Leserbriefe zur Rezension

Schöner ist doch unsereiner

Kommentar zur Gesamtausgabe der Werke von Wilhelm Busch nebst Klärung der Frage: War dieser Autor ein Antisemit

Von Robert Gernhardt


Christian Knoche (26) schrieb uns am 05.10.2005
Thema: Robert Gernhardt: Schöner ist doch unsereiner

Ich finde es in höchstem Maße verwunderlich, dass man ausgerechnet in der heutigen Zeit anfängt, einem alten Spaßmacher wie Wilhelm Busch, der ja nun durchweg mit den für seine Zeit typischen Stereotypen arbeitet, Antisemitismus zu unterstellen und gar Gerichtsverhandlungen über die Veröffentlichung einzelner Werke anberaumen möchte.
Die Welt ist auch heute noch voll von Stereotypen und Pauschalisierungen, und man sollte sich vielleicht überlegen, ob man eine neue Kategorie von Person und Stereotyp entwirft: Den mal aus anderer Sicht ewig Gestrigen, ständig mit erhobenem Zeigefinger daherlaufenden Erinnerer und Moralapostel, mit dem man Aufgrund seiner Allgegenwärtigkeit in sämtlichen Medien und seiner ständigen Anklagen im Grunde nichts zu tun haben möchte, den man aber aus einem allgemeinen deutschen schlechten Gewissen heraus ertragen will oder muss.

Ich, der Wilhelm Buschs wohl bekanntestes Werk "Max und Moritz" als Kind auswendig konnte, halte es einfach für überzogen und auch nicht der Sache an sich dienlich, wenn man sich jetzt schon im zarten Kindesalter mit der Frage auseinandersetzen muss, ob der Autor dieser fröhlich-satirischen Geschichten nun Antisemit war oder nicht. Die Nationalsozialisten des dritten Reiches, nebenbei bemerkt auch andere Diktaturen, haben sich immer schon alle möglichen und unmöglichen Dinge zu Nutze gemacht, verwandelt und verdreht. Diese Diktaturen, speziell die nationalsozialistische, aber zum Beispiel auch die der ehemaligen DDR, haben den Menschen schon zu vieles vergällt, zu viel Schaden angerichtet und Deutschland in Verruf gebracht. Ich denke man sollte die Vergangenheit zwar in Erinnerung behalten, aber eben als das was sie ist - vergangen und nicht allgegenwärtig, vor allem dann nicht, wenn das schlechte Gewissen, dass dabei unwillkürlich selbst bei meiner Generation noch entsteht, für unlautere Zwecke genutzt wird oder gar ins Gegenteil umschlägt - nämlich völliger Ablehnung der Auseinandersetzung mit der Geschichte, einfach aus Übersättigung mit ständigen Bildern des Grauens und vorwurfsvollen Tönen.

Auch dies trägt nämlich trägt zum neuen Aufflammen des Antisemitismus - sofern soetwas überhaupt noch in nenneswertem Maße in Deutschland existiert - bei. Wie auch die Auswahl von Repräsentanten, welche Ihre eigenen, ständig gepredigten Moralvorstellungen vergewaltigen und dann nach einem Jahr - leider Gottes - wenn auch nicht mehr als Repräsentant, so doch immer noch als Moralapostel wieder ungehindert durch die Medienwelt geistern können. Antisemitismus und Fremdenhass sind in Deutschland so niedrig wie in nur wenigen Ländern der Welt, und unsere Toleranz so hoch, dass uns die eigenen unkritische Haltung jeglicher Sachverhalte gegenüber, die irgendwie mit der Geschichte des dritten Reiches zu tun haben könnten, und sei diese Verbindung auch noch so abstrus und and den Haaren herbeigezogen, rein aus überzogenem schlechtem Gewissen in eine Situation monövriert, in der wir die eigene Sicherheit gefährden - auf Kosten aller, die in Deutschland und auch anderswo auf der Welt friedlich neben- und miteinander leben.


Uschi Bender-Wittmann schrieb uns am 18.10.2006
Thema: Robert Gernhardt: Schöner ist doch unsereiner

Zunächst einmal: Ich liebe Wilhelm Busch, von Kindesbeinen an, und je älter ich werde, desto subtiler erscheinen mir seine Arbeiten. Auch bin ich mit Robert Gernhardt der Meinung, daß Busch nicht nur Juden, sondern eben alle nur denkbaren Zeitgenossen und Zeitgenossinnen mit spitzem Stift und kritischem Blick - zumTeil liebevoll - demaskiert.
Schmulchen Schievelbeiner und ein möglicher Antisemitismus Buschs ist mir bei einer Recherche zum antisemitischen Klima um 1880 begegnet. Zunächst erschien mir die Darstellung gerade vor dem Hintergrund der ironischen Distanzierung in der Schlußzeile -"... Schöner ist doch unsereiner!" - als unproblematisch. Nochmal hingeschaut habe ich, als mir klar wurde, daß der Berliner Antisemitismusstreit zwischen Treitschke auf der einen und Mommsen und Virchow auf der anderen Seite erst wenige Jahre zurücklag und noch eine gewisse Aktualität hatte. Als ich darauf stieß, daß Virchow in einem Ort namens Schivelbein (!!) geboren wurde, konnte ich an politischen Konnotationen nicht mehr vorbeisehen. Rudolf Virchow, der große Arzt und Liberale, wurde aufgrund seiner politischen Einstellung und seiner Erhebungen zur rassischen Struktur des deutschen Volkes (Fazit: "Deutschland ist nicht Germanien") als Jude diffamiert (kann man das so sagen?). Die scheinbar harmlose Episode zielt also nicht nur auf einen Typ, sondern ist personalisiert; Busch hat ihr wohl bewußt einen antisemitischen und / oder antiliberalen Hintersinn unterlegt.