Intellektuellen-Geschichten

Gesa Dane und Babara Hahn haben einen erhellenden Sammelband über Ricarda Huchs Denk- und Schreibweisen herausgegeben

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Manche AutorInnen sind dafür bekannt, nicht nur in einer Textsorte oder einem Genre zuhause zu sein. Bei wenigen ist dies so wohlbegründet wie bei Ricarda Huch. Sie verfasste Lustspiele und dramatische Stücke, Fach- und Sachbücher diverser kulturwissenschaftlicher Disziplinen, Gedichte und Grotesken, Romane und Erzählungen, Lebensskizzen und Biografien. Selbst Fastnachtspossen und ein Märchenspiel zählen zu ihrem vielfältigen Œuvre. So konstatiert Gesa Dane in ihrer Einleitung zu einem Huchs „Denk- und Schreibweisen“ gewidmeten Sammelband denn auch mit guten Gründen, am Werk dieser vielfältigen Autorin ließen sich „Verschränkungen von kulturwissenschaftlichen Problemstellungen mit literarischen Schreibweisen studieren“. Der auf eine im Sommer 2009 an der Universität Göttingen abgehaltenen Tagung zurückgehende Band setzt zwei Themenschwerpunkte, indem er einerseits der „starken Traditionsorientierung der Historikerin“ Huch nachgeht und diese „selbst in ihren fiktionalen Texten“ nachweist, und zum anderen „die Traditionen des aufgeklärten bzw. Kultur-Protestantismus“ beleuchtet, „denen Huch verpflichtet war“.

Huch selbst ist in dem Band mit ihrem lyrischen „Wiegenlied“ vertreten. Es befindet unmittelbar hinter der Einleitung gleich zu Beginn des Buches und wird von Ruth Klüger einer zwar kurzen, aber erhellenden Interpretation unterzogen. Klüger erkennt in Huchs Gedicht „ein Beispiel dafür, wie Lyrik den fließenden Übergang von Gefühl und Denken intensiver und direkter als die Prosa zu gestalten weiß“. „Reime“, so Klüger in einer paradox anmutenden Wendung, „haben es in sich, daß sie gerade ‚Ungereimtes‘ – hier ein von Angst geschütteltes Denken – veranschaulichen können.“ Im Falle des „Wiegenliedes“ sei es „ein von Angst geschütteltes Denken“.

Nicht die Lyrikerin, sondern die Verfasserin der „Brieferzählung“ „Der letzte Sommer“ hat das Interesse von Cornelia Blasberg geweckt. In ihrem überzeugenden Beitrag vergleicht sie Huchs 1910 publizierten Text mit den zeitgenössischen der literarischen Avantgarde. Während diese mit „gleitenden Signifikanten“ experimentierte und „unvergleichlich ambige Texte“ schrieb, entwarf Huch Figuren, „die fest an die kulturbedingte Stabilität des Zeichens glauben und dabei nicht merken, dass die Entwicklung der Gesellschaft die Fundamente dieses Glaubens längst zerstört hat.“

Zwei Beitragende widmen sich Huchs „Begegnungen“ mit Angehörigen der Familie Mann. Während es Bastian Schlüter unternimmt, den Nachweis zu führen, dass „Golo Manns historiographisches Werk ohne das Vorbild Ricarda Huchs kaum vorstellbar“ ist, unterzieht Irmela von der Lühe Thomas Manns „viel zitierten Hymnus“ anlässlich Huchs 1924 begangenem 60. Geburtstag einer kritischen Würdigung. Die Geehrte dürfte sich über Manns „Lobrede“ vermutlich „mehr geärgert als gefreut“ haben, vermutet von der Lühe und plausibilisiert ihre These, indem sie etwa darauf hinweist, dass Mann nur ein einziges von Huchs zahlreichen Werken, die ein Vierteljahrhundert zuvor erschienene „‚Romantik-Studie‘ – und auch nur deren erster Teil –“, zur „Grundlage“ seiner Huldigung macht. Alles andere fand er nicht einmal der Erwähnung Wert. Sei der Blick auf Ricarda Huchs vielfältiges Schaffen in Manns Essay auch „einseitig“, so erfasse es den „ideengeschichtliche Ort von Ricarda Huchs Romantik-Buch“ doch „treffend“, konstatiert von der Lühe.

Angelika Schaser wiederum wirft am Beispiel von Huchs frühem historischem Werk „Der große Krieg in Deutschland“ die Frage auf, ob „literarische Geschichtsschreibung als weibliche Geschichtswissenschaft“ gelten kann. Huchs Zeitgenossin Gertrud Bäumer, damals eine der Protagonistinnen des gemäßigten Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung hielt Schaser zufolge jedenfalls dafür, dass das Buch „‚wohl nicht zufällig‘ aus der Feder einer Frau stammte“. Schaser selbst legt dar, dass Huchs „Art, Gesellschaft, Kunst und Kultur, den Krieg und das Schicksal der Deutschen in Szene zu setzen“, den Lesenden „den Spiegel vergangener Zeiten vorhielt, um so die Gegenwart zu kritisieren.“ Eine derartige „Geschichtsdarstellung“ lasse sich als „innovativer Gegenentwurf, aber auch als Vorschlag zur Weiterentwicklung der Geisteswissenschaft lesen.“ Auch dies ein kluger Beitrag zu Huchs Denk- und Schreibweisen.

Ein, vielleicht sogar der Glanzpunkt des vorliegenden Bandes befasst sich jedoch gar nicht (so sehr) mit Huch selbst, sondern überhaupt mit den Intellektuellen des 19. und 20. Jahrhunderts. Genauer gesagt, mit ihrem Auftreten und ihrer Darstellung in Lexika, Nachschlagewerken und sonstigen wissenschaftlichen Texten, in denen sich – wen wundert es? – ein beträchtlicher Genderbias offenbart. Der wiederum ist nicht der ‚Sache‘, das hießt hier, der Gruppe der Intellektuellen eigen, sondern ähnlich wie in der Literatur- und Geisteswissenschaft überhaupt, männlichen Kanonisierungstendenzen. Verfasst wurde der Beitrag von der Historikerin Karin Hausen. „Die Annahme, auch Frauen könnten Intellektuelle gewesen sein“, habe „in der als wissenschaftliche Innovation etablierten Intellektuellengeschichte“ zumindest bis zu Beginn der 1990er-Jahre „nicht einmal den Rang einer forschungsrelevanten Prämisse“ besessen, konstatiert sie eingangs, um sodann ihre zentrale These „Deutschlands Intellektuellen-Geschichten berücksichtigen ausschließlich Männer“ zu belegen.

Hierzu „durchmustert“ sie geschichtswissenschaftliche Monografien und Sammelbände, die das Stichwort „Intellektuelle“ im Titel tragen, daraufhin „wie Frauen darin vorkommen und ob die ermittelten Befunde möglicherweise eine Konsequenz definitorischer und konzeptioneller Vorgaben sind.“ Sodann kontrastiert Hausen den Befund der Durchsicht mit einer Reihe von Frauen in Deutschland publizierter Texte, „in denen es um die seit dem 18. Jahrhundert gebotenen Möglichkeiten geht, sich öffentlich als Intellektuelle hervorzutun und als solche wahrgenommen und anerkannt zu werden.“

Abschließend stellt sie „einige Erwägungen über Intellektuellen-Geschichten, für die der Ausschluss von Menschen weiblichen Geschlechts nicht länger selbstverständlich ist“, an. Zwar kann sie nicht erklären, „warum in neueren Forschungen jemand den Intellektuellen zugerechnet wird“. Unzweideutig aber ist der niederschmetternde Befund, dass Frauen in der Intellektuellenforschung noch immer „generell außer Betracht bleiben“. Allerdings, so lautet ihr überzeugendes Fazit, wäre es „verfehlt, die bisherige individualisierend bis heroisierend ausgerichtete Intellektuellengeschichte der Männer nach demselben Muster nun um eine dünnere Seitenlinie für Frauen zu ergänzen.“ Vielmehr bedürfe der „gesamte Zuschnitt des Forschungsterrains“ grundsätzlicher „Korrekturen“. Hierzu sei zunächst einmal „offenzulegen, was in den Blick genommen wird und was nicht“. Zudem sei für eine „veränderte Forschungsagenda“ ein „erweiterter privat-öffentlicher Blickwinkel“ notwendig.

Hausens Beitrag ist der letzte und zugleich der umfangreichste des Bandes – vor allem aber (und dies sei gesagte, ohne den Erkenntnisgewinn durch die anderen schmälern zu wollen) ist er der erhellendste.

Titelbild

Gesa Dane / Barbara Hahn (Hg.): Denk- und Schreibweisen einer Intellektuellen im 20. Jahrhundert. Über Ricarda Huch.
Wallstein Verlag, Göttingen 2012.
225 Seiten, 34,90 EUR.
ISBN-13: 9783835311404

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