Leserbriefe zur Rezension

"Sie sagen: er ist ein Jude"

Jakob Wassermanns autobiografische Schrift "Mein Weg als Deutscher und Jude"

Von Wulf Segebrecht


Heike Lindemann-Luiken schrieb uns am 12.04.2006
Thema: Wulf Segebrecht: "Sie sagen: er ist ein Jude"

Äußerst begrüßenswert ist die Auseinandersetzung mit der Schrift Jakob Wassermanns „Mein Weg als Deutscher und Jude“. Schließlich erschien die Schrift 1921, zur „Hochkonjunktur“ antisemitischer Schuldzuweisungen. Der Text ist allerdings im Taschenbuchformat seit 1994 - Wulf Segebrecht weist darauf hin – wieder käuflich zu erwerben. Der Vollständigkeit halber: Dierk Rodewald veröffentlichte bereits 1984 den Text kommentiert in „Jakob Wassermann. Deutscher und Jude“.
Euphorisch begrüßte Fritz Raddatz die Schrift 2005 in „Der Zeit“: Bedauerlicherweise bewirkt das alleinige Vorhandensein bzw. Lesen eines Textes ohne tiefergehende Empathie erstmal wenig: Wer nie sich eingestanden hat, ausgegrenzt worden zu sein, wird auch den Text Wassermanns nicht verstehen wollen oder können.

Im Nachwort der Neuauflage von 2005 im Jüdischen Verlag spannt Marcel Reich-Ranicki den Bogen, die Ausgrenzung der Juden betreffend, von Moses Mendelssohn und Rahel Varnhagen, Heinrich Heine, Berthold Auerbach u. a. bis zu Jakob Wassermann.
Jeder „Jude“ war allerdings einer anderen „Qualität“ von Antisemitismus ausgesetzt: Dem seiner Zeit!
Thomas Mann hält sich 1921 bedeckt in seiner Stellungnahme zu Jakob Wassermanns „Mein Weg als Deutscher und Jude“ und stellt die Frage, ob „nicht doch viel dichterische Hypochondrie im Spiel“ sei. Er reduziert die Problematik auf die Künstlerebene. Und obwohl er im Vorwort zur 1934 erschienenen Biographie von Marta Karlweis-Wassermann seinen Irrtum einräumt, sitzt er auch hier einem Vorurteil auf, denn er schreibt, Wassermann habe sich erzählerisch „assimiliert“. Der in den Antisemitismus Eingeweihte erkennt: Es handelt sich um das Vorurteil, daß der Jude „niemals deutsch sprechen werde, es sich vielmehr immer um Mimikry bzw. Assimilation“ handele, wenn der Jude deutsch spricht. Insofern erweist auch Thomas Mann sich abhängig von den Werturteilen seiner Zeit.
Des weiteren wäre die Reaktion Thomas Manns auf diese Schrift durch Stellungnahmen weiterer Zeitgenossen zu ergänzen, die Wassermann Ferruccio Busoni, dem „väterlichen Freund“, widmet. Allein ein Brief Wassermanns an Busoni belegt, daß ihm Unverständnis entgegengebracht wurde. Er schreibt: „Ich kann gut verstehen, daß Ihnen ‘unser’ Buch Schwierigkeiten bereitet: das innerste des Problems ist Ihnen ja nicht nahe und kann Ihnen nicht nahe sein, aber mir kommt es aus dem Innersten, und es steht kein Wort in dem Buch, daß ich nicht vertreten, und für das ich nicht auf dem Scheiterhaufen zeugen könnte. Das ist ein starkes Wort, aber auch die Sache ist stark.“
So bleiben Fragen: Wie ist diese Bestandsaufnahme des Antisemitismus von weiteren Deutschen jüdischer und nichtjüdischer Herkunft aufgenommen worden? Hat es keine Reaktionen gegeben? Oder sind sie nicht erwähnenswert?

Die Literaturwissenschaft dreht sich besonders bei Jakob Wassermann seit Jahren im Kreis, wiewohl Ernst Loewy bereits 1990 eine Revision mit den Worten einfordert: „Der Ungeist wurde weder mit der ‘Machtübernahme’ der Nationalsozialisten geboren, noch verschwand er mit dem unseligen Ende des ‘Tausendjährigen Reiches’“. Für die deutsche Literaturgeschichte regt er eine rückblickende Forschung an, um der „Fehlentwicklung auch in ihren zeitlich weiter zurückliegenden Ansätzen nachzugehen“, wobei eine noch stärkere Relevanz den völkischen Urteilen im „Nachleben und Nachwirken .. der Gegenwart“ zukomme.
Während Texte anderer Autoren in ihren jeweiligen historischen Kontext gestellt und betrachtet werden, liegt das Hauptanliegen bei Jakob Wassermann in einer Betrachtung seiner Stellung zu anderen Deutschen jüdischer Herkunft, wodurch der Gedanke des „jüdischen Selbsthasses“ evoziert wird. Die Rezension Wulf Segebrechts bildet hier keine Ausnahme. Belegt soll dies werden durch Wassermanns Stellungnahme zu Heinrich Heine. Aber auch „Ekel“, so zitiert Wulf Segebrecht aus „Mein Weg als Deutscher und Jude“, habe er bei seiner Umsiedlung nach Österreich bei der Begegnung mit ‘anderen Juden’ gefühlt. Bedingt: Einige Menschen jüdischer Herkunft in Österreich lösten tatsächlich Scham und Ekel aus, andere nicht. Der Vollständigkeit halber gehört dann auch hierher: „Ausgezeichnete Eigenschaften einzelner traten im Umgang gewinnend hervor, Verstand und Güte (…).“ Im Ganzen, so heißt es bei Jakob Wassermann, habe die österreichische Landschaft und Lebensart ihn befreit: „Das Leben in Wien und Österreich wirkte wohltätig auf mich durch seine leichtere Form.“
Und weiter: Der Jude war ihm Orientale in einem ausschließlich mystischen Sinn: Generiert hat sich für die Juden nach Wassermann die Eigenschaft des Kreativen, bedingt durch ihre Herkunft aus einem Nomadenvolk. Hieraus läßt sich allerdings kein Ausnahmestatus ableiten, weil sich die Kreativität, da Blut und Gedanken Grenzen nicht unterliegen, auch bei Menschen nichtjüdischer Herkunft nachweisen läßt. (Beispielhaft dargestellt im Werk durch Christian Wahnschaffe).

