Konfuses Durcheinander

Hitonari Tsujis Roman "Warten auf die Sonne" scheitert an zu vielen Erzählsträngen

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Alle warten. Der alte Regisseur Hajime Inoue wartet monatelang auf die richtige Sonne, um seinen letzten Film abschließen zu können, mit ihm warten hunderte von Komparsen, Beleuchter und Schauspieler. Unter ihnen der Requisiteur Shiro, der auch darauf wartet, dass sein Bruder Jiro, ein erfolgloser, angeschossener Drogendealer, aus dem Koma aufwacht. Und auch Fujisawa, der Yakuza, wartet: Er wartet darauf, dass er die Tasche von Shiros Bruder wiederbekommt und bedroht telefonisch immer mal wieder Jiro, weil er glaubt, dass der weiß, wo sie ist.

Alle warten. Und bei diesem Warten entfalten sich viele Geschichten. Liebes- und Todesgeschichten. Vor allem die Geschichte von Shiro wird erzählt. Der Requisiteur bemüht sich, zart und schüchtern, um die junge Regieassistentin Tomoko. Nächtelang reden sie miteinander, nähern sich an. Tagelang muss Shiro die große Stadtmauer von Nanjing malen, muss ein lebensgroßes Modell so gestalten, dass sie alt aussieht, eine Riesenaufgabe, für nur wenige Minuten Film. Eine Aufgabe, der er sich mit größter Hingabe widmet.

Dieselbe Hingabe hat der achtzigjährige Regisseur Inoue. Als junger Mann war er mit dem berühmten Dokumentarfilmer Togoro Sakata in China unterwegs, als dieser Aufnahmen von der japanischen Besatzung Chinas drehte und so geschickt dabei vorging, dass Antikriegsfilme dabei herauskamen, die verboten wurden. Inoue bewunderte ihn maßlos, so lange, bis ihm Sakata seine Geliebte ausspannte, die junge Fei-fan. Nach dem Krieg wurde Inoue selber ein berühmter Regisseur, und in seinem letzten Film, den er auf Hokkaido dreht, will er noch einmal in seine Jugend zurück, will noch einmal die Geschichte des japanischen Überfalls drehen, will sich noch einmal auch an seine damalige Geliebte erinnern.

Diese Geschichten könnten eigentlich einen sehr schönen Roman ergeben. Schließlich ist die Geschichte des Nanjing-Massakers immer noch nicht aufgearbeitet, die Japaner verdrängen ihre ungute Geschichte, so gut es geht. Mit einer doppelten Liebesgeschichte könnte man daraus einen spannenden Geschichtsthriller auf zwei Zeitebenen schreiben. Leider gelingt dies Hitonari Tsuji nicht. Das liegt vor allem daran, dass er nicht nur alles mit allem verknüpfen will, sondern dass er ganz unnötig weitere Ebenen und Erzählstränge einführt: Da ist zum einen ein amerikanischer Flieger, der über Japan abgeschossen wird und sich kurz vor dem Atombombenabwurf in eine japanische Krankenschwester in Hiroshima verliebt. Und zum anderen ein fantastisches Element, das im Verlauf der Geschichte immer mehr stört und ablenkt: die Tasche von Shiros Bruder, diese eigentlich passende Weltvernichtungsmetapher.

Vor allem aber lässt Tsuji den im Koma liegenden Jiro seine Geschichte erzählen, aber er lenkt damit von der schönen Geschichte um die unschöne Vergangenheit doch zu sehr ab. Denn Jiro, der als kleiner Junge in einer Welt lebt, die an der nächsten Straße einfach aufhört, im Nichts endet, bekommt diese Tasche von einem geheimnisvollen Fremden, darf sie nicht öffnen, soll sie aber aufbewahren. Der Junge taucht in Nanjing auf, aber auch in Hiroshima, wo der Amerikaner ihn sieht und in seinem Tagebuch beschreibt: Es ist ein ziemlich konfuses Durcheinander, in dem die Verknüpfungen keinen Sinn mehr ergeben. Denn dummerweise unterstützen sich die phantastischen und die realistischen Elemente nicht, sondern sie stehen sich im Weg, sie behindern sich. Die Realität wird nicht durchlässig für das Phantastische, wie bei Murakami, sondern es ergeben sich zwei unverbundene Ebenen.

Und das ist schade, denn es gibt viele schöne, suggestive Geschichten, die Tsuji erzählt, sowohl in der phantastischen, als auch in der realen Welt. Etwa die, als Shiro in wenigen Tagen und Nächten die Stadtmauer malt und sein alter Lehrer ihn auf ein kleines Problem aufmerksam macht. Oder die, wie er sich mit Tomoko trifft und mit ihr redet. Gerade diese alltäglichen Geschichten gelingen Tsuji in seiner sanften Lakonie sehr gut. Aber insgesamt ist der Roman leider misslungen. Und dass er stark an Murakamis "Mister Aufziehvogel" erinnert, macht es auch nicht besser. Vom Niveau dieses Romans ist Tsujis "Warten auf die Sonne" meilenweit entfernt.


Titelbild

Hitonari Tsuji: Warten auf die Sonne. Roman.
Übersetzt aus dem Japanischen von Ursula Gräfe.
Piper Verlag, München 2006.
400 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-10: 349204865X

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