Nützliche Kafka-Chronik

Eine Einladung zu Entdeckungen

Von Thomas AnzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Anz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Roger Hermes, Waltraud John und Anita Widera, alle drei Mitarbeiter der Kafka-Forschungsstelle an der Universität Wuppertal, haben zusammen mit Hans-Gerd Koch, dem Redakteur der Kritischen Kafka-Ausgabe im S. Fischer Verlag, eine überaus nützliche Chronik zu Leben und Werk Kafkas vorgelegt. Vergleicht man sie mit jener Chronik, die vor 25 Jahren Chris Bezzel veröffentlichte, so wird sichtbar, welchen Zuwachs an Wissen die Kafka-Forschung in den letzten beiden Jahrzehnten zu verzeichnen hat. Gewiss, schon Bezzels Chronik bot allen Kafka-Lesern eine wichtige Informationsgrundlage. Sie hat es nicht verdient, von den Autoren der neuen Chronik mit keinem Wort erwähnt zu werden. Doch dem neueren Forschungsstand entsprach sie schon längst nicht mehr.

Was jetzt vorliegt, ist ein für alle Kafka-Forscher unentbehrliches Hilfsmittel. Das Namen- und Werkregister eröffnet den Zugang zur Beantwortung unendlich vieler Fragestellungen. Wann hat Kafka wen gelesen, getroffen, kennengelernt, wann hat er was geschrieben? Die Antworten darauf lassen sich hier leicht finden. Schlägt man etwa unter Otto Groß nach, so erfährt man, daß Kafka am 18. Juli 1917 mit diesem vatergeschädigten, kulturrevolutionären Psychoanalytiker mit dem Nachtzug zusammen von Wien nach Prag reiste. Am 23. Juli treffen sie sich wieder bei Max Brod. Groß erzählt hier von seinem Plan einer Zeitschrift mit dem Titel "Blätter zur Bekämpfung des Machtwillens", von dem Kafka begeistert war. Das ist zum Teil auch schon in Bezzels alter Chronik erwähnt. In der neuen findet man jedoch auch Informationen über den Vater von Otto Groß, den Professor für Strafrecht Hans Groß, bei dem Kafka etliche Vorlesungen hörte. Genauer: "Materielles Strafrecht (5 Wochenstunden)" im Wintersemester 1904, "Österreichischer Strafproceß (5 Wochenstunden) und Rechtsphilosophie (4 Wochenstunden)" im Sommersemester 1904, "Strafrechtliches Seminar (2 Wochenstunden)" im Wintersemester 1904/05.

Die Chronik ist eine Einladung, sich auf Entdeckungsreisen zu begeben. Man schlage beispielsweise einmal unter "Rudolf Steiner" nach, recherchiere über Kafkas Beziehung zu Thomas Mann, Hugo von Hofmannsthal, Heinrich von Kleist oder zu den Expressionisten Albert Ehrenstein, Franz Werfel und Walter Hasenclever. An allen Stellen wird man auf Quellen verwiesen, die detailliertere Auskünfte geben können.

Unter dem Datum 2. Juni 1924 findet man die Eintragung "Der letzte Brief K.s an seine Eltern; er bittet sie, von einem Besuch Abstand zu nehmen." Es folgt der Satz: "K. korrigiert den ersten Bogen des Umbruchabzugs seines Novellenbandes." Unter dem 3. Juni steht: "K. stirbt gegen Mittag."

Titelbild

Roger Hermes / Waltraud John / Hans-Gerd Koch / Anita Widera: Franz Kafka. Eine Chronik.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1999.
222 Seiten, 11,70 EUR.
ISBN-10: 3803123380
ISBN-13: 9783803123381

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch