnanter - also leichter zu merken - ist. Das ist das wesentliche Argument - Sie unterschlagen es. Und jetzt sehen Sie nochmal hin, wofür es ein Argument ist: nämlich dafür,nicht so unbedacht sich von groben Ähnlichkeiten leiten zu lassen, in diesem Fall von der Ähnlichkeit der Nietzsche-Stelle zu dem Bachmann-Satz, der die Kommentatoren bewogen haben mag, die Stelle anzuführen. Mit der Behauptung, Bachmann zitiere den Nietzsche-Satz im Kommentar der Kritischen Ausgabe ist aber überhaupt keine Interpretation oder ähnliches verbunden. Es ist eine bloße These, die zu nix dient. Vielleicht stellt Sie so etwas ja inhaltlich zufrieden - mich nicht. Ich frage mich dann: Wie kommen die darauf?
Sie schreiben von "Unredlichkeit". Ich finde es unredlich von Ihnen, dass Sie aus meiner Auseinandersetzung mit Weigel einen wesentlichen Punkt Ihrer Rezension machen, ohne meinen wichtigsten Beitrag dazu überhaupt zu erwähnen. Ich habe bei der Analyse der Erzählung "Das Lächeln der Sphinx" versucht zu zeigen, das Bachmann hier nicht Gedanken aufgreift, die sie eigentlich nur aus Horkheimers/Adornos "Dialektik der Aufklärung" haben könne, wie Weigel meint, sondern dass Sie - mit dem Zeitgeist Ende der 40er Jahre in Deutschland/Österreich konform - eine eher konservative Interpretation der Geschichte (bzw. des Nationalsozialismus) vorlegt. Diese Kritik gründet sich, wie Sie gelesen haben, auf Quellenstudium. Und wenn Sie das richtig gelesen haben, dann wissen Sie auch, dass es mir fernliegt, zu behaupten, Bachmann habe Benjamin, Adorno etc. nicht gelesen oder sei nicht von ihnen beeinflusst. (Für Bachmanns Ansichten über Musik scheint mir das durch die Arbeit von Corina Caduff auch gut belegt.) Ich stelle nur fest, dass nach meinem Urteil die dafür vorgebrachten Argumente zum Teil dürftig sind.
Ich bin ebenso enttäuscht, dass Sie meinen Beitrag zur Celan-Bachmann-Debatte nicht erwähnen. Den Vorwurf an Weigel, Sie habe sich mit der Behauptung von "Sprachmagie" der Notwendigkeit der sorgfältigen Analyse enthoben, halte ich für nachvollziehbar, aber vielleicht sehen Sie darin ja ein legitimes Vorgehen?
Ihre Rezension ist ein Verriss. Meine Kritik Ihres Urteils ist eine Anklage, ich mag mich nicht damit zufriedengeben, selbst angeklagt zu sein. Vielleicht haben Sie noch etwas hinzuzufügen? Und wie entscheidet wohl die nächste Instanz?
Mit kollegialem Gruss,
Joachim Eberhardt