Gesichter der Stadt

David Baileys Bildband "Havana" zeigt Einwohner und einige wenige Detailansichten der kubanischen Hauptstadt

Von Felix KötherRSS-Newsfeed neuer Artikel von Felix Köther

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

David Bailey ist einer der etabliertesten Modefotografen und Porträtisten. Er arbeitete beispielsweise für die "Vogue" und lichtete zahlreiche Persönlichkeiten aus Film, Musik und Hochadel ab. In diesem Herbst erschien nun bei Steidl ein neuer Bildband von ihm, der Bilder aus und von der kubanischen Hauptstadt Havanna zeigt.

Bereits beim ersten Durchblättern fällt die - wohl unvermeidliche - Dominanz der Porträts und Nahaufnahmen auf. Bailey versucht die Stadt mit Porträts zu skizzieren und so die soziale und historische Masse, die eine Großstadt wie Havanna besitzt, in eine solche aus Mimik und Gestik zu übersetzen - und lässt so besonders die Einwohner still zu Wort kommen. Skurrilen Figuren wie alten, verknitterten, kubanischen Dandys mit Zigarre und greisen, verbrauchten Gesichtern stehen so im Alltag und auf der Straße en passant Fotografierte, Arbeiter, Künstler, Gläubige und die Mitglieder einer Folklore-Gruppe gegenüber. Mehr als ein Lächeln wirkt aufgesetzt, mehr als ein Gesicht bleibt ernst, und doch findet man auch Bilder mit einer strahlenden Braut, mit spielenden Kindern und mit den jungen, verbissenen Faustkämpfern einer Boxschule.

Neben den Porträts betont Bailey auch die religiösen Elemente im Leben der Kubaner, indem er zeigt wie sich der Katholizismus und die Santería, die zweite kubanische Hauptreligion, im Alltagsleben niederschlagen. Weitere Motive sind etwa Straßenszenen, Innenansichten kärglicher, kleiner Läden, natürlich die Verehrung der Revolution und die alten amerikanischen Autos, die wohl nur in Kuba in dieser Menge überlebt haben und eines der Klischees schlechthin darstellen. Bilder von Architektur und Stadtbild sucht man dagegen fast vergeblich.

Bailey selbst sagt über das Buch, es schaue "auf die Oberflächen der Stadt" und wolle "keine Erforschung der Seele sein", sondern "Impressionen eines Ortes" versammeln. Allerdings ist es fraglich, inwieweit man sich auf die Oberflächen der Stadt und auf keinerlei Erforschung ihrer Seele beschränkt, wenn man hauptsächlich Porträts von Einwohnern in einem solchen Buch zusammenträgt, in dem noch dazu über weite Strecken eine triste, melancholische Stimmung vorherrscht. Die Baufälligkeit der gezeigten Gebäudefragmente, die Bailey abbildet, rostiges oder veraltetes Alltagsinventar, die ernsten Madonnen und Heiligenfiguren, ein Friedhof unter dunklen Wolken, der verrostete und umgekippte Wegweiser, der den Zierpfosten eines Grabes umgestoßen hat, die verbrauchten Mienen einer Reihe der Porträtierten - all das sorgt für eine über weite Strecken ausgesprochen düstere Stimmung. Man fragt sich unweigerlich nach dem Durchblättern einiger Seiten, wie repräsentativ oder objektiv Baileys Bilder für das reale Havanna sein können. Und man kann nicht behaupten, dass Bailey die durchaus vorhandene Attraktivität, die Lebendigkeit oder den Charme, den eine Stadt, in der zwei Millionen Menschen leben und deren Altstadt immerhin zum Weltkulturerbe gehört, ausreichend oder überhaupt darstellt. Im Gegenteil, die Bilder sind für Havanna wenig vorteilhaft.

Es scheint, als versuche Bailey ein explizit authentisches Bild zu liefern, als versuche er mit Klischees aufzuräumen. Doch er schafft beides nicht. Und die Lage in Kuba ist nun wirklich nicht so dramatisch, wie er es darstellt, wenn er schreibt, die "äußerste Armut des Landes erscheint vor dem Hintergrund, dass es nur einen Steinwurf von der reichsten Nation entfernt liegt, um so auffälliger". Der Fotograf hat sich in seinem Bestreben, die Kluft zwischen dem reichen Amerika und dem armen Kuba zu zeigen, in Porträts und selektiven Details verloren und das Ganze wie auch die Objektivität wortwörtlich ausgeblendet.

Natürlich gibt es auf Kuba auch Armut oder defizitäre Wirtschaft. Natürlich ist der Zugang zu Konsumgütern für viele Einwohner nach wie vor eingeschränkt. Aber dennoch handelt es sich um ein Land, das gemäß seinem HDI, dem den Lebensstandard eines Landes messenden Human Development Index, noch vor Russland, China und über fast allen anderen lateinamerikanischen Ländern liegt. Postkarten-Panoramen und Palmen unter blauem Himmel wären selbstverständlich ebenso wenig authentische Motive gewesen; aber einen Bildband zu publizieren, der die Armut und damit das wahre Gesicht dieser Stadt zeigen soll, und der Havanna mit seinen Einwohnern wie irgendeine heruntergekommene, lateinamerikanische Hafenstadt erscheinen lässt, ist dann doch reichlich naiv - und verfehlt. Für einen Kubaner erschiene das Buch wohl schon deshalb wie imperialistische Propaganda.

Insgesamt besitzt der Bildband für Liebhaber, die Kuba bereits nahe stehen und die eine neue Perspektive hinzugewinnen wollen, ebenso wie für Anhänger der Porträtfotografie seinen Reiz. Und wer sich die Zeit nimmt, entdeckt durchaus eine Reihe subtiler, charmanter Details.

Für jemanden, der sich der Karibikinsel mit diesem Bildband erst nähern will, könnte er aber schnell langweilig werden. Entgegen oder gerade wegen Baileys Erklärung, nur Impressionen zu versammeln, bleibt am Ende auch zu fragen, in welchem Maße fast ausschließlich Porträts der Einwohner die Gesichter einer Stadt zeigen.


Titelbild

David Bailey: Havana.
Steidl Verlag, Göttingen 2006.
176 Seiten, 45,00 EUR.
ISBN-10: 3865212700

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