Von Markt und Stadt

Bernd Fuhrmann beschreibt die (Wieder-)Geburt europäischer Städte im Mittelalter aus frühkapitalistischen Strukturen

Von Mario ThalwitzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mario Thalwitzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In dem wundervoll bebilderten Band Hinter festen Mauern präsentiert Bernd Fuhrmann eine umfassende Geschichte europäischer Städte im Mittelalter. Das macht er allerdings weniger durch die Darstellung militärisch-politischer Zusammenhänge, wie man durch den Titel den Eindruck gewinnen könnte. Stattdessen präsentiert sich Fuhrmann als ausgewiesener Spezialist für Wirtschafts- und Sozialgeschichte und versucht sich dem erneuten Bedeutungsgewinn europäischer Städte im Mittelalter über eine Beschreibung frühkapitalistischer Strukturen anzunähern. Und das ist kein bisschen langweilig. Im Gegenteil, streckenweise liest sich das Buch wie ein Krimi.

Mit dem Niedergang des römischen Imperiums ging ein massiver Bedeutungsverlust der europäischen Städte einher. Im Frühmittelalter traten viele Städte ein spätantikes, infrastrukturelles Erbe an, das mit den realen Gegebenheiten nichts mehr zu tun hatte. Die Städte waren zu Dörfern geschrumpft. Gleichzeitig gab es durch die Verleihung von Markt-, Zoll- und Münzrechten und den damit einhergehenden wirtschaftlichen Sonderstellungen Chancen auf einen Neubeginn. Fuhrmann geht grob chronologisch vor und lässt seine Geschichte im Frühmittelalter beginnen, um mit einem Ausblick ins sechzehnte Jahrhundert zu schließen. Innerhalb dieses Rahmens agiert er jedoch sehr frei und springt zwischen geografischen Fallstudien und thematischen Schwerpunkten.

In den geografischen Fallstudien beschäftigt er sich mit jeweils einer Stadt, in der für ihre Entwicklung prägendsten Zeit. Die Geschichte der norditalienischen Städte unterscheidet sich ganz grundsätzlich von jener im Reichsgebiet oder von Sonderfällen wie London oder Paris. Durch die Fallstudien schafft es Fuhrmann, der doch sehr heterogenen Entwicklung der Städte Rechnung zu tragen. Die Fallstudien wechseln sich mit thematischen Schwerpunkten ab, beispielsweise zu den Unterschieden von Reichsstädten und Freien Städten, dem Bürgerstatus, der Bedeutung der Stadträte, Städtebünde oder Städteplanung. Zwei ausführliche Kapitel zu Wirtschafts- beziehungsweise Sozialstrukturen der Städte runden das Werk ab. Dabei widmet sich Fuhrmann neben einer Beschreibung der wichtigsten Bereiche der Wirtschaft auch besonders den komplizierten Beziehungen zwischen Arm und Reich in der mittelalterlichen Stadt.

Nebenbei entführt er dabei immer wieder auf kleine Nebenerzählungen, die seine Argumente illustrieren. So erfahren wir über den Aufstieg und Fall der Familie Ziani in Venedig und der Unmaze aus Köln oder erfahren was es brauchte, um als einer der angesehensten Bürger Nürnbergs am Strick zu landen. Ob es um die Ansiedelungen von Bettelorden, Spitalsgründungen oder das Zunftwesen geht, hinter jeder Geschichte steht die Argumentationskette Fuhrmanns der uns behutsam an seine Entwicklungsgeschichte der Städte heranführt. Das macht er in einer verständlichen, angenehmen Sprache und mit einer persönlichen Faszination, die mitreißt.

Das umfassende Projekt ist jedoch auch von kleineren und größeren Schwächen gekennzeichnet. So ist das Buch im Detail oft unpräzise oder vereinfachend, wie die Beschreibung von Venedigs Rolle im Vierten Kreuzzug beispielsweise. Manche Sachverhalte werden angesprochen, finden dann aber kaum den Platz, den sie verdienen, wie die Geschichte der Juden und deren Verfolgung in den Städten Europas. Ein große und gewichtige Fehlstelle ist die Beschreibung des Lebens der Frauen in den Städten, deren wirtschaftliche Eingebundenheit und soziale Stellung. Es ist im Eigentlichen eine Geschichte unter Ausschluss der Frauen. Ein Vorgehen welches sich sicher nicht allein durch die Quellenlage bedingt.

Insgesamt wäre auch ein ausführlicherer Anhang wünschenswert gewesen. Die wenigen Anmerkungen und Literaturverweise im Text seien noch, ob des Formates, verziehen. Mehr Literaturhinweise zum Weiterlesen und Vertiefen hätten jedenfalls nicht geschadet. Auch ein Index oder gar ein Glossar hätten dem Format gut zu Gesicht gestanden. Formal lässt sich eine ausgewogene Gestaltung konstatieren. Das Verhältnis zwischen den wundervollen, großen, farbigen Abbildungen, dem Fließtext und diversen Infoboxen ist stimmig und macht das Lesen angenehm. Das Buch richtet sich an interessierte Laien und gibt einen lebendigen Einblick in das mittelalterliche Stadtleben. Die unbedingte Stärke des Buches ist die wechselnde Perspektive zwischen intimer Nahsicht einzelner Ereignisse und Lebenswege und der Gesamtsicht auf das Phänomen Stadt. Auch wenn man während der Abschweifungen manchmal das Gefühl hat, es entgleitet der rote Faden, fügt sich doch alles wieder zu einem Bild zusammen. So ist Bernd Fuhrmanns Hinter festen Mauern ein Buch für das Studierzimmer wie für den Nachttisch, stünden seine Maße und sein Gewicht dem nicht entgegen.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Bernd Fuhrmann: Hinter festen Mauern. Europas Städte im Mittelalter.
Konrad Theiss Verlag, Darmstadt 2014.
288 Seiten, 49,95 EUR.
ISBN-13: 9783806226409

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