Keine Erlösung, nirgends

T Coopers "Lipshitz" verleiht dem Familienroman neue Züge

Von Christian WerthschulteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christian Werthschulte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was beim Lesen von "Lipshitz" als erstes den Weg ins Gedächtnis findet, ist sein Bild von New York. Dieses New York, in dem man von Holden Caulfield die Lebensnotwendigkeit gepflegter Misanthropie lernte, mit Dorothy Parker im Salon parlierte und auf der Suche nach Paul Austers Autorschaft in den Schluchten zwischen den Wolkenkratzern verschwand, ist in "Lipshitz" nur noch ein stinkendes Dreckloch mit schlecht bezahlten Jobs und Ratten im Abfluss, das einer verzweifelten und einsamen Ehefrau nicht einmal die eine Stunde Freiheit gönnt, die sie benötigt, um den Hass auf ihre Umgebung wenigstens ein bisschen lindern zu können.

Man ahnt es schon: T Coopers zweiter Roman ist ein Abgesang auf den amerikanischen Traum, hier geträumt von der Familie Lipshitz. Diese flieht vor den antijüdischen Pogromen im zaristischen Russland 1907 in das vermeintlich gelobte Land, die USA, und verliert bei der Ankunft auf Ellis Island einen Sohn, den wasserstoffblonden Ruben, der - soviel sei verraten - auch bis zum letzten Kapitel verschollen bleiben wird.

Esther Liphitz, Rubens Mutter, will sich mit der Abwesenheit ihres Sohnes aber nicht zufrieden geben. Als sie 1927 ein Foto des ebenfalls blonden Charles Lindbergh in der Zeitung zu Gesicht bekommt, entdeckt sie in ihm ihren verlorenen Sohn. Fortan wird Charles, respektive Ruben, sie auf allen Wegen führen. Akribisch sammelt sie jeden Zeitungsausschnitt über Lindbergh und schreibt ihm warnende Briefe, um seine Familie vor einem nahenden großen Unglück zu schützen. Die Entführung des Lindbergh-Babys bestätigt sie in ihrem Irrglauben, und als Lindbergh während des Zweiten Weltkriegs in der Nähe ihres Wohnortes eine Rede gegen den Kriegseintritt der USA hält, unternimmt sie einen letzten Versuch, seinen Lebensschwindel aufzudecken, aber ihre einzige Beute ist ein Stück Stoff, angeblich von der Tragfläche der "Spirit of St.Louis", dem Flugzeug von Lindberghs Atlantiküberquerung.

Lindbergh, der nach der Entführung seines Sohnes für längere Zeit in Europa lebte, entwickelte dort eine Sympathie für Rassentheorien und war seit einem Besuch Nazi-Deutschlands anlässlich der Sommerspiele 1936 öffentlicher Bewunderer des nationalsozialistischen Staats. Seine rassistischen Überzeugungen und der Glaube, dass eine Verschwörung von Briten, Juden und Theodor Roosevelt die USA in einen Krieg gegen Deutschland führen wollte, ließen ihn zu einem Befürworter eines isolationistischen Amerika werden, eine Position, die er erst mit dem japanischen Angriff auf Pearl Harbour aufgab. Und genau dieser Lindbergh bildet nun also die Figur des Erlösers, in den Esther Lipshitz ihre Hoffnung auf Familienglück setzt, nachdem ihr Sohn Schmuel im Ersten Weltkrieg sein Leben verlor, während ihr anderer Sohn Ben dem eigenen Geschlecht den Vorzug gibt. Und es ist nur konsequent, dass diese Hoffnung enttäuscht wird.

Während Esther die ersten beiden Teile des Romans dominiert, verschiebt sich der Fokus im dritten und letzten Teil des Buchs auf den Ich-Erzähler T Cooper. Dieser geschlechtlich unbestimmt bleibende Erzähler tritt in seinem Brotjob auf Bar Mizwas als das Eminem-Double "Slim Lindy" auf: "Slim Lindy ist mein Slim Shady, Jooligan mein Eminem und T Cooper mein wahres Ich, mein Marshall Mathers." Was Esther und den Erzähler T Cooper vereint, ist die Vereinahmung kulturindustrieller Helden als Figuren einer mythologischen Welterklärung. Was die beiden unterscheidet, ist jedoch der Umgang mit diesem Mythenmaterial. Esthers wortgetreuer Glauben an den von außerhalb kommenden Erlöser stellt sich bei T Cooper als Aneignung des Mythenmaterials zur Bildung der individuellen Persönlichkeit dar. Der homophobe und frauenfeindliche Eminem ist nicht nur Mittel zum respektablen Broterwerb, auch abseits der Perfomance mischen sich immer wieder Fragmente des Detroiter Rappers in den inneren Monolog des Erzählers Cooper, dessen Anlehnung an die Autorin im Roman zwar angedeutet, aber bis zum Schluss nicht bestätigt wird.

Der Autorin Cooper wiederum ist damit gelungen, was schon Daniel Handlers leider noch nicht übersetzten Roman "Watch Your Mouth" auszeichnete: Die Transformation einer fast schon zum Klischee gewordenen amerikanischen Erzählform durch Erzählstrukturen aus dem jüdischen Mythenschatz, bei Handler ist es der Collegeroman, bei Cooper der amerikanische Familienroman. Warum dafür ausgerechnet New York, Heimat der größten jüdischen Gemeinde in den USA und Wohnsitz der Autorin, seinen großen Glanz so unwiderbringlich verlieren musste, gibt allerdings Rätsel auf.


Titelbild

T Cooper: Lipshitz. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Brigitte Jakobeit.
Mare Verlag, Hamburg 2006.
490 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3936384339

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