Avantgarde und Terror

Thomas Hecken dementiert eine viel beschworene Gemeinsamkeit

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Zusammenhang des linken Terrorismus in der Nachfolge der Studentenbewegung mit der historischen Avantgarde zu Beginn des 20. Jahrhunderts wird immer wieder aus der Klamottenkiste politisch-ästhetischer Vorurteile gekramt. Dabei scheint der Abstand zwischen einer zweifelsohne verbalradikalen Kunstströmung um 1910 und einer Untergrundorganisation wie der Roten Armee Fraktion (RAF), die ja Verbalradikalismus und radikale Gewalt in der Tat miteinander verbunden hat, groß genug zu sein, dass hier keine Verwechselungen auftreten können.

Allerdings gibt es in der Tat eine, wenn auch sehr dünne Verbindungslinie zwischen Futurismus, Dadaismus und Surrealismus einerseits und dem militanten Untergrund der 70er-Jahre andererseits. Und die läuft über den Surrealismus, die Situationistische Internationale, die Münchener Gruppe SPUR, die Subversive Aktion und die Kommune I bis zu deren Kontakt zu den Militanten. Persönliche Vertrautheiten, Kontinuitäten und literarische Traditionen spielen hier ineinander - und wer an diesem dünnen Fädlein ziehen mag, der kann Raoul Hausmann und Andreas Baader auch zu Brüdern im Geiste und in der Tat machen. Hat doch, nach solcher Denkungsart, der späte Terror-Bohemien nur die Konsequenzen aus der dadaistischen Radikalopposition gegen die Weimarer Republik gezogen: "Wir werden Weimar in die Luft sprengen. Berlin ist der Ort.. da.. da! Es wird niemand und nichts geschont werden. Kommt in Massen", heißt es etwa im Flugblatt "Dadaisten gegen Weimar" vom Februar 1919. Allerdings besteht etwa die Verbindung zwischen der Gruppe SPUR und der Kommune I lediglich in der Person Dieter Kunzelmanns, der Ende 1966 von München nach Berlin ging. Und selbst die Kontakte der Kommune I etwa mit Andreas Baader sind eher beiläufig. Die Kommune I selbst war in der Szene ohnehin als Spaßfraktion diskreditiert. Der ASTA der FU Berlin etwa meinte im August 1967: "Ihre Aktionen erschöpfen sich jetzt in Happenings, die es vor allem darauf abgesehen haben, bürgerliche Ordnungsvorstellungen zu provozieren und durch absurde oder besonders aufgefallene Demonstrationen Aufmerksamkeit zu erregen."

Die Verbindung zwischen RAF und der Kommune I ist damit zwar vorhanden, aber es ist keine Kontinuität sichtbar, die etwa als Radikalisierung oder konsequente Umsetzung theoretischer Konzepte daherkommen würde. Es sind eher Brüche, auch der Personen, die sich später radikalisierten, die von der Kommune I zur Militanz führten. Das Konzept der Kommune I stand dem entgegen, nimmt man die wenigen Monate ihrer im engeren Sinne aktiven politischen Phase zwischen Mai und September 1967. Provokation und subversive Aktion standen für sie im Vordergrund, nicht die Initiierung eines Massenaufstands oder die Vorbereitung einer revolutionären Situation. Gerade deshalb stand die Kommune I in der massiven Kritik der Außerparlamentarischen Opposition und war nach dem Tod Benno Ohnesorgs am 2. Juni 1967 zwar ein etabliertes Medienereignis, als politischer Aktivposten jedoch abgehängt.

Dennoch hat sich die Denklinie von der Kommune I zur RAF erhalten, und mit ihr die Überlegung, dass die Kommune I, die in der Tradition vor allem des Surrealismus gesehen wurde, das missing link zwischen den historischen Avantgarden und ihrer Fundamentalopposition und dem militanten Untergrund der siebziger Jahre war. Auftrieb gegeben haben solchen Thesen allerdings die Gutachten namhafter Wissenschaftler wie Jacob Taubes oder Eberhard Lämmert, die die Kommune I und ihre Aktionen, insbesondere aber die berühmten Flugblätter zum Brüsseler Kaufhausbrand ("burn, ware-house, burn", "Wann brennen die Berliner Kaufhäuser?") in der Tradition der Aktionen und Happenings der künstlerischen Avantgarden des frühen 20. Jahrhunderts sahen. Das aber hatte verhängnisvolle Folgen, gegen die Intentionen der Verfasser. So verständlich es gewesen sein mag, die Kommune-Aktionen gegen die zunehmende mediale Hysterie in Schutz zu nehmen, die Verbindung, die die Kollegen herstellten, war eher behauptet, denn nachgewiesen. Der einzige der Gutachter, der sich die Mühe gemacht hatte, die Flugblätter Nr. 6-9 der Kommune I genauer unter die Lupe zu nehmen, war Peter Szondi. Und Szondi hatte im Unterschied zu seinen Kollegen weniger auf die Surrealismustradition verwiesen, sondern sich auf sein literaturwissenschaftliches Rüstzeug konzentriert und die unterschiedlichen Sprechweisen, Rollen und Perspektiven herausgearbeitet. Unabhängig davon hat sich die Formel von der surrealistischen Aktion der Kommune I durchgesetzt, die gemeinhin immer dann, wenn darauf verwiesen wird, mit Distanzierungen von der Geschmacklosigkeit der Kommune I-Flugblätter versehen werden. So dünn und wenig haltbar die Verbindung zwischen der Avantgarde und dem Terror der RAF und ähnlicher Gruppen ist, so groß scheint ihre Haltbarkeit zu sein.

Thomas Hecken hat sich nun die Mühe gemacht, die angebliche Tradition von Avantgarde zum linken Terror nachzuzeichnen. Dazu sichtet er die Konzepte der Futuristen, Dadaisten und Surrealisten, der Situationisten, der Neo-Avantgarde um 1960 bis hin zu Kommune I. Daran schließt er eine historische Linie von der Kommune I, den Diskussionen in der APO mit Einschluss der Positionen von Jürgen Habermas und Herbert Marcuse bis hin zu den Aktionen und Stellungnahmen der RAF. Er wirft dabei auch einen Blick auf internationale Terror-Phänomene wie den Angry Brigades, den Weatherman oder den Tupamaros. Das ist im Ganzen plausibel. Allerdings scheint es, als ob diese Plausibilität vor allem dem heutigen Vorurteil geschuldet ist, dass diese Linie überhaupt besteht.

Denn offensichtlich hat Hecken (und das ja auch legitimer Weise) Phänomene wie den Anarchismus der Jahrhundertwende, der durch Autoren wie Erich Mühsam oder Gustav Landauer repräsentiert wird, beiseite gelassen. Dabei waren beide Autoren in der Münchener Räterepublik aktiv. Mühsams Reflexionen freilich, mit denen er sich dem Konzept der KP näherte, zeigen das Spektrum, in dem sich auch politisch radikale Autoren der Zeit bewegten. Allerdings hat Mühsam den Dadaismus und vergleichbare literarische Bewegungen strikt abgelehnt. Auch die Aktivitäten ehemaliger Dadaisten wie Wieland Herzfelde, John Heartfield oder George Grosz weisen darauf hin, dass das Feld durchaus komplexer ist als gedacht. Hinzu kommt, dass die grundsätzliche Verurteilung der gesellschaftlichen Normalität zu den Konventionen literarischer Zivilisationskritik vor und nach der Wende zum 20. Jahrhundert gehörte, angefangen bei Julius Langbehn bis Hermann Hesse. Die Verbindung zwischen künstlerischem Radikalismus und militantem Untergrund gerät damit bestenfalls zu einer Möglichkeit unter vielen und wirkt dazu auch noch sehr konstruiert.

Das soll, wie Hecken auch zeigt, die Ernsthaftigkeit, mit der die historischen Avantgardisten ihre spielerische Destruktion gesellschaftlicher Konventionen vorantrieben, nicht suspendieren. Ganz im Gegenteil. Die Utopie des intensiven Lebens, das die Folie für die Zivilisationskritik der Jahrhundertwende und eben auch der RAF lieferte, ist ein zwiespältiges, eben teilweise verhängnisvolles Programm. Attraktiv ist es geblieben, bis heute - und wer würde es grundsätzlich diskreditieren wollen. Dass in der Situation, wie sie sich im Laufe vor allem des Jahres 1967 ergab, der Sprung von der Kunst zum Leben getan wurde, mit dem zweifelhaften Erfolg, dass die innenpolitische Situation der Bundesrepublik über mindestens ein Jahrzehnt von der Terrorgefahr von links bestimmt wurde, mindestens bis zum Deutschen Herbst 1978, ist im Nachhinein plausibel.

Allerdings ist hier weniger der Verbalradikalismus der Künstler in die Verantwortung zu nehmen als eine Gesellschaft, die mit ihrer eigenen Entwicklung nicht anders als autoritär umzugehen versuchte. Die Reaktionen wenigstens der Medien und des größten Teils der politischen Elite auf die Provokationen des gesamten Spektrums der Außerparlamentarischen Opposition, ist aus heutiger Sicht kaum noch nachvollziehbar. Sie erscheinen im Rückblick als ebenso hilflose Versuche, die ungeheuren Veränderungen, die sich seit Beginn der sechziger Jahre durchsetzten, zu kanalisieren und zu bewältigen. Angesichts dessen, dass diese Gesellschaft mit dem Umgang mit der eigenen NS-Vergangenheit ebenso angreifbar geworden war, wie die Vereinigten Staaten durch ihr Engagement in Südostasien, und der Tatsache, dass die Kluft zwischen offizieller Kultur und Jugendkultur immer größer wurde, scheinen diese Reaktionen eher hilflos und unangemessen. Allerdings hat die Sicht a posteriori immer das Privileg klüger zu sein als die Kombattanten der jeweiligen Zeit. Thomas Hecken wenigstens weiß am Ende seiner Studie, die ungemein belesen und klug ist, auch nur darauf hinzuweisen, dass die Kluft zwischen Kunst und Leben, und insbesondere zwischen Kunst und Terror unübersehbar ist. Der Wunsch nach dem intensiven Leben jedenfalls, der als unklug und kaum sozialisierbar erscheint, ist zwar beiden gemeinsam. Aber die Konsequenzen, die daraus gezogen werden, sind verschieden genug, um die Linie zwischen Avantgarde und Terror kappen zu können.


Titelbild

Thomas Hecken: Avantgarde und Terrorismus. Rhetorik der Intensität und Programme der Revolte von den Futuristen bis zur RAF.
Transcript Verlag, Bielefeld 2006.
160 Seiten, 16,80 EUR.
ISBN-10: 3899425006

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