Lieber zweifeln

Friedhelm Decher seziert die Verzweiflung

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Friedhelm Decher, der bereits mit einem kurzweiligen Essay zum "Mittagsdämon" Langeweile und einem erhellenden Buch zum Thema Suizid hervorgetreten ist, widmet sich in einem dritten Bändchen dem der Langeweile und dem Suizid nicht ganz fern stehenden Affekt der Verzweiflung. Doch erklärt Decher gleich zu Beginn, die Lesenden dürften nicht auf eine "allseits zufriedenstellende Definition" des Untersuchungsgegenstandes hoffen. Vielmehr arbeitet er in mehreren eingrenzenden und zergliedernden Schritten dessen "konstituierende Strukturen" heraus. Zu diesem Zweck durchstöbert der Autor die Philosophiegeschichte nach hilfreichen Hinweisen, Anmerkungen und Philosophemen, wobei er namentlich in Kierkegaards dem Affekt gewidmeter Schrift "Die Krankheit zum Tode" nachschaut, sich beim Meisterpessimisten Schopenhauer kundig macht und mit Cioran den "wohl finstersten aller gegenwärtigen Denker" heranzieht. Aber auch Kant, Nietzsche, Heidegger oder Jaspers werden befragt.

Bei alledem referiert Decher nicht nur, sondern bewertet die Ausführungen der Philosophen - Frauen kommen nicht vor -, überprüft die Plausibilität ihrer Argumentationen und bezieht selbst Position. Insbesondere denkt er mit und gegen die Geistesheroen der Philosophiegeschichte darüber nach, wie dem so unerquicklichen Affekt zu begegnen sei. Auf die Vernunft, so erklärt Decher, könne man hier nicht setzen. Gegen "Vernunftargumente" sei der Verzweifelte "immun". Denn Verzweiflung sei nicht "vernunftgesteuert". Schließlich sei es ja auch "Unsinn, würde man behaupten: in einer bestimmten Situation rate uns die Vernunft, ab sofort sei es wohl besser zu verzweifeln". Das mag so sein. Aber eine andere eher denkbare Möglichkeit fasst Decher gar nicht erst nicht ins Auge: dass die Vernunft es für durchaus angemessen erklären könnte, angesichts eines misslichen Sachverhaltes - dem des Daseins etwa - zu verzweifeln.

Die Rettung vor der Verzweiflung muss Decher zufolge jedenfalls nicht in der Vernunft liegen, sondern muss woanders gesucht werden. Und er sucht und findet sie erstaunlich nahe - etymologisch jedenfalls. Im Zweifel nämlich; wenngleich er mit Wilhelm Weischedel lieber von einer "skeptischen Grundeinstellung" spricht. Schließlich kann man doch immer daran zweifeln, ob Verzweiflung wirklich angesagt ist. Sollte hiermit das Mittel gegen die "Krankheit zum Tode" gefunden sein, dann wäre es doch - entgegen Decher - die Vernunft, die vorm Verzweifeln schützen könnte; fallen Skepsis und Zweifel doch in ihren ureigensten Bereich.


Titelbild

Friedhelm Decher: Verzweiflung. Anatomie eines Affekts.
zu Klampen Verlag, Lünebürg 2002.
138 Seiten, 13,00 EUR.
ISBN-10: 3934920217

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