Etikettenschwindel nicht ausgeschlossen

Cornelia Saxe über die Renaissance der Berliner Salons

Von Ruth SpietschkaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ruth Spietschka

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Totgesagte leben bekanntlich länger. Das gilt offenbar auch für eine Form der Geselligkeit wie den Salon, von dem immer wieder behauptet wird, dass er längst nicht mehr existiere und im Zeitalter multimedialer Vernetzung allenfalls als Projektionsfläche nostalgischer Sehnsüchte und persönlicher Eitelkeiten ewig Gestriger tauge. Das Gegenteil scheint der Fall, schenkt man Cornelia Saxe Glauben. Unter dem Titel "Das gesellige Canapé" berichtet sie von ihren Streifzügen durch die Salons der deutschen Hauptstadt und verkündet die "Renaissance der Berliner Salons".

25 Portraits - weniger klassische Feuilletons denn eine Mischung aus Bericht und Reportage - illustrieren, was sich heute hinter dem schillernden Begriff des Salons verbirgt. Unterschieden wird zwischen literarischen, akademischen, politischen und kulinarischen Salons, dem Kunstsalon und dem Salon im Theater sowie dem reinen Frauensalon, der Bühne für den Gentleman und dem lesbisch-schwulen Salon als neuerer Form. Schon diese Aufzählung der Salonarten macht deutlich, wie munter hier thematische, örtliche und personale Kategorien vermischt werden. Bereits im kurzen "Entrée" ihres Buches resümiert die Autorin, dass es sich bei der gegenwärtigen Berliner Salonkultur um ein höchst lebendiges und flüchtiges Phänomen handelt, "das von ständigen Neugründungen und Niedergängen geprägt ist. Ein Großteil der ersten Salons, die um 1990 entstanden, existiert heute nicht mehr, viele sind seit Mitte der neunziger Jahre hinzugekommen."

Vor allem aber muss Saxe feststellen, dass nicht überall, wo Salon draufsteht, auch Salon drin ist: Ausgehend von einer Definition des Salons "als regelmäßigem Empfangsabend für einen literarisch und künstlerisch interessierten Kreis", zeigt sich, dass dieser Begriff häufig missbraucht wird. Missbraucht für kulturelle Veranstaltungen in öffentlichen Räumen, Veranstaltungen, die in der Lokalpresse angekündigt werden und für die Eintrittsgeld erhoben wird, Veranstaltungen, bei denen das Gespräch der Gäste nicht essentieller Bestandteil des Abends ist, so es denn überhaupt zustandekommt. Die mit dem Begriff des Salons verbundenen Assoziationen einer intimen Öffentlichkeit im privaten Raum, was die Definition Saxes nur unzureichend reflektiert, werden von den Organisatoren solcher Veranstaltungen als Werbemittel eingesetzt. Erwähnt seien in diesem Zusammenhang hier nur der literarische Salon Britta Gansebohm im Podewil, die "Pasta Opera" im Oxymoron in den Hackeschen Höfen oder die Salons der Volksbühne. Zum Erstaunen Cornelia Saxes lösen dagegen "gerade die privat- öffentlichen Treffen, die nicht explizit auf den Begriff des 'Salons' Bezug nehmen oder ihn eher ironisch verwenden, am ehesten den alten Begriff von der Konversationsgesellschaft ein." Sie nennt in diesem Zusammenhang die Teegesellschaften des Soziologen und Schriftstellers Nicolaus Sombart, den "ATW - Salon für angewandte Theaterwissenschaft" des polnischen Professors Andrzej Wirth und die literarischen Abende der Romanistin Carolin Fischer, wo junge Autoren ihr erstes oder zweites Buch vorstellen.

Manches deutet darauf hin, dass es weit mehr als die von Saxe präsentierten Salons gibt; Salons, die sich zwar oft nicht so nennen, aber den Namen durchaus verdienen würden. Man denke nur an die literarischen Abende, zu denen die Literaturagentin Karin Graf regelmäßig in ihre Charlottenburger Wohnung bittet. Da Karin Graf "Das gesellige Canapé" an den Quadriga Verlag vermittelt hat, ist wohl auszuschließen, dass Cornelia Saxe die Salonière Karin Graf entgangen sein könnte. Vielmehr offenbart sich an diesem Punkt das Dilemma ihres Buches: Es versucht einen Gegenstand ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken, der seinem Wesen nach ein nicht öffentlicher ist und dieses Wesen durch Scheinwerfer und Mikrophone verliert. Daher dürften die einflussreichsten Salonièren mit hochkarätiger Gästeliste nicht daran interessiert sein kund zu tun, wen sie zusammenbringen, wer bei ihnen mit wem worüber spricht, welche Ideen und Projekte bei solchen Gesprächen geboren werden... Ist doch der Schutz, den die Intimität des privaten Raumes gewährt, eines der Geheimnisse ihres Erfolges. Bezeichnenderweise schließt Cornelia Saxe ihr Buch mit einem "Brevier für den gelungenen Salon" für potentielle Salongründer einerseits und einer Adressliste öffentlicher Salons andererseits.

Gleichwohl beschreibt "Das gesellige Canapé" ein Phänomen, das eine eingehendere Analyse verdient hätte, für die Cornelia Saxe in ihrem "Entrée" durchaus etliche Anregungen liefert. Zentrale Frage bleibt nämlich, was Studentinnen wie Professoren, Politiker und Künstlerinnen, Hausfrauen wie Unternehmer dazu treibt, die Nachfolge einer Rahel Varnhagen, Henriette Herz oder Dorothea Schlegel antreten zu wollen. Unter die Lupe zu nehmen wäre in diesem Zusammenhang auch die Fülle der Stilisierungen, die der Begriff des Salons wie die berühmten historischen Salonièren immer wieder erfahren. Zeitungsberichte und Reportagen in Hochglanzmagazinen zeigen, dass es sich bei der Renaissance des Salons - anders als Saxe behauptet - keineswegs um ein rein Berliner Phänomen handelt, wobei noch zu klären wäre, ob der Salon denn überhaupt jemals gestorben ist. Auch dürften Mauerfall und Wiedervereinigung das Aufblühen der neuen Berliner Salonkultur zwar begünstigt haben, jedoch nicht die alleinige Ursache dafür sein. Erfolgreiche Vorläufer gab es schließlich bereits in den achtziger Jahren, im Osten wie im Westen. Allen voran die Teegesellschaften Sombarts, des von Saxe so genannten "Grandseigneurs des Berliner Salons". Vor allem wäre aber zu klären, welche Funktion der Salon als eine Form der intimen Öffentlichkeit im privaten Raum zu Beginn des 21. Jahrhunderts hat. In ihrem 1992 erschienenen Parforceritt durch 500 Jahre europäische Salongeschichte hatte Verena von der Heyden-Rynsch unter Verweis auf das "Literarische Quartett" behauptet, dass Talkshows heute die Funktion des literarischen Salons übernommen hätten. In Bezug auf die Rolle, die der Salon bei der Genese der bürgerlichen Öffentlichkeit und der Institutionalisierung literarischer Kritik im 17. und 18. Jahrhundert gespielt hat, mag das stimmen. Doch fragt sich, ob nicht auch umgekehrt ein Schuh daraus wird: Hat nicht vielleicht gerade die Flut der Talkshows, die das Intimste öffentlich machen, das Bedürfnis nach einer intimen Öffentlichkeit wie dem Salon geweckt?

Titelbild

Cornelia Saxe: Das gesellige Canape. Die Renaissance der Berliner Salons.
Econ Verlag, Berlin 1999.
240 Seiten,
ISBN-10: 3886793311

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