Der Oberst hat das letzte Wort

Henning Mankells Roman "Die flüsternden Seelen"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Damit soll Schluss sein. Menschen sollen nicht von dem leben müssen, was sie in Mülltonnen finden." Mit diesem Versprechen von Oberst Nquila drückt Henning Mankell zu Ende seines neuen Romans auch seinen eigenen Wunsch nach gravierenden politisch-gesellschaftlichen Veränderungen in Afrika aus. Mankell, der mit seinen Wallander-Krimis weltweit Millionen-Auflagen erreichte, resümiert in seinem neuen Werk seine gesamten Afrika-Erfahrungen. Über 25 Jahre hat er nach eigenem Bekunden an diesem Roman gearbeitet, der 1998 in Schweden im Original erschienen ist.

Vehemente Kritik am ausbeuterischen Kolonialismus mischt er mit afrikanischen Mythen. Erzählt wird das Gros der Handlung aus der Perspektive von zwei höchst unterschiedlichen Figuren: der Afrikaner Felisberto, Spross einer weitverzweigten Familie; und Dom Estefano, Sohn eines hoffnungslos gescheiterten Kolonialherren aus Portugal.

Felisberto ist Diener von Dom Estefano, und beide hassen einander latent. "Sie haben auf den Geistern unserer Ahnen herumgetrampelt und sie Dämonen genannt", erklärt Felisberto, dessen sagenumwobene Stammesmutter Samima 312 Jahre alt geworden sein soll und die noch immer zwischen Diesseits und Jenseits pendelt. Estefanos familiäre Vorgeschichte ist nicht weniger abenteuerlich. Mit seinem Vater ("ein Betrüger und treuloser Ehemann") war er als Teenager nach Afrika aufgebrochen, musste miterleben, wie dieser von Pleite zu Pleite schlitterte, obwohl er gekommen war, "um nie mehr arbeiten zu müssen." Estefanos Vater hielt sich in der neuen Heimat eine zweite Familie, die er lange vor ihm verbarg. Nach Portugal signalisierte er stets, dass noch nicht die Zeit reif sei für eine Familienzusammenführung. Der Hass auf seinen Vater ließ Estefano zu einem verbitterten Menschen werden, der seine Untergebenen schrecklich schikanierte.

Henