"Seel-Sorger" der Seinen

Über Martin Walsers Essay "Der Lebensroman des Andreas Beck"

Von Anton Philipp KnittelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anton Philipp Knittel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Martin Walser ist ein Liebes-Lebens-Lesensbegeisterter und -begeisternder. Wenn er über Kolleginnen und Kollegen schreibt, entstehen in den meisten Fällen brillante Essays, die wirkliche "Liebeserklärungen" sind, wie der Titel seines wunderbaren, vor beinahe einem Vierteljahrhundert erschienenen Essaybands lautet.

Für viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller der Bodenseeregion ist Walser zudem seit Jahrzehnten ein unermüdlicher, selbstloser Mutmacher und Förderer. Viel verdanken seinem Eintreten etwa die drei oberschwäbischen Marien, die Schriftstellerinnen Maria Beig, Maria Müller-Gögler und Maria Menz, wie nicht zuletzt im jüngst edierten ersten Band der Briefe von Maria Menz deutlich wird (Maria Menz: Briefe. Hrsg. von Claus-Wilhelm Hoffmann im Auftrag der Oberschwäbischen Elektrizitätswerke und der Stiftung Literaturarchiv Oberschwaben. Band I: Briefwechsel mit Martin Walser. Eggingen: Edition Isele 2005): fordernd und fördernd, kritisierend und lobend, hilft Walser der verletzlich wie starken, eigenwilligen Menz "eine schöne und reiche Ernte" einzufahren.

Ebenso verdanken andere wie Arnold Stadler, Egon Gramer oder Karl-Heinz Ott den Walser'schen Liebeserklärungen und Leseerfahrungen einiges. Dabei ist es gewiss nicht der gönnerhafte Großschriftsteller, der sich den Texten seiner Gegenüber widmet, sondern einer, der sich existenziell ansprechen lässt: "Ich muss gestehen, ich lese nicht zu meinem Vergnügen, ich suche weder Entspannung noch Ablenkung, noch andere Freuden dieser Art. Ein Buch ist für mich eine Art Schaufel, mit der ich mich umgrabe. Obwohl ich das nicht zu meinem Vergnügen tue, sondern einfach aus einem Bedürfnis, für das ich keine Gründe mehr anzugeben weiß, keine Gründe auf jeden Fall, die von anderer Art wären, als die, die uns veranlassen zu atmen oder zu essen, trotzdem macht mir das Lesen, dieses Herumgraben in mir selbst, oft mehr Vergnügen als das Atmen, ja es macht mir zuweilen sogar das Atmen wieder vergnüglicher", wie es zu Beginn seines Proust-Essays (1958) heißt, der zugleich die "Liebeserklärungen" eröffnet.

Es gibt gegenwärtig keinen zweiten deutschsprachigen Schriftsteller vom Format eines Martin Walser, der sich solcherart seit Jahrzehnten mit seinen einfühlsamen und 'nachgetragenen' "Liebeserklärungen" erfolgreich als Literaturkritiker und Literaturförderer einsetzt. Walser ist ein wahrer und wahrhaftiger "Seel-Sorger" für die Seinen, wie es jüngst in einem Interview der Konstanzer Arzt und Schriftsteller Andreas Beck im "Südkurier" ausgedrückt hat.

Dem knapp 56-jährigen promovierten Theologen und Chefarzt am Konstanzer Klinikum Andreas Beck, Leiter des dortigen Instituts für Röntgendiagnostik und Nuklearmedizin, der als Autor einiger Prosabücher gleichwohl bislang nur wenigen bekannt sein dürfte, widmet Walser nun einen knapp 70 Seiten zählenden Essay unter dem Titel "Der Lebensroman des Andreas Beck seinen Büchern nacherzählt von Martin Walser".

In sechs Schritten nähert sich Walser dem Beck'schen "Lebensroman", wobei er auch den Maler Beck einbezieht. Elf, teilweise farbige Abbildungen der Beck'schen Aquarelle und Tuschezeichnungen sind dem schmalen Bändchen beigegeben, denn: "Andreas Beck ist der Welt und Wirklichkeit immer zweifach zugetan oder ausgeliefert, als Schreibender und als Malender", schreibt Walser einleitend.

Beginnend mit dem "Spanien-Buch" und dem "Portugal-Buch" wirft er sodann einen Blick auf das "Schulzeit-Buch", nämlich auf Becks "Des Seligen Suso unheilige Schüler" aus dem Jahr 2003. Kapitel 3 behandelt die Frage des Beck'schen "Glaubens", während das nächste Kapitel sich dem "Menschenfreund" widmet. Kapitel 5 gilt der "Geschichte", das letzte dem "Schriftsteller".

Walser folgt dem jungen Theologiestudenten Beck nach Spanien, um festzustellen: "Wem das Heftige so ins Sprachliche gerät, der ist ein Schriftsteller". Dabei konstatiert er, dass Becks "Glaube immer de(n) Grundton in allen ihm möglichen Tonarten" markiert, wobei Walser die eigenen Leseerfahrungen preisgibt: "Der Jugend-Stil des Studenten lebt sich so aus, dass man sich nicht wehren kann gegen ihn. Ich auf jeden Fall folge ihm, wohin er mich haben will. Zwischendurch meldet sich in mir immer wieder eine Art Einverständnis mit meinem Immer-noch-katholisch-Sein, das heißt, ich bin als Andreas-Beck-Leser immer wieder mal froh, dass ich nicht ausgetreten bin, wie etwa der große Katholik Heinrich Böll. Der sei, heißt es, ausgetreten, aber immer noch hineingegangen. Ich komme kaum noch hinein, kann aber nicht austreten. Solche Klärungen provoziert Andreas Beck auf jeder Seite. Ich hätte mich von den Bewegungen dieses stürmischen Katholiken nicht so konfliktlos einnehmen lassen können, wenn ich aus irgend einem plakativen Grund ausgetreten wäre."

Insofern erkennt Walser, dass Becks "Malen und Schreiben fast unmittelbar zeigt, wie schön es ist zu glauben." Denn, so Walser, "davon leben Andreas Becks Bücher, dass er mit der Glaubensfrage nie fertig wird. Ich habe den Eindruck, er verteidige den Glauben, der sich in seiner Kindheit in ihm gebildet hat. Er verteidigt ihn gegen Belehrung und Aufklärung, gegen Besserwisserei jeder Art." Solcherart herausgefordert, scheut sich Martin Walser nicht, Andreas Beck gar mit Marcel Proust oder Johann Wolfgang Goethe zu vergleichen: "Weil er so beeindruckbar war, kann er diese Kinderseligkeit nicht dieser oder jener Erwachsenheit opfern. Das ist anderen auch schon so gegangen. Daraus sind Literaturwerke wie 'Auf der Suche nach der verlorenen Zeit' oder 'Dichtung und Wahrheit' entstanden".

Da Beck, wie Walser eingangs konstatiert, "der Welt und Wirklichkeit" immer als "Schreibender und als Malender" zugetan ist, entdeckt er auch in dessen "Aquarellen immer eine Art Seele des Ganzen", oder, was auf Martin Walser in diesem glänzenden Essay einmal mehr selbst zutrifft, "eine grenzenlose Verehrungsbegabung".


Titelbild

Martin Walser: Der Lebensroman des Andreas Beck.
Edition Klaus Isele, Eggingen 2006.
92 Seiten, 8,90 EUR.
ISBN-10: 3861424010
ISBN-13: 9783861424017

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