Leserbriefe zur Rezension

Freiheit oder Enteignung der Wissenschaft?

Ein Gespräch über die Open-Access-Bewegung und ihre Kritiker

Von Thomas Anz


Uwe Jochum schrieb uns am 15.04.2009
Thema: Thomas Anz: Freiheit oder Enteignung der Wissenschaft?

Lieber Herr Anz,

ich las gerade das Interview, das Sie mit Herrn Lauer in literaturkritik.de geführt haben. Das Interview bringt einige der wesentlichen Fragen zur Sprache, aber Herr Lauer, der sich ja über Jahre in der Open-Access-Frage eindeutig engagiert hat, kann natürlich kaum anders, als da und dort auszuweichen, wo man hart bleiben muß.

Als einem der Initiatoren des Heidelberger Appells gestatten Sie mir diese Härte in zwei Punkten:

1. Es ist falsch, daß man das bisherige Finanzierungsmodell der geisteswissenschaftlichen Publikationen NICHT verteidigen kann. Man kann es sehr wohl, und es ist auch sehr einfach rechnerisch darzustellen. Zum einen nämlich werden bei Open Access die Publikationskosten, die auch dort anfallen, schlicht und einfach in größeren Etats versteckt, und Herr Lauer in Göttingen sollte das wissen (gerade vor zwei Wochen hat die UB Göttingen zwei neue Personalstellen im Zusammenhang mit Open Access ausgeschrieben). Zum anderen ist das jetzige Publikationsmodell tatsächlich auch bei dem, was Herr Lauer und viele andere den Skandal einer Mehrfachfinanzierung von Forschung nennen (der Forscher wird finanziert, seine Projekte werden finanziert, und hinterher wird die öffentlich finanzierte UB das als Forschungspublikation ankaufen müssen), das billigere Publikationsmodell. Ich verweise der Einfachheit halber auf zwei Texte, die das zeigen (http://www.textkritik.de/digitalia/kosten_dvjs.pdf und http://www.textkritik.de/digitalia/katzengold.pdf) Das einzige, was hier festzustellen bleibt, ist: daß sich bislang weder die DFG noch andere die Mühe gemacht haben, nachzurechnen. Und das bringt mich zu meinem zweiten Punkt.

2. Herr Lauer sagt in Ihrem Interview, die Wissenschaftsorganisationen und die Bibliotheken seien bei dieser ganzen Entwicklung die Getriebenen, nicht die Treibenden. Das ist falsch. Ich habe auf der Homepage des Heidelberger Appells auf die entsprechenden DFG-Publikationen aufmerksam gemacht, die das Gegenteil belegen (http://www.textkritik.de/digitalia/florilegium.htm). Man kann dort nachlesen, wie sehr seit Jahren das, was Herr Lauer beharrlich und verniedlichend »Transformation« und »Umbau« nennt, geplant und in immer neuen Anläufen umgesetzt wird. Die DFG tritt dabei als einseitiger Akteur auf, der zur Behebung der in den STM-Fächern aufgetretenen Zeitschriftenkrise auf einen Medienwechsel setzt, der die hinter der Zeitschriftenkrise sichtbar werdende Krise des Wissenschaftssystems, jedenfalls des STM-Sektors, beharrlich ignoriert, dafür aber meint, durch ein Kurieren an der Publikationsoberfläche aus der Krise herauskommen zu können. Das ist nicht nur deshalb abzulehnen, weil es zu kurz gedacht ist, sondern vor allem deshalb, weil es den Medienwechsel in Form eines Zwangs zur Open-Access-Publikation ALLEN Fächern aufzuzwingen versucht, auch jenen, die wie die Geisteswissenschaften gar nicht an einer Zeitschriftenkrise leiden. Wie weit man hier mental bereits ist, haben Sie fragend klargestellt, als Sie den »autoritativen Sprachgestus« bemerkten, mit dem die Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen ihre am 25. März veröffentlichte Stellungsnahme gegen den Heidelberger Appell garniert hat. Man muß das präzisieren: Es handelt sich gar nicht um eine äußerliche Garnitur, sondern um den Kern des Konflikts, bei dem Akteure der Wissenschaftsverwaltung – und hier marschieren Bibliothekare und DFG vorneweg – in der Diktion von »Transformation« und »Umbau« und »vernünftigen Lösungen« Hand an die Verfassung legen, um sich die Veröffentlichungen von Wissenschaftsautoren möglichst ungehindert und kostenlos aneignen zu können. Es ist das »Prinzip Google«, das hier endlich auch in der Wissenschaft triumphieren möchte: Man eignet sich die fremden Inhalte umstandslos an und ignoriert dabei notfalls auch die geltenden Gesetze bis hin zum Grundgesetz, um dann als Strukturanbieter ebendiese Inhalte kostenlos distribuieren zu können und als Distributeur fremder Leistungen, die einem nicht gehören und für die man nichts bezahlt hat, ein munteres Leben führen zu können. Wer das für unglaublich hält, lese, was Claudia Lux, die Präsidentin der International Federation of Library Associations (IFLA) und Generaldirektorin der Zentral- und Landesbibliothek Berlin, dazu im »Börsenblatt für den deutschen Buchhandel« zu sagen hat (http://www.boersenblatt.net/316291/). Man kann sich dann ungefähr ausmalen, was von den Geisteswissenschaften noch übrig bleiben wird, sollten diese Tendenzen sich durchsetzen: nichts Nennenswertes.

