Figuren der Ähnlichkeit

Andre Rudolph beschreibt Johann Georg Hamanns Analogiedenken im Kontext des 18. Jahrhunderts

Von Andreas KorpásRSS-Newsfeed neuer Artikel von Andreas Korpás

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Wie die Natur uns gegeben, unsere Augen zu öfnen; so die Geschichte, unsere Ohren. Einen Körper und eine Begebenheit bis auf ihre ersten Elemente zergliedern, heißt, Gottes unsichtbares Wesen, seine ewige Kraft und Gottheit ertappen wollen", schreibt der Königsberger Johann Georg Hamann 1759 in den "Sokratischen Denkwürdigkeiten".

Denkwürdiges liefert auch eine im Frühjahr 2006 erschienene Arbeit zum Analogiegebrauch bei J. G. Hamann. Unter dem Titel "Figuren der Ähnlichkeit. Johann Georg Hamanns Analogiedenken im Kontext des 18. Jahrhunderts" arbeitet Andre Rudolph die Kontinuität des analogen Denkens von der griechischen Antike bis zu Immanuel Kant heraus. Analogie ist, so die These Rudolphs, kein Randphänomen des wissenschaftlichen Diskurses im 18. Jahrhundert. Es lässt sich auch nicht von einem Verschwinden des Denkens in Ähnlichkeiten im Übergang von der Renaissance zur Aufklärung sprechen, wie Michel Foucault in "Die Ordnung der Dinge" behauptet hatte. Vielmehr war das analoge Denken immer präsent und wird noch von Goethe als zuverlässiges Werkzeug des Naturforschers betrachtet. Analogie baut dabei auf einer Denkstruktur auf, die den Zusammenhang alles Seienden im Augenblick der Schöpfung postuliert, oder, wie Alexander Pope sagen würde, sich als "vast chain of being" ontologisch manifestiert.

Der Verfasser zeichnet in seiner Dissertation schrittweise die Entwicklung des Analogiebegriffes nach. Dabei lässt sich eine ursprüngliche Qualifikation der Analogie als Mittel der rhetorischen Verführung bei Sokrates konstatieren. Dieser Befund wird durch eine kosmologische Erweiterung des Analogiebegriffes in Platons "Timaios" ergänzt. Platon zufolge habe der Schöpfer sein Werk selbst im Wissen um Proportionen und Ähnlichkeiten begonnen. Die Harmoniesucht der Renaissance hängt dann ganz eng mit dieser platonischen wie neuplatonischen Bestimmung der Analogie als Proportion zusammen. Musik und Mathematik, Mensch und Natur erscheinen in diesem Weltbild in vollkommener Einheit. Ficinos Seelenlehre der "Theologia Platonica" zehre deutlich von diesem Wissen. Ebenso seien Keplers "Harmonia mundi" und Newtons "Principia mathematica" auf diesem epistemischen Gerüst errichtet.

In der Untersuchung des 18. Jahrhunderts und dessen Verhältnis zur Analogie als wissenschaftlicher Methode wird der britische Empirismus eines Bacon und Locke ("the rule of analogy") als Ausgangspunkt favorisiert. Für die deutsche Tradition des Analogiedenkens wird G. W. Leibniz als Kronzeuge angeführt, dessen primär naturwissenschaftlicher Analogiegebrauch noch auf Bonnet, Herder und romantische Denker des 18. Jahrhunderts ausgestrahlt habe. Weiterhin erwähnt Rudolph verschiedene Analogiemuster, die aus der scholastischen Rezeption aristotelischer Logik abgeleitet wurden und mit der "analogia fidei" der Bibelhermeneutik in Zusammenhang stehen. Schließlich werden die "Deutsche Metaphysik" Christian Wolffs, Moses Mendelssohns "Gedanken über die Wahrscheinlichkeit" und Johann Bernhard Basedows "Philalethie" erwähnt. Im Sinne einer "ars inveniendi", einer poetischen Erfindungskunst, wird die Analogie bei Johann Jacob Breitinger und Alexander Gottlieb Baumgarten gebraucht. Als Instrument der Vernunft findet sie ihren Niederschlag in Baumgartens "Metaphysica" und Johann Heinrich Lamberts Werk "Neues Organon oder Gedanken über die Erforschung und Bezeichnung des Wahren und dessen Unterscheidung vom Irrtum und Schein".

