Der Weg der musikalischen Masken

Der Reader "Popjournalismus" changiert zwischen Kritik und der Begeisterung des Fans

Von Christian WerthschulteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christian Werthschulte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vor ein paar Wochen rettete ich einen riesigen Stapel steinalter Ausgaben der "Spex" vor dem Altpapier. Damals war ich mir der Bedeutung meines Unterfangens nicht bewusst, aber die Lektüre des Sammelbands "Popjournalismus" lehrte mich eines Besseren. Diederich Diederichsen, in Spex 5/88 (Titelgeschichte: The Fall) als V.i.S.d.P. aufgeführt, ist nach den Worten Felix Bayers "der größte deutsche Journalist und Theoretiker auf dem Gebiete der Popkultur". Und als Zeichen der Heldenverehrung widmet Bayer einem Artikel von Diederichsen aus der "Sounds" einen ausführlichen Fußnotenapparat, in dem er Diederichsens Huldigung an die Diva Grace Jones ("Slave to the Rhythm") in Werk und Rezeption des Kölner Journalisten einbettet und zu dem Schluss kommt: "Hier ging es darum, die Masken als solche ernst zu nehmen, zu zeigen, was sie bedeuten."

Dass dieser semiologische Ansatz nur eine der Formen ist, in denen sich der Versuch, Töne in Worte zu übersetzen, ohne auf die Abstrakta der Musikwissenschaft zurücktzugreifen beweist der von Jochen Bonz, Christoph Büsche und Johannes Springer herausgegebene Reader mit bleibendem Eindruck. "Ich bin das Außen, welches sich dem Innen, dem Track, dem Song, der Stimme, dem Sound, den ProduzentInnen mit verbalen Bedeutungszuweisungen anverwandelt [...]. Nachgefragt, was ich jenseits des / der Anderen bin, ist das wohl eher das / die Unbeschriebene - und als solche weiß ich gar nicht, wer ich bin, wenn ich da so über diese oder jene Musik schreibe", leitet Pinky Rose das mit ihr geführte Interview ein, welches interessante Einblicke in die Bedingungen des Popjournalismus in der Bremer Pop-Peripherie und damit verbundene Verortungsschwierigkeiten bietet und leider auch der einzige Beitrag einer Autorin bleibt. Die Provinz zu schätzen weiß auch Klaus Fiehe, langjähriger Radiomoderator beim WDR-Sender "Eins Live", der in einem ausführlichen Interview über geänderte Bedingungen des Radiomachens spricht, die sich auch beim Kölner Sender wiederfinden lassen. Fiehe zufolge zeichnet sich dieser Wandel durch einen Verlust an Kontextualisierung aus, der zu nichtssagenden und fehlerhaften Beiträgen führt. In den Jugendradios selbst sei Musik mittlerweile nicht mehr profilbildend, diese Aufgabe werde durch die Moderation oder die mit großem Aufwand produzierten Comedy-Formate erfüllt.

Dass die in diesen Interviews verhandelten Fragestellungen zu individuellen und institutionellen Rahmenbedingungen von Popjournalismus den roten Faden des Bandes ausmachen, verwundert nur wenig. Das von Jochen Bonz und Alexis Waltz geführte Gespräch mit Diederich Diederichsen dreht sich bemerkenswert lange um Veränderungen feuilletonistischer Kompetenz und seine Annäherung an Pop, die Alexis Waltz zu der Aussage inspiriert, dass im Feuilleton auch die Hochkultursparten mittlerweile nur noch popjournalistisch, das heißt ohne spezialisierte Kompetenz gefüllt würden.

Nun ist diese "Alles ist Pop"-These nicht besonders neu und wird im gleichen Band auch ein einschränkend konkretisiert. Jochen Bonz stellt in seinem Beitrag zwei Subjektpositionen zeitgenössischen Schreibens über Popmusik gegenüber: ein Erlebnisbericht des SZ-Journalisten Oliver Fuchs über das französische Elektronikprojekt Air und mehrere Rezensionen von Alexis Waltz, die in der Groove veröffentlicht wurden. Vor dem Hintergrund von Dick Hebdidges wohl mittlerweile als klassisch zu bewertendem Subkulturbegriff entdeckt er in Fuchs' Text eine "Schwächung der symbolischen Identifikation in dem Umstand, dass die Welt keinen Raum zu bilden scheint, in dem die Dinge in einer für das Subjekt dieser Welt angenehmen, deutlichen, interessanten und vor allem selbstverständlichen Weise sprechen", während die stärker einer spezialisierten Subkultur verhafteten Reviews haushaltsgeläufiger Producer eine starke Ordnung des Symbolischen (also der Subkultur) erkennen lassen, in welcher das Symbolische jedoch nicht als Modus der Identifikation funktioniert. In beiden Fällen dient Musik jedoch dazu, den "Weltraum der Subjektivität" herzustellen.

Ein weiteres Beispiel für eine Ausdifferenzierung des Schreibens über Pop sind die vier von Felix Klopotek skizzierten Formen des Schreibens: das diskursive, politische, literarische und idiosynkratische Schreiben, die der Kölner Autor in Texten von Rainald Goetz, David Toop, Helmut Salzinger, dem ein anderer Beitrag übrigens eine kurze biographische Skizze widmet, sowie der Ausnahmeerscheinung Clara Drechsler identifiziert. Klopoteks ironische Collage der musikkritischen Schreibstile weist gleichzeitig auch auf eine andere Stärke des Bandes hin: die stilistische Vielfalt der veröffentlichten Texte. Collagen stehen neben ausführlichen Interviews, wissenschaftlicher Prosa und introspektiver Reflexion anhand von Hörerfahrungen, Eric Peters schildert in einem semi-autobiografischen Text seine Begegnungen mit dem Diskurspop von Tocotronic, die gefühlte Politisierung durchs Plattenhören und das Aufkündigen einer langjährigen Freundschaft.

Den Rahmen des Readers erweitert auch der Text von Johannes Springer über "Popjournalismus als Feld der Kulturarbeit", der in parodierender Soziologenprosa die Frage nach der Vorreiterrolle vermeintlich subversiver künstlerischer und journalistischer Arbeitsformen als Modell für eine Flexibilisierung und Prekarisierung der Arbeitswelt in wenig beruhigender Form beantwortet: "[E]ine wesentliche Modifizierung bei der Aneignung eigensinnigen, veränderungsinspirierten Denkens durch den Neoliberalismus ist, dass sie gewiss keineswegs auf tatsächliche Unterminierung oder Veränderung von Hegemonie abzielt, sondern im Gegenteil konstituierende oder stabilisierende Kräfte besitzt. Die Integrationsmaschine des Systems lässt daran leider kaum noch zweifeln."

Damit liefert er eine dringend notwendige Korrektur zu den Entwürfen Berliner Digitalbohèmiens, die allerdings auch einen weiteren Einwand nicht aus der Welt räumen kann. Wer anhand solcher Befunde noch die Gelegenheit zu 200 Seiten Lektüre über Popjournalismus wahrnehmen soll, beantwortet dieses Buch leider nicht.


Titelbild

Jochen Bonz / Michael Büscher / Johannes Springer (Hg.): Pop Journalismus.
Ventil Verlag, Mainz 2005.
205 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-10: 3931555895

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