Ein amerikanisches Königsdrama

Richard Rayner entführt uns in die Frühgeschichte von Las Vegas

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Geschichte des Spielparadieses Las Vegas ist gespickt mit bitteren Rosinen. Das Wunderland mitten in der Wüste Nevadas ist allerdings auch so unwahrscheinlich, dass mindestens kriminelle Energie dahinter stecken muss, wenn nicht das Ganze sowieso einem kranken Gehirn entsprungen ist. Wenn zudem in der Geschichte, die uns erzählt wird, eine Rolle spielt, dass nur wenige dutzend Kilometer von der Stadt entfernt die Vereinigten Staaten von Amerika in den fünfziger Jahren eine Atombombe nach der anderen hochgejagt haben, fragt man sich sowieso, ob der ganze Spieleifer, von dem die Stadt lebt, nicht am Ende doch nur das Produkt einer ziemlich langwierigen radioaktiven Verseuchung ist. So etwas, oder irgendetwas anderes Verrücktes muss dahinter stecken.

Dabei ist auch Las Vegas am Ende möglicherweise nur aus dem Gründergeist dieses fernen westlichen Landes entstanden, und die kriminellen Geschichten gehören nur dazu, wie das Salz zur Butter, die Creme zum Frankfurter Kranz und das Schaum zum Bier. Man denke nur an den rosa gekleideten Robert De Niro, wie er in seinem Wagen in die Luft fliegt, an den lebensmüden Nicholas Cage oder an den blinkenden Robert Redford, der auf seinem Pferd die Stadt verlässt. Immerhin hat diese Wüstenstadt, deren Leben an einer Menge verrückter Leute mit nicht weniger verrückten Ideen hängt (und daran, dass man irgendwie Wasser dahin schafft), wunderbare Bilder hervorgebracht. Allein der Gedanke, das wunderschön-grauenerregende Bild einer Atombombenexplosion quasi aus nächster Nähe beobachten zu können, lässt es einen kalt über den Rücken rieseln.

Aber genug des wohligen Las Vegas-Grauens, immerhin gibt es hier ein Buch zu präsentieren, von dem die Presseabteilung des Deutschen Taschenbuch Verlags behauptet, man habe es hier mit einem Autor vom Kaliber Raymond Chandlers, James Ellroys oder Elmar Leonards zu tun. Richard Rayner, das sei gleich vorweg genommen, kann an diese drei nicht wirklich heran. Zu aufgesetzt das ganze Programm, das er uns präsentiert, zu edelsüß seine Verpackung, zu sehr geht er hier damit hausieren, dass wir es wieder einmal mit den schattigen Seiten der Reichen und Schönen in dieser Welt zu tun haben, die, wenn wir es richtig verstehen, sich dort oben nur deshalb halten, weil sie weder ein Gewissen noch Skrupel haben, wenn es darauf ankommt. Auch ist es wenig hilfreich, wenn Rayner - anscheinend davon angetrieben, keine ungeklärte Stelle zu lassen - immer wieder tief in die Vergangenheit seiner Spielzeit zurückgreift und Vorgeschichten erzählt. Die kann er sich eigentlich sparen, denn auch sie machen nichts grausamer oder unheilvoller.

Wir sind im Jahr 1956, ein junger Edelarchitekt, Maurice Valentine,

eingeheiratet in eine der besten Familien Nevadas und mit engen Verbindungen zur Las Vegas-Mafia, soll Senator werden, als er eine junge, selbstverständlich gleichermaßen reiche und reizvolle Frau kennenlernt, die offensichtlich Karriere machen will. Spätestens nachdem sie unseren Anti-Helden angeschossen hat und kurze Zeit später für tot erklärt wird, wird allen Beteiligten klar, dass diese junge Frau nicht diejenige ist, für die sie sich ausgibt. Valentine mutiert binnen kurzem zum Detektiv und findet den wirklichen Namen der jungen Frau heraus und er erfährt, dass sie seinen Auftraggeber, auf dessen Atombombenexplosionsparty sie ihn angeschossen hat, von früher kennt. Aus einer Zeit nämlich, als sie mit einem hochtalentierten Jazz-Saxophonisten liiert war, der in Las Vegas spielte und dort spurlos verschwunden ist. Nur die eine Platte, die er eingespielt hat, zeugt überhaupt noch davon, dass es ihn je gegeben hat.

Wir ahnen natürlich, dass die junge Frau nicht tot, ihr ehemaliger Liebhaber dies aber umso mehr ist, und nach und nach enthüllt sich eine geradezu klassisch gebaute Königsgeschichte, in der der Sohn des mächtigsten Mannes in der Stadt um die Anerkennung des Vaters kämpft und als einziges Mittel anscheinend nur die Möglichkeit sieht, ihn zu stürzen. Selbstverständlich ist der junge Saxophonist nur zwischen die Fronten geraten, selbstverständlich eskaliert die Gewalt, denn die Geister, die wir riefen, werden wir alle nie los, selbstverständlich ist am Ende der Sohn derjenige, der in diesem amerikanischen Königsdrama der Verlierer ist, und damit sein Vater gleich mit. Spätestens aus dieser Perspektive erhält dann die Ausstattung des Romans ihren Sinn. Was am Beginn aufgesetzt und überkandidelt erscheint, ist am Ende doch nur notwendig, um das Königsdrama als das auszuzeichnen, als was es anzusehen ist: Eine Geschichte, deren Fallhöhe uns allen klarmacht, dass wir froh sein können, nur zum Fußvolk zu gehören. Die Nähe zur Macht ist gefährlich.


Titelbild

Richard Rayner: Das dunkle Herz der Wüste. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Lutz W. Wolff.
dtv Verlag, München 2006.
370 Seiten, 14,50 EUR.
ISBN-10: 3423245697

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