Bilder jenseits der Sprache und in der Sprache

Sabine Schneider untersucht die "Verheißung der Bilder" in der Literatur um 1900

Von Iulia DondoriciRSS-Newsfeed neuer Artikel von Iulia Dondorici

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die neueste Arbeit von Sabine Schneider - die als Habilitationsschrift an der Universität Würzburg angenommen wurde - beschäftigt sich mit den vielfältigen Beziehungen zwischen Literatur und Bild im deutschsprachigen Raum am Ende des 19. Jahrhunderts. Ihre Arbeit ist im Kontext der Bild- und Intermedialitätforschung zu positionieren, welche seit einigen Jahren auch in Deutschland an Bedeutung und Komplexität gewinnt und sich in vielen unterschiedlichen Richtungen in den Grenzgebieten zwischen Medienforschung, Bild-, Kunst- und Literaturwissenschaft entwickelt.

In diesem Kontext versteht sich die vorliegende Arbeit als ein genuin philologischer Beitrag zur aktuellen Diskussion, an der sich die Literaturwissenschaft "nur über ihre Kompetenz als Textwissenschaft" produktiv beteiligen kann. Die Arbeit von Sabine Schneider untersucht auf innermedialer Ebene die Art und die Rolle der Bilder in der deutschsprachigen Literatur um 1900, wobei sie ihre besondere Aufmerksamkeit auf die Produktivität der Bildparadigmen in den literarischen Werken von drei repräsentativen Autoren dieser Zeit richtet: Hugo von Hofmannsthal, Robert Musil und Reiner Maria Rilke. Schneider analysiert in ihrem komplexen Forschungsanliegen sowohl kunstkritische und wissenschaftliche als auch literarische Diskurse, die um das Thema Bild und die literarischen Strategien durch die Bilder in Texten der literarischen Moderne entstehen.

So hat Schneiders Arbeit ein doppeltes Ziel: Auf einer Seite untersucht sie die "literarischen Mittel der Bilderkunst der Moderne", und auf der anderen Seite stellt sie die Zusammenhänge zwischen dem "Bildwissen der Literatur" und den theoretischen Bild-Diskursen am Ende des 19. Jahrhunderts dar. Dabei liegt der Schwerpunkt der Untersuchung eindeutig auf der Analyse und Interpretation verschiedener Formen der Bildlichkeit in literarischen Werken um die Jahrhundertwende.

Die Arbeit ist in fünf Teile gegliedert. Der erste Teil untersucht die "poetologischen Konsequenzen medialer Grenzgängigkeit" und beinhaltet die Thesen und die Prämissen der Analyse. Zwei weitere Teile beschäftigen sich mit der Analyse und Interpretation textueller Bilder in ausgesuchten Werken von Hofmannsthal, Musil und Rilke, unter anderem "Das Glück am Weg", "Sommerreise" (von Hofmannsthal), Musils Früwerk, insbesondere die Novellen "Vereinigungen" und "Törleß" sowie die "Neuen Gedichte" und die "Briefe über Cézanne" von Rilke. Am Anfang ihrer Arbeit werden komplexe und bedeutsame Verbindungen zwischen der Sprachkrise - eines der wichtigsten, die Moderne kennzeichnenden Phänomene - und Bildern als "mediale Herausforderung an die Sprache" gestellt. Diese Konstellation wird als ein für die Moderne "konstitutives Kriterium" interpretiert.

In den darauf folgenden Kapiteln befasst sich die Autorin unter Verwendung texhermeneutischer Verfahren mit der Interpretation der textuellen Bilderzeugung. Ein wichtiger Abschnitt der Arbeit ist den außerliterarischen Bild-Diskursen gewidmet und stellt somit heraus, dass die Problematik des Bilds und insbesondere der Text-Bild-Beziehungen ein sehr wichtiges Thema in der Epoche waren, wobei die bildenden Künste "eine semiotische Vorreiterrolle" für die Literatur besaßen. So gewannen beispielsweise Rilke und Hofmannsthal "wesentliche poetologische Kriterien durch eine sehr präzise semiologische Auseinandersetzung mit den Werken van Goghs und Cézannes".

Im letzten Teil ihrer Arbeit analysiert Schneider das Scheitern dieser "semiotischen Utopie der Zeichenfülle" anhand von Hofmannsthals "Elektra". Das Drama wird "zugleich [als] ein Höhepunkt und als nicht mehr weiterzutreibender Endpunkt einer Poetik des Visionären" und als poetologischer Text bezeichnet, der sich "mit der semiotischen Utopie des eigenen Schreibens auseinandersetzt und sie kritisch hinterfragt".

Die Bilder-Problematik in der Moderne stellt schon deswegen ein spezielles Interessensgebiet der Forschung dar, weil Bildlichkeit in dieser Zeit nicht - wie üblich - mit Anschaubarkeit gleichgesetzt werden kann. Von dieser Prämise ausgehend stellt Sabine Schneider die These auf, dass in der Literatur der Jahrhundertwende die Bilder die Rolle einer "produktiven Verunsicherung", den Reiz der medialen Übergänge und der Erstellung semiotischer Utopien in der Sprache einnahmen. Um die vielfältigen Beziehungen zwischen Bild und literarischer Sprache untersuchen zu können, arbeitet die Autorin - in Anlehnung an den amerikanischen Theoretiker W.J.T. Mitchell und an Helmut Pfotenhauers Ansätze über literarische Bilder - mit einem weiten und integrativen Bildbegriff. Bilder in der Moderne, so die Überzeugung von Sabine Schneider, sind "Katalysator für mediale und semiotische Reflexivität" innerhalb der Literatur. So haben Rilke und Hofmannsthal unter den Autoren der Moderne in ihren Werken paradigmatisch die "semiotische Implikation" der Bilder für die Literatur herausgearbeitet.

In Anlehnung an Pfotenhauer definiert Sabine Schneider den Bild-Begriff, auf dem ihre Arbeit basiert, als "Markierungen von medialen Schwellen und ihrer Überschreitung in Texten", als "Simultaneitätseffekte, durch Rahmungen und Stillstellungen der Erzählfinalität herausgehobene Konfigurationen, vielfach auch Umschreibungen von realen Bildern der Kunstgeschichte". Die Beschäftigung der Literatur mit den Bildern um 1900 kann hauptsächlich als eine "medienbewusste Poetik der Evidenz" verstanden werden. Die Bilder erzeugen mit literarischen Textstrategien Präsenz, die Illusion eines "Jenseits der Sprache in der Sprache", wobei die so genannten "inneren" Bilder eine wichtige Rolle sowohl in den wissenschaftlichen als auch in den literarischen Texten spielten.

Der wichtigste Verdienst dieser Arbeit liegt in den umfassenden und vielfältigen, miteinander verknüpften Perspektiven, in denen die Bild-Text-Beziehungen im Kontext der Jahrhundertwende analysiert werden. Durch die detaillierten Interpretationen wird die ausgesprochene Komplexität der Bild-Problematik dieser Epoche und ihre besondere Relevanz für die literarischen Diskurse demonstriert. Darüber hinaus ist Sabine Schneiders Arbeit eine der wenigen wissenschaftlichen Arbeiten größeren Umfangs, die sich der Bilderproblematik in der Literatur mit Hilfe analytisch-hermeneutischer Verfahren und rezeptionsästhetischer Ansätze widmen.


Titelbild

Sabine Schneider: Verheißung der Bilder. Das andere Medium in der Literatur um 1900.
Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2006.
404 Seiten, 78,00 EUR.
ISBN-10: 348418180X

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