Ich habe das grundsätzliche Problem übrigens in der dritten Auflage meiner »Kleinen Bibliotheksgeschichte« – noch bevor diese Fragen virulent wurden – aufzuarbeiten versucht. Vielleicht lohnt sich ein Blick in das dortige Schlußkapitel, das ohne alle Aufregung auskommt und in aller gebotenen Sachlichkeit den geistesgeschichtlichen Horizont der Problemlage auslotet.

Schöne Grüße vom See,
Ihr
Uwe Jochum


Joachim Eberhardt schrieb uns am 21.04.2009 als Antwort auf einen Leserbrief
Thema: Re: Thomas Anz: Freiheit oder Enteignung der Wissenschaft?

Sehr geehrter Herr Anz,

vielen Dank für das Interview. Schön, dass mit Herrn Lauer mal ein Geisteswissenschaftler zu Wort kommt, der die Open Access Bewegung verstanden hat und auch zu den jüngsten Veröffentlichungen rund um den sogenannten "Heidelberger Appell" Substanzielles zu sagen weiß.

Dass Herr Jochum als Mitinitiator die Dinge anders sieht, ist ja klar. Dass er mit gezinkten Karten spielt, war zu erwarten. Nehmen Sie seine beiden Verweise auf das "Nachrechnen" mit den Links auf die beiden Texte, die zeigen sollen, dass die Open Access-Veröffentlichung nicht das billigere Publikationsmodell sei. Im "Was Open Access kostet"-Text vergleicht er die von ihm erhobenen Kosten der DVjs mit PLoS. Die DVjs ist eine geisteswissenschaftliche deutsche Zeitschrift, PLoS eine internationale aus dem STM-Bereich. Warum vergleicht er nicht mit einer renommierten OA-Veröffentlichung aus dem Geisteswissenschaftlichen Bereich? Z.B. mit "Philosopher's Imprint", eine Philosophie-Zeitschrift, die kürzlich in Brian Leiters vielgelesenem Philosophieblog Leiterreports von den Lesern unter die 10 wichtigsten Philosophie-Zeitschriften überhaupt gezählt wurde. Philosopher's Imprint nimmt keine Gebühren von den Autoren. Also: Philosopher's Imprint ist OA und -- für die UBs -- billiger als die DVjs.
Aber natürlich wählt sich jeder seine Beispiele so, wie es ihm passt, und das gilt auch für meins. Trotzdem hat Jochum geschummelt, weil er suggeriert, die Herausgeber von DVjs und PLoS würden etwa die gleichen Leistungen erbringen. Wie hoch ist z.B. die Ablehungsquote der DVjs? Wieviele Beiträge müssen redaktionell versorgt werden, um 24 Beiträge im Jahr zu veröffentlichen? BioMedCentral, ein Open Access-Anbieter im STM-Bereich, hat da mal 2007 Zahlen veröffentlicht. Die müssen schon ganz andere Mengen bewältigen.
Und Jochum hat geschummelt, wenn er so tut, als würden Autoren nichts bezahlen. Bei der DVjs vielleicht nicht, aber mit denen konkurriert PLoS ja auch nicht. Bei STM-Zeitschriften ist es durchaus üblich, dass ein Autor für die Veröffentlichung einen seitenabhängigen Preis bezahlen muss -- ohne dass danach die Zeitschrift OA zur Verfügung steht.
Also: Vergleicht man die DVjs mit mancher geisteswissenschaftlichen OA-Zeitschrift, ist sie teurer für eine UB. Vergleicht man sie mit einer biomedizinischen OA-Zeitschrift, ist der Vergleich schief.
Der zweite, "Katzengold"-genannte Text, handelt von Nationallizenzen, und er schummelt ebenfalls. Da nimmt Jochum z.B. eine Kostenschätzung von 1990 her, was die Kosten des Digitalisierens angeht, und kommt damit 2008 zum Schluss, die Gesamtdigitalisierung aller Bücher würde heute 40 Mrd. Euro kosten. Zum Vergleich: ein Digitalbild hat 2003, also 10 Jahre nach der von Jochum zitierten Schätzung, in meiner UB 5,- € gekostet, jetzt kostet es 25 Cent, also 1/20. Die anderen Zahlen in dem Artikel werden ähnlich haarsträubend berechnet; mit Open Access hat das aber nichts zu tun. Da hat Jochum bloß auf die UB Yale verwiesen, die aus dem institutionellen Abo von Biomed Central ausgestiegen ist. Jochum hat hier übrigens die Fakten falsch wiedergegeben. Die UB von Yale ist da aus der Finanzierung ausgestiegen, aber nicht die Uni; weiterhin nutzen Wissenschaftler von Yale die Publikationsmöglichkeiten von Biomed Central. Nachzulesen hier: http://blogs.openaccesscentral.com/blogs/bmcblog/entry/yale_and_open_access_publishing.

