Zwischen Recht und Moral

Georg Kreis' Sammelband behandelt den Wiedereinzug des bellum iustum-Topos in den Völkerrechtsdiskurs aus der Perspektive verschiedener Disziplinen

Von Josef BordatRSS-Newsfeed neuer Artikel von Josef Bordat

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In einer Zeit, in der sich der Begriff des Krieges wandelt, von der gewaltsamen Auseinandersetzung souveräner Staaten hin zur Gewalt, die von nicht-staatlichen Gruppen bzw. gegen diese ausgeübt wird, rückt die Debatte um die Rechtfertigung militärischer Gewalt aus dem Kontext des formalen Völkerrechts auf die überpositive Ebene ethischer Betrachtung, die an die Ideengeschichte des bellum iustum-Topos anknüpft. Die Frage, ob es prinzipiell möglich ist, einen "gerechten Krieg" zu führen beziehungsweise die konkrete Frage nach der Rechtmäßigkeit eines bestimmten Einsatzes scheint trotz der Referenz auf den Rechtsbegriff mehr eine Frage der philosophischen, theologischen und politischen Tradition zu sein als eine, die sich beantworten lässt durch eine nüchterne Überprüfung, ob es denn möglich ist, den "Sachverhalt" unter die Normen des Völkerrechts zu subsumieren. Diesem Umstand trägt der von Georg Kreis herausgegebene Sammelband "Der "gerechte Krieg". Zur Geschichte einer aktuellen Denkfigur" Rechnung, in dem eine Vortragsreihe zum Thema dokumentiert wird, die im Frühjahr 2005 am Europainstitut der Universität Basel stattfand.

Schon die vier Abbildungen auf dem sehr gelungenen Buchdeckel machen die Verwurzelung des Themas in der ideengeschichtlichen Tradition deutlich: Sie stellen den US-Präsidenten Bush in Kampfpilotenmontur in eine Reihe mit Julius Caesar, dem Inbegriff des Eroberers und Imperators einer sich als kulturell überlegen betrachtenden Weltmacht, mit Papst Urban II., der Ende des 11. Jahrhunderts zu den Kreuzzügen rief sowie mit Kaiser Wilhelm II. als Personalisierung einer Epoche, die zeigte, wie instabil die Balance of Power souveräner Staaten ist. Anhand der vier Führergestalten wird das Dilemma der Debatte um den "gerechten Krieg" deutlich: Einerseits muss unter den Bedingungen der Globalisierung die Völkerrechtsordnung im Duktus der Souveränitätsorientierung, wie sie seit 1648 (Westfälischer Friede) Bestand hat und 1815 (Wiener Kongress) sowie 1945 (UN-Charta) bestätigt wurde, überwunden werden. Doch was bleibt andererseits an Optionen der Rechtfertigung mehr übrig als ein "just war"-Verständnis à la Bush, der sich irgendwo zwischen Caesar und Urban, zwischen weltlichem und geistlichem Allmachtsanspruch zu bewegen scheint? Zeigt sich in der Überwindung der Nationalstaaten-Welt der Krieg nicht in der Tat als Mischung aus "Kreuzzug" (für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte) und "Eroberung" (politisch-wirtschaftlicher Spielräume)?

Auch die Auswahl der Beiträge des Sammelbands dokumentiert das Dilemma von Recht und Moral in der bellum iustum-Frage. Neben dem völkerrechtlichen Schwerpunkt, den die Juristinnen Anne Peters und Simone Peter setzen, betrachtet Herfried Münkler das Thema aus politikwissenschaftlicher, Wolfgang Palaver aus theologischer, Orlando Budelacci aus philosophischen und der Herausgeber Georg Kreis aus historischer Sicht; hinzu kommen die Positionen des Publizisten Andreas Zumach und die des Islamwissenschaftlers Thomas Scheffler. Der Band zeichnet also einerseits ein umfassendes Bild und spiegelt dabei andererseits die Tendenz wider, die den Begriff des Krieges vom Völkerrecht wieder in den Bereich der politischen Ethik rückt. Zwei der sieben Texte fallen besonders auf. Die gute historische Einführung in die Thematik, die der Herausgeber vornimmt und der sehr umfangreiche und informative juristische Artikel, der auch das Problem der Moralisierungstendenz im Völkerrecht durch den Rekurs auf die Argumentationsfiguren des bellum iustum-Topos anspricht.