Auf dieser philosophiehistorischen Basis aufbauend, wendet sich Rudolph dem Analogiegebrauch bei J. G. Hamann zu. Er sieht darin "ein bedeutsames argumentatives und stilistisches Kennzeichen von Hamanns Texten. " Hamann sei allerdings nicht an einer terminologischen Präzisierung des Begriffes interessiert. Er verwende, anders als Kant, Analogie in einem sehr weiten Sinne, der mit "Figuren der Ähnlichkeit" umschrieben werden könne. "Die Semantik des Begriffs umfaßt bei Hamann", so Rudolph, "Verähnlichung, Entsprechung, Übereinstimmung, aber auch Gleichnis und Bild. " Allerdings gelte dies hautpsächlich dann, wenn Hamann über Analogien spreche. Wenn er sie statt dessen funktionalisiere, verwende er sie ganz im Sinne Platons und Aristoteles' als vierstellige geometrische Proportion. Gerade auf der Basis der analogischen Betrachtungsweise könne sich das "Gestrüpp" der Haman'schen Texte erschließen lassen, denn fast immer präsentieren sie in ihrer Grundstruktur "eine analogisch geordnete Symmetrie. "

So exzerpiere Hamann den Schotten Hume vor allem dann, wenn in dessen Schriften Bezüge zum analogen Denken auftreten. Er beschäftige sich in seiner Londoner Zeit mit englischer Physikotheologie und deistischer beziehungsweise antideistischer Religionslehre immer mit Blick auf die "Analogien der Offenbarung". Er ist fasziniert von den Schriften des reformierten Theologen James Harvey. Er rezipiert den Naturwissenschaftler Robert Boyle, der aus einem mechanistischen Weltbild heraus die Existenz und Herrlichkeit Gottes aus dem argument from design beweisen will. Die Wohlgeratenheit der Welt, ihre mathematisch präzise Ordnung lasse an der planvollen Schöpfung keinen Zweifel. Zwischen der Natur und ihrem Buch, der Bibel, bestehe also nur ein gradueller Unterschied. Der frühe Hamann zeige sich interessiert an Modellen der natürlichen Religion, aber auch an Argumenten für ein christologisch zentriertes Gottesbild. Hamann argumentiert in einer für das 18. Jahrhundert gebräuchlichen Argumentationslinie. Gott habe sich sowohl in der Natur als auch im Wort offenbart. Zwischen beiden Ebenen bestehe eine grundsätzliche Analogie. Die Heilige Schrift wird damit zum Buch, in dem die Geschichte der Schöpfung niedergeschrieben ist.

Neben den Aspekten der "Gnade" und den "Physikotheologischen Aspekten" gibt es im christlich inspirierten Denken Hamanns noch eine weitere Bezugsgröße, die mit dem imago dei - Muster der Schöpfung zu tun hat. Die Schöpfung aus dem Bilde Gottes führt ja konsequent auf ein Denken in Ähnlichkeiten. Rudolph spricht hierbei auch von einer "Imagologie", die nicht zuletzt auf eine vom Schöpfersohn Jesus Christus wesentlich inspirierte Schöpfung verweist und die Haman bei seinem Lehrer Martin Knutzen kennen gelernt hatte. Dieser Komplex wird von Rudolph mit dem Verweis darauf herausgearbeitet, dass "Hamann hinsichtlich seines Analogiegebrauchs an apologetischen Diskursen britischer Herkunft partizipiert. "