Auch beim zweiten Punkt möchte man Matth. 7,3 zitieren, wenn Jochum den "autoritativen Sprachgestus" der Entgegnung der Wissenschaftsförderinstitutionen beklagt, während er und Reuß in schon einigen Feuilletonveröffentlichungen über "Enteignung" reden; Reuß kann man zitieren mit dem Wort vom "staatsmonopolistischen Verwertungskreislauf", den er heraufdräuen sieht, zugleich mit der wissenschaftspolitischen "Machtergreifung". Meine Herren, geht's nicht ein bisschen weniger aufgeregt?
Jochum hat offenbar auch das Google Books Settlement nicht zur Kenntnis genommen oder nicht verstanden, denn nur so kann er schreiben, dass Google sich "Inhalte umstandslos aneignen" würden. Das stimmt schlicht nicht. Ja, die haben erst gescannt und dann gefragt. Verwerflich. Stimme ich zu. Aber auf dem Stand sind wir nicht mehr. Bitte genauer hinsehen.
Bemerkenswert finde ich auch die oft wiederholte Klage, die Anzeige von Büchern bei Google Books würde die Autoren hindern, weiteren Nutzen aus ihren Werken zu ziehen, insbesondere wenn es sich um lange vergriffene Werke handelt, für deren Nachdruck sich kein Verlag interessiert. Wer gelesen werden möchte, dem hilft das Google Books Programm, überhaupt gefunden zu werden! Wobei ich selbstverständlich der Meinung bin, dass jeder selbst wählen können soll, ob er gefunden werden möchte oder nicht. Aber wer, wie Jochum ja vielleicht, seine Nutzungsrechte am eigenen Buch komplett an einen Verlag übergeben hat, der muss ohnehin es diesem überlassen, sich darum zu kümmern.

Auch das Lux-Interview hat Jochum nicht richtig gelesen. Lux sagt, dort, "unsere Kunden wollen nichts bezahlen" -- damit sind die Kunden der Bibliotheken gemeint. Und dass Bibliotheken im besten Fall ihre Leistungen kostenlos zur Verfügung stellen, darin sind wir uns wohl einig! Der Interviewer übersetzt das aber in "Free Culture - dann können die Verleger doch einpacken". Das heißt, er antwortet so, als habe Frau Lux gesagt: Wir wollen alles umsonst. Ich will Jochum da keinen bösen Willen unterstellen; die Kommentare im Börsenblatt zeigen, dass auch die mitlesenden Verlagsvertreter und Buchinteressierten das großenteils erstmal so verstanden haben. Aber von einem Philologen, einem Freund des Wortes, wird man etwas genauere Lektüre -- und auch genaueres Denken! -- erwarten dürfen.

Freundliche Grüße,

J. Eberhardt (UB Erlangen-Nürnberg.
PS: Meine ausführlicheren Auseinandersetzungen zum Thema unter http://philobar.blogspot.com/search/label/Open%20Access


Günther Hansen schrieb uns am 24.04.2009
Thema: Thomas Anz: Freiheit oder Enteignung der Wissenschaft?

Sehr geehrter Herr Prof. Lauer,
wir freuen uns sehr, dass Sie in dem Interview mit Herrn Prof. Anz das kooperative Open-Access-Modell des DIPF  erwähnen.
Allerdings besteht die erwähnte Kooperation mit dem Hogrefe-Verlag nicht. Ich vermute, dass hier eine Verwechslung mit dem auch in Göttingen ansässigen Verlag Vandenhoeck & Ruprecht vorliegt, der in der Tat mit uns den Anfang gemacht hat? Selbstverständlich würden wir sehr gerne Hogrefe dabei haben, doch dort zeigt man sich leider (noch) ablehnend.
Aktuell kooperieren die folgenden erziehungswissenschaftlichen Verlage mit unserem fachlichen Repositorium www.pedocs.de, fast wöchentlich kommen neue Verlage hinzu:
http://www.pedocs.de/kooperationspartner_verlage.html
Mit freundlichen Grüßen,
Günther Hansen