Im Einleitungsartikel stellt Kreis neben das ius ad bellum (Kriegseintrittsrecht) und das ius in bello (Kriegsführungsrecht) das ius post bellum, das sich auf die Etablierung einer friedenserhaltenden Nachkriegsordnung bezieht, einen Bereich des Diskurses um den "gerechten Krieg", der offenbar systematisch ausgeblendet wird, wie die Situation im Irak, die erst nach dem offiziellen Kriegsende außer Kontrolle geriet, schmerzlich zeigt. Kreis macht deutlich, wo die Stärken und die Schwächen der traditionellen Behandlung des Themas liegen. Hilft die Struktur von "ad", "in" und "post" bei der Differenzierung der Argumentation, so zeigt sich, dass klassische Vorstellungen innerhalb der Kategorien nicht mehr haltbar sind. Im Zeitalter der Massenvernichtungswaffen, der asymmetrischen Kriegsführung und des (zumindest potentiell) allgegenwärtigen Terrors verschwimmen die Grenzen von Krieg und Frieden, von Kombattanten und Zivilisten, von "gebotenen" und "unbotmäßigen" Mitteln. Hochinteressant ist eine Bemerkung zur Debatte selbst: Kreis weist darauf hin, dass Friedrich II. 1757 zu Beginn des Siebenjährigen Krieges seinen Staatskanzler Podewil mit der Abfassung einer Rechtfertigungsschrift für den Kriegseintritt Preußens beauftragt habe, und zwar mit den Worten: "Aber beeile Er sich; denn die Ordres an die Armee sind schon hinaus." Läuft es heute anders? Wohl kaum. Zumindest macht die abenteuerliche Argumentation zur Rechtfertigung des Irak-Kriegs 2003 diesbezüglich skeptisch. Kreis markiert schließlich die "humanitäre Intervention" als den einzig denkbaren "gerechten Krieg", um mit Michael Walzer ("Es scheint, dass Staaten ihre Soldaten nicht in andere Staaten schicken, nur um Leben zu retten.") einschränkend auf die "Zusatzmotive" zu verweisen, die diese Hilfsaktionen kompromittieren, weil dort, wo die Motive gegeben sind, sehr schnell, aber dort, wo sie fehlen, gar nicht agiert wird, ungeachtet der tatsächlichen Bedürftigkeit der Bevölkerung.

Besonders wertvoll ist der umfangreiche Artikel der Juristinnen Anne Peters und Simone Peter, die die Leserinnen und Leser auf den neuesten Stand der völkerrechtlichen Deutungen zum Thema bringen und dabei in gut nachvollziehbaren Fallstudien die doppelzüngige Argumentation in der Kriegsrhetorik der Bushs und Blairs entlarven. Ihnen werfen sie vor, mit der vordergründigen Moralisierung und Entrechtlichung des Diskurses um den "gerechten Krieg" das Völkerrecht zu schwächen. Die Autorinnen sehen in dem Regress auf naturrechtliche Argumente ein großes Missbrauchspotential, das bisweilen gar als Teil eines "imperialistischen Projekts" betrachtet werde, eine Haltung, die allerdings, so der weitere Tenor, die Chancen auf eine Weiterentwicklung des Völkerrechts durch eine moralphilosophische Sicht auf den Krieg verkenne. Fruchtbar sei die Moralisierung etwa hinsichtlich des Souveränitätsbegriffs, der mit Hilfe der ethischen Erwägungen vom "Recht, Krieg zu führen" in der klassischen Lehre umgedeutet werde zur "Pflicht, die Menschenrechte zu wahren". Diese Veränderung sehen die Autorinnen in dem Gutachten "The Responsibility To Protect" (2001) berücksichtigt. In dem von der International Commission on Intervention and State Sovereignty erarbeiteten Bericht wird Souveränität als Verantwortung des Staates für den Schutz seiner Bürger begriffen. Also: Nicht die wiederbelebte bellum iustum-Lehre, sondern Art und Inhalt der Schlussfolgerungen, nicht der Versuch einer Rückbindung des Völkerrechts an überpositive Wertvorstellungen, sondern die Motive dafür, nicht die Moralisierung selbst, sondern ihr missbräuchlicher Einsatz im Rechtfertigungsdiskurs erweisen sich als problematisch. Eine sehr differenzierte und zukunftsweisende Sicht, die das Völkerrecht nicht als erstarrte Form ansieht, sondern als Normierung von Werten, die reformfähig sein muss, weil sich Wertvorstellungen ändern; im Fall des "gerechten Krieges" betrifft dies vor allem das Konzept von "Souveränität". Dies nachvollziehbar aufgezeigt zu haben, ist das Verdienst von Anne Peters und Simone Peter.

Dass Kants Traum vom Weltfrieden, den republikanisch verfasste Staaten herbeiführen könnten, ausgeträumt ist, spätestens seit den demokratisch zustande gekommenen Entscheidungen für militärische Aggressionen aus ideologischen Gründen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, besagt nicht, dass in Demokratien nicht jede und jeder Einzelne zumindest mittelbar über Krieg und Frieden mitentscheiden kann und dazu gut und umfassend informiert sein sollte. Der Sammelband klärt in diesem Sinne über eines der brennendsten Probleme des globalen Zeitalters auf. Was leider fehlt, aber in einem Sammelband wissenschaftlicher Beiträge auch nicht unbedingt zu erwarten ist, das sind Erfahrungen aus der Praxis: Entscheidungsträger aus Politik und Diplomatie, Soldaten, Mitarbeiterinnen von Hilfsorganisationen, Menschen mit konkreter Kriegs- und Terrorerfahrung. Vielleicht ergäben sich aus ihren Geschichten ganz andere Facetten des Konzepts vom "gerechten Krieg".


Titelbild

Georg Kreis (Hg.): Der "gerechte" Krieg. Zur Geschichte einer aktuellen Denkfigur.
Schwabe Verlag, Basel 2006.
175 Seiten, 17,00 EUR.
ISBN-10: 3796522394

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