Die frühen Londoner Schriften lassen eine "theologische, epistemologische und rhetorisch-poetische Figuration des Ähnlichen" aufscheinen. Daneben wird für Hamann die "rhetorica sacra", die Bild- und Gleichnisrede Gottes, von großer Bedeutung. Auf dieser Denkfigur fußt schließlich die bekannte Äußerung Hamanns, dass "Gott ein Schrifsteller! " sei, der die Genieästhetik ebenso wie die romantisch-idealistische Poetologie beflügelt hat. In den "Sokratischen Denkwürdigkeiten" ist es die Figur des Sokrates, die mit den Figuren Jesus Christus, Paulus und J. G. Hamann selbst analogisiert wird. Rudolph spricht in diesem Zusammenhang auch von "Typologie". Der Begriff evoziere eine Semantik, die über "Analogie, Ähnlichkeit, Figur, Bild, Vorbild, Muster, Exempel" und "Gleichnis" reiche. Schließlich bewegt sich Rudolph in seiner Analyse des Haman'schen Analogiegebrauches auf eine der interessantesten und für die deutsche Geistesgeschichte des 18. Jahrhunderts folgenreichsten Konstellationen zu, die in der fruchtbaren Kontroverse zwischen J. G. Herder und J. G. Hamann zu suchen ist. Auf diesem Weg pausiert der Autor kurz, um das Verhältnis des Königsbergers zu E. Youngs "Night-Thoughts" auf ihre Analogiebezüge hin zu untersuchen.

Herders "Abhandlung über den Ursprung der Sprache" wird, Rudolph zufolge, gerade durch ihre zahlreichen Bezüge zur Thematik des analogen Denkens zur Angriffsfläche für Hamanns Kritik. Herder steht, wie der Freund J. G. Hamann, in der Tradition Leibniz', Bonnets und anderer Denker des Ähnlichen. Hamann betrachte die Antwort auf die Preisfrage nach dem Ursprung der Sprache als Inszenierung, als "Action im theatralischen Verstande". In seiner Replik auf Herders Schrift, die unter dem Titel "Des Ritters von Rosencreutz letzte Willensmeynung über den göttlichen und menschlichen Ursprung der Sprache" gedruckt werden sollte, aber durch den Zusatz "Au Salomon de Prusse" das Interesse der Zensur auf sich zog, bringt Hamann seine eigene Theorie des Sprachursprungs ins Spiel. Ihr zufolge sei die Sprache durch die Analogie von göttlichem und menschlichem Wesen als menschlich, aber auch als göttlich zu bezeichnen. Herders analoges Argumentationsmuster wird parodiert, indem Hamann Essen und Trinken als "geerbte und künstliche Sitte" bezeichnet. Für nachfolgende Generationen hat sich Hamann damit in gewisser Weise disqualifiziert. Seine These über den Sprachursprung ist erst von der neueren Hamann-Forschung wieder zum Gegenstand wissenschaftlicher Auseinandersetzung gemacht worden.

Die Arbeit Rudolphs ist gut recherchiert und behandelt ihren Gegenstand angemesen. Allerdings wartet sie nicht mit starken oder überraschenden Thesen auf. Ihr Verdienst liegt eher im Nachweis der Vielfältigkeit und Konsequenz, mit der Hamann sich analoger Denkmuster bedient hat.

Andre Rudolph ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsprojekt "Die Aufklärung im Bezugsfeld neuzeitlicher Esoterik" des Interdisziplinären Zentrums für die Erforschung der Europäischen Aufklärung der Universität Halle-Wittenberg und hat Artikel zu Hamann, Klopstock, Shaftesbury, Lichtenberg und Herder veröffentlicht. Die Dissertation ist 2006 bei Niemeyer in Tübingen als Band 29 der "Halleschen Beiträge zur Europäischen Aufklärung" erschienen. Empfehlenswert ist sie für den philosophisch interessierten Leser mit einem Grundwissen um die naturwissenschaftlichen und philosophischen Diskurse der Aufklärung und einem gesteigerten Interesse an den Ambivalenzen des 18. Jahrhunderts. Für denjenigen Leser, der sich für die geistesgeschichtliche Tradition des analogen Denkens interessiert, ist die Lektüre verbindlich.


Titelbild

André Rudolph: Figuren der Ähnlichkeit. Johann Georg Hamanns Analogiedenken im Kontext des 18. Jahrhunderts.
Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2006.
266 Seiten, 82,00 EUR.
ISBN-10: 3484810297

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