Room Full of Mirrors

Klaus Theweleit zum 65. Geburtstag

Von Jan SüselbeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Süselbeck

"In den Siebzigern habe ich zu Freunden gesagt: Wenn ihr wissen wollt, was politisch los ist in Deutschland, braucht ihr nur den Sportteil lesen", erinnerte sich Klaus Theweleit 2004 in einem Interview mit der taz. "Da habt ihr die ganze Chef- und Ideologisierungsdiskussion drin. Das war über Jahrzehnte der eigentliche Kern der Sportberichterstattung: Anpassung, Gehorsam gegen Schiedsrichter und Trainer, Unterordnung, all dieser Kram."

Das ist typisch Theweleit. 2006 schrieb er in der gleichen Zeitung sogar selbst regelmäßige Artikel über den Verlauf der Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland, als würdiges Mitglied des "WM-Analyse-Teams" der taz. Keine Frage: Theweleit sucht sich als Soziologe, Literaturwissenschaftler, Kulturtheoretiker und Philosoph gern besondere und unkonventionelle Wege, um zu untersuchen, was die Welt und die "Massen" bewegt, die er im Gefolge von Elias Canetti, Sigmund Freud - und nicht zu vergessen: Jimi Hendrix - mit wachen Augen beobachtet. Oder, anders herum formuliert: Er hat als Wissenschaftler keine Berührungsängste gegenüber populären Phänomenen, die man sich vielleicht doch auch einmal von innen her ansehen sollte, wenn man sie wirklich begreifen will. Außerdem hat der Mann Humor. Klickt man etwa auf seiner Homepage auf "persönliche daten", so liest man dort lediglich die lapidare Bemerkung: "sind vorhanden. / You look into the mirror / Is there anybody there? / (The Kinks, 'Repetition' Think Visual)".

Diesen Monat wird Klaus Theweleit 65 Jahre alt. Seit seinem Bestseller, der umfangreichen Doktorarbeit über die "Männerphantasien" faschistischer Freikorpsliteraten, die 1977/78 im Verlag Stroemfeld/Roter Stern erschien, setzte er immer wieder Maßstäbe im interdisziplinären Schreiben über literarische und kulturelle Phänomene. Nicht jedem gefällt dabei der Stil und die besondere Form seiner Bücher: Wer auf die so genannte wissenschaftliche Seriosität unter keinen Umständen verzichten will und es daher ablehnt, sich als Leser in die Mischbereiche zwischen Essayistik, Geschichtsschreibung, Literaturwissenschaft, Pop und Journalismus zu begeben, wird mit Theweleits Texten wohl nur schwer zurechtkommen. Sigrid Löffler schrieb einmal über seine "Bücher der Könige" (bisher 3 Bände, erschienen 1988-1994 bei Stroemfeld), sie seien in "typischer Endlosbauweise geschrieben, einer lockeren Text-Bild-Montage, die ihre narrativen und illustrativen Mittel gleichwertig ein- und sich über akademische Verfahrensregeln fröhlich hinwegsetzt". Dabei charakterisierte Löffler die Bücher treffend als "eine Fakten-Saga über Fiktionen, die alle Theorie-Ansätze der germanistischen Interpretationszunft zum Werk und Leben von Künstlern außer Kraft setzt, indem sie sie unterläuft".

Theweleit sucht in seinen Arbeiten nach neuen Beschreibungsformen, die komplexen Mischvorgängen innerhalb der modernen Kunst adäquater begegnen könnten - nach einer Art von interdisziplinärer Literaturwissenschaft also, die einen 'besseren Nachrichtendienst' entwickelt, wie es in seiner Breitwand-Studie "Pocahontas in Wonderland. Shakespeare on Tour" (Stroemfeld 1999) so schön heißt. Er schreibt dabei an einem riesenhaften Literaturgebilde, das nicht nur seine eigenen Theorien in immer weiter verzweigten Verästelungen verifiziert und präzisiert: Der wachsende Text-Korpus seiner Untersuchungen gebiert gleichzeitig eine ganz neue Sorte von (Fach-)Literatur, die sich - und genau dies treibt wohl gerade so viele Germanisten immer wieder auf die Barrikaden - obendrein selbstbewusst mit den analysierten Texten und ihren Urhebern auf eine Stufe stellt: als "Theorie-Roman".

In den letzten Jahren des neuen Jahrtausends veröffentlichte Theweleit unter anderem ein Buch über den 11. September 2001 (Der Knall. 11. September, das Verschwinden der Realität und ein Kriegsmodell, Stroemfeld 2002), im Jahr 2003 ein Filmbuch (Deutschlandfilme. Filmdenken & Gewalt. Godard. Hitchcock. Pasolini, Stroemfeld 2003), 2004 ein Buch über Fußball (Tor zur Welt. Fußball als Realitätsmodell, Kiepenheuer & Witsch) und im Jahr 2005 "Friendly Fire. Deadline Texte" (Stroemfeld). Zuletzt, in der Reihe "absolute(ly)", ein "Songbook" zu Sigmund Freud (orange-press 2006).

Irgendwie hängt ohnehin alles mit allem zusammen, was Theweleit in verschiedenen Disziplinen und Untersuchungsprojekten beschreibt. So taucht in seinem Buch "Deutschlandfilme" die historische und motivgeschichtliche Aufdröselung der einzelnen übereinandergeschichteten Bilder, der so genannten "Mehrfachbelichtungen" als zentrales Verfahren zur Analyse der behandelten Filme wieder auf - ein Beobachtungsmodus, der auch schon in seinem Band über Arno Schmidt ("You give me fever". Arno Schmidt. Seelandschaften mit Pocahontas. Die Sexualität schreiben nach WW II, Stroemfeld 1999) konstitutiv für die Textanalyse ist. Das interdisziplinäre und multimediale Moment, also die Amalgamierung und Nebeneinanderstellung von Bildern, Comics, abfotografierten Filmstills und Text ist in bisher fast allen Veröffentlichungen Theweleits als unverwechselbares Markenzeichen präsent, so auch in seinem letzten umfangreichen Sammelband "Friendly Fire".

Und wenn seine mittlerweile als so etwas wie ein Standardwerk der Faschismusforschung etablierten "Männerphantasien" zeigen, wie kriegerische Gewalt aus den Mikrostrukturen der Geschlechterbeziehungen, genauer: den Ängsten der 'nicht zu Ende geborenen Männer' vor sexualisierten Frauenkörpern, dem 'Fließen' der Sexualität und der Bedrohlichkeit des eigenen unterdrückten Begehrens entspringt, so verhält sich die Arno-Schmidt-Studie "You Give Me Fever" dazu gewissermaßen reziprok: "Während [in den "Männerphantasien", J. S.] gezeigt wurde, wie faschistische Autoren der Zwischenkriegszeit Sexualität in Gewalt umgeschrieben haben, erweist sich an Arno Schmidts Textstrategien das Gegenteil, nämlich die Umschreibung von (Nazi)Gewalt in Sexualität", kommentiert der Kritiker Herbert M. Hurka in seiner Rezension des Bands.

Man darf jedenfalls gespannt sein, wie es in den kommenden Jahren mit Theweleits aufregenden Studien weiter geht - sicher wird der Autor sein Textnetz fleißig weiterspinnen und dabei noch für so manche Überraschung gut sein.