Die Problematik des Juden und Deutschen hat Wassermann für sich eindeutig `individuell’ geklärt: Neben seinem Werk belegt dies die Schrift und der Titel „Mein Weg als Deutscher und Jude“. Denn letztendlich subsumiert er seine Zugehörigkeit (rassisch, national, kulturell – wie immer es dem Leser beliebt) unter die seines Menschseins.
Bedingt allerdings durch die kollektive Ausgrenzung der Juden bleibt seine Existenz als Deutscher und Jude auf gesellschaftlicher Ebene durch den stetig anwachsenden Antisemitismus eine Wunde: In einem offenen Brief an den Herausgeber der „Morgenröte“, Richard Drews, heißt es, daß das Problem seiner Stellung zum Judentum mit „jedem Tag“ seiner „Existenz zunimmt“. Noch zwei Jahre vorher, 1923, hier jedoch dem Verfechter der Dolchstoßlegende und Verfasser der „Secessio Judaica“, Hans Blüher gegenüber, schreibt er, daß er sich sein Leben lang mit dem jüdisch-deutschen Problem herumgeschlagen habe. So habe er es „von allen Seiten betrachtet, von allen Seiten durchleuchtet, habe seine Schmerzen und Verstrickungen bis an die Grenze des Ertragbaren gespürt, habe die sozialen, die physischen, die blutmäßigen, die geistigen Fundamente und Zusammenhänge erforscht“ und sei zu dem Schluß gekommen, „über alles das einen Schritt hinausgegangen“ zu sein. So hatte „dieses Judesein, wie es in der allgemeinen Auffassung bestand“, für ihn „keine Gültigkeit“ mehr.

Denn den Antisemiten war an keinem Dialog gelegen.

Seine Schrift „Mein Weg als Deutscher und Jude“ kann gelesen werden als Bestandsaufnahme einer Gesellschaft, die den „Juden“ - dabei immer mit jeweils unveränderlichen negativen Merkmalen ausgestattet - ausgrenzt. Denn die Problematiken, die Jakob Wassermann beschreibt, entspringen nicht seiner schriftstellerischen Phantasie, sondern eines täglich erfahrenen „Du nicht“: Er, Wassermann, so die damalige „Literaturkritik“, gehöre als „Jude“ der deutschen Sprachgemeinschaft nicht an, sei der deutschen Landschaft fremd und könne sie daher auch nicht schildern, sei psychisch krank (dekadent) und letztendlich – wie „jeder Jude“ – ein „zersetzender“ Intellektueller.

Von dieser Ausgrenzung zeugt nicht nur seine autobiographische Schrift, sondern sein Gesamtwerk. Ein Beispiel allein dafür findet sich in der Figur des „intellektuellen“ Waremme-Warschauer aus dem „Fall Maurizius“, der mit seinem geistigen Lebensprinzip scheitert. Und in Parenthese: Scheitert der nichtjüdische Intellektuelle Erwin Reiner („Die Masken Erwin Reiners“) weniger?

Dezidiert habe ich diese Thematik beschrieben in der Schrift: „Es ist vergeblich… Sie sagen: er ist ein Jude. Die Auswirkungen des Antisemitismus im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert auf Leben und Werk Jakob Wassermanns“ (Peter-Lang-Verlag, Frankfurt a. Main 2005/ISBN: 3-631-54100-7).

Es bleibt, auf den Aktualitätsbezug der autobiographischen Schrift Wassermanns zu verweisen:
- als Selbstzeugnis eines deutschen Juden, der seine Situation reflektiert und den Dialog mit seinen Zeitgenossen sucht – ohne nennenswertes Echo
- als historisches Dokument des alltäglich existierenden Antisemitismus der Weimarer Republik
- als Probe, welche antisemitischen Stereotype bis heute tradiert werden


Sally Field schrieb uns am 27.12.2011 als Antwort auf einen Leserbrief
Thema: Re: Wulf Segebrecht: "Sie sagen: er ist ein Jude"

Jakob Wassermann gelingt es in seiner Schrift den wunden Punkt zu treffen: die subjektive Wertigkeit jeder nationalen Literaturszene. Das tiefsitzende Vorurteil gegen Juden, das sich durch die Gesellschaft zieht, entlarvt er als Betroffener und weist den intellektuellen Zwang zurück sich zwischen Deutschtum und Judentum entscheiden zu müssen. Gleichzeitig erkennt er in seiner eigenen Zugehörigkeit zum Judentum, dass Juden unter falschen Vorzeichen aufgrund ihres Glaubens zusammenhalten. Damit durchtrennt er die separativen Bindungen auf beiden Seiten und überschreitet die zeitgeistigen Entwicklungen, unter denen er wohl auch leidet. Ein sehr moderner Autor und analytisch genial!