Neue Hamburger Sachlichkeit

Frank Göhre montiert einen Krimi

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ist das nun ein Schmöker oder nicht? Für Leser von Kriminalromanen, die vor allem auf der Suche nach dem adäquaten Nachfolger des letzten guten Krimis sind, mit dem sie lange Abende oder die vielen verregneten Nachmittage, die jetzt kommen werden, verbringen wollen, ist das die entscheidende Frage. Schmöker oder nicht Schmöker. Das sind Erwartungshaltungen, die nur schwer zu befriedigen sind, unabhängig davon, dass es größtenteils um Handwerk geht und nicht um das Genie, gerade in der Unterhaltungsliteratur. Das sieht man an den jüngeren Erfolgen etwa eines Frank Schätzing, dessen Romane vor allem erst einmal umfangreich sind und von ihren amerikanischen Vorbildern eine Menge gelernt haben. Erst in zweiter Instanz warten solche Texte mit neuen, interessanten und ungewöhnlichen Ideen oder Lösungen auf.

Ganz anders treten Bücher wie dieses von Frank Göhre auf. Sie spielen mit dem Genre, loten seine Grenzen aus und verschieben sie auch ein wenig. Weit genug jedenfalls, um aus dem immergleichen Erzähleinerlei des durchschnittlichen Krimis herauszuragen, andererseits nicht so weit, dass sie nicht mehr als Krimis gelten könnten.

Dabei zieht Göhre alle stilistischen Register, die ihm tauglich erschienen sind: Die Kapitel sind knapp und mit Verve erzählt, die einzelnen Handlungsträger schauen immer wieder unterschiedlich in die Welt hinein und manchmal auch sich gegenseitig an. Aufschlussreich und gut gemacht, wie sehr sich eine Figur ändern kann, wenn wir nicht mehr von außen auf sie blicken, sondern an ihrem Innenleben teilnehmen. Dabei greift er auch auf jene Errungenschaften der Moderne zurück, auf die der gemeine Literaturwissenschaftler besonders großen Wert legt: Montage, Innerer Monolog, Perspektivwechsel, Fragmentierung. Sogar bei der Neuen Sachlichkeit macht Göhre Anleihen, insbesondere bei seinen resümierenden Zwischenkapiteln, in denen er sämtliche Fakten und Handlungen sammelt, die irgendwie für den bisherigen wie weiteren Fortgang von Bedeutung sein könnten. Das liest sich dann phasenweise zum Beispiel wie jenes wunderbare Schlachthauskapitel aus "Berlin Alexanderplatz" oder wie die höchst lesenswerte Charakterisierung Deutschlands am Ende der zwanziger Jahre in Lion Feuchtwangers "Erfolg", sinnvoll modernisiert und an den Stil zu Beginn des 21. Jahrhunderts angepasst. Was will man also mehr als einen solch offensichtlich intelligenten Autor, der über sein Handwerkszeug souverän regiert.

Wo die Crux solcher Schreibweise liegt, lässt sich recht anschaulich an einem Vergleich von Klappentext und Romanverfahren zeigen. Der Paratext (also der Klappentext, Paratexte sind alle Texte, die um den Roman selbst herum eingerichtet werden) muss dabei notwendig auch die Leserinnen und Leser anlocken, die bei einem Blick in den Text selbst erst einmal zurückschrecken würden. Zu schwer, zu aufgesplittert, zu unübersichtlich, man kann sich ja gar nicht merken, wer nun wer ist. Mit dem Klappentext (der in diesem Fall auf der Rückseite des Krimis zu finden ist) sagen Autor und Verlag nichts anderes als: "Nun schau doch erst mal hin, eigentlich ist doch alles ganz einfach und die Geschichte, die erzählt wird, ziemlich fetzig": "Der St. Pauli Killer 'Zappa' hat seine Frau und sich getötet. Die spektakuläre Tat ist längst Geschichte. Doch Zappas Tochter kann das damalige Geschehen nicht vergessen."

Das könnte der Anfang einer wunderbaren Geschichte sein. Zappas Tochter will also Rache, aber es gibt eben noch die Gegenspieler, hier die drei Kripobeamten, die Zappas Fall und dessen Umfeld damals betreut haben. Die haben aber mitlerweile ihre eigenen neuen Probleme: Der eine sucht nach dem Fahrer des Wagens, der seine Tochter zum Krüppel gefahren hat, der andere muss sich mit der unklaren Beziehung seiner Frau zum Hamburger Innensenator plagen, der dritte betreibt ein Nobelrestaurant und ein Verhältnis zu eben jener Tochter, und irgendwie ist der Tod Zappas nun wirklich seltsam. Was also nicht von Amts oder Tochter wegen aufgerollt wird, kommt in Gang, nachdem sich alle Beteiligten vor allem um ihre Angelegenheiten kümmern. Und wie der Zufall so spielt, irgendwo hängt zumindest das Meiste irgendwie zusammen. Ob das komplex, kompliziert oder nur an den Haaren herbeigezogen ist, wird am Ende jeder nach eigenem Gusto entscheiden können.

Aber jenseits des Plots ist Göhres Text vor allem durch die Machart auffallend, und für den, der es mag, auch interessant. Der gestaffelte Aufbau des Plots, der in der Zusammenfassung noch einigermaßen übersichtlich ist, löst sich in den fragmentarisierten und gerafften Erzählpassagen in seine Einzelteile auf. Das Konstruktionsvermögen und der Überblick von Leser und Leserin sind gefragt. Doch auch wenn eine solche Anamnese normalerweise das Todesurteil für jeden Krimi ist - in diesem Fall lässt sich das einfach nicht sagen. Das mag daran liegen, dass Göhre seine Figuren zu mögen scheint und sie nicht mit der mittlerweile beliebig gewordenen Ironie belästigt. Das mag auch damit zusammenhängen, dass Göhre nicht nur gerissen zu (de-)konstruieren versteht (als hätte er eine "Einführung zur Erzähltheorie" gelesen), sondern auch passabel erzählt.


Titelbild

Frank Göhre: Zappas letzter Hit. Krimi.
Pendragon Verlag, Bielefeld 2006.
232 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-10: 3865320503

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