Posthumer Prozess

Ludwig Laher illustriert in seinem Roman „Bitter“ die Banalität des Bösen am Fall Friedrich Kranebitter

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Schlimm genug, dass sich viele von Hitlers Schergen in Südamerika oder sonst wo der Gerechtigkeit entziehen konnten. Dass aber etlichen Nazis in der Nachkriegszeit ein beschaulich-komfortables Leben in ihren jeweiligen Heimatländern vergönnt war, ist einfach nur bitter. „Bitter“, so lautet auch der Titel eines Romans des 59-jährigen Österreichers Ludwig Laher, der diesen „bemerkenswerten (…) Sachverhalt“ im Rückgriff auf einen besonders eklatanten Fall illustriert: dem seines Landsmanns Friedrich Kranebitter (1903–1957).

Dieser war 1942 im ukrainischen Charkow als Kommandeur von Sicherheitspolizei und SD verantwortlich für den Tod etlicher tausend Menschen, etwa durch den von Kranebitter befohlenen Einsatz eines „Gaswagens“. Seinen Lebensabend verbrachte Kranebitter dennoch als respektabler Inspektor der oberösterreichischen Landesbrandschadenversicherung. Womit der promovierte Jurist auch noch vom Bock zum Gärtner gemacht wurde, ließ Kranebitter doch als SS-Sturmbannführer die von ihm produzierten Leichenberge regelmäßig mit Benzin übergießen und anzünden, wie Laher in seinem Roman erinnert.

Für seine Taten, nicht nur in der Ukraine, sondern auch als Gestapo-Chef von Wien-Neustadt oder nach 1943 in Oberitalien, musste sich Friedrich Kranebitter nie verantworten. Das österreichische Volksgericht verurteilte ihn 1948 lediglich zu einem Jahr Haft wegen, man kann es kaum glauben, seiner illegalen Mitgliedschaft in der NSDAP im österreichischen Ständestaat nach 1934. Die Blindheit der österreichischen Justiz im Fall Kranebitter hatte nicht zuletzt mit dem Gründungsmythos der Zweiten Republik zu tun, so Laher, wonach die Österreicher eben Hitlers „erste Opfer“ gewesen sein wollten – und es folglich unter ihnen gar keine Mittäter geben konnte. Was Kranebitter regelrecht dazu einlud, bis an sein Lebensende vor Gericht auch noch um seine vollständige Rehabilitation zu kämpfen.

Kranebitter als Beispiel für die viel zitierte Banalität des Bösen zumindest posthum den Prozess zu machen, ist die erklärte Intention von Lahers dokumentarisch-biografischem Roman, in dem der Protagonist verkürzt „Bitter“ heißt. „Zu Lebzeiten wird Dr. Friedrich Bitter es sich ersparen dürfen zu kommentieren, was sich zusammentragen lassen wird über ihn als veritablen Massenmörder. Niemand wird ihn je danach fragen, niemand. Der Bitter dieses Romans hingegen muss es aushalten“, dass Laher die Vita seines „Helden“, „eines überdurchschnittlich begabten Innviertler Lausbuben“, „ohne Schönfärberei und unbelegbare Ausschmückung getreulich“ nachzeichnet.

Warum aber in Romanform und nicht in Form einer klassischen Biografie? Sicher nicht, um sich der Freiheiten der Fiktion bedienen zu dürfen, schließlich ist „Bitter“ akkurat recherchiert. Sondern, so darf man annehmen, um sich des größeren Emotionalisierungspotenzials der Literatur bedienen zu können. Dieses manifestiert sich aber weniger in der empathischen Schilderung von Bitters Opfern, zu denen auch seine Schwester und deren Ehemann, der 1938 ermordete Kriminal-Oberinspektor Josef Schmirl, gehören.

Sondern es zeigt sich in der ungewöhnlich präsenten Figur des Erzählers, der immer wieder in Erscheinung tritt mit Formulierungen wie „erst jetzt fällt dem Erzähler auf“ oder „dem Erzähler liegt auf der Zunge“. Und der sich dabei fortwährend abarbeitet an „Fritz Bitter“, wobei Laher, von dem zuletzt der Prosaband „Kein Schluß geht nicht“ (2012) erschien, sprachlich immer wieder zwischen Opfer- und Täterperspektive wechselt. Mal flüchtet sich der Erzähler angesichts von Bitters „unfassbarem Tun und Lassen“ in Spott und Sarkasmus, mal assimiliert er die bürokratische Sprache des Unmenschen, mal lässt er seiner Empörung freien Lauf. Am Ende muss er seinem „Helden“ sogar unfreiwillig Bewunderung zollen dafür, dass ihm „bis zur letzten Sekunde alles zuzutrauen“ war, sogar „ausgesöhnt mit der Welt“ gestorben zu sein – oder zumindest am Sterbebett erfolgreich diesen Eindruck erweckt zu haben.

Beunruhigenderweise erweist sich Bitter/Kranebitter eben nicht einfach nur als „schlichtes Monster“, sondern als „großer Charmeur und Charismatiker“, als „ewiger Tausendsassa“ und „höchst flexibler“ Opportunist, als eine Art dunkler Zwillingsbruder von Thomas Manns Felix Krull, der im Lauf seines Lebens Vorgesetzte wie Heydrich, alliierte Verhörbeamte, Richter, seine beiden Ehefrauen, am Ende auch noch seine Schwester um den Finger zu wickeln versteht. Das macht diesen Roman zu einem, gerade in seiner ästhetischen Reflektiertheit, aufregend zu verfolgenden Duell zwischen Erzähler und Protagonisten.

Titelbild

Ludwig Laher: Bitter. Roman.
Wallstein Verlag, Göttingen 2014.
240 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783835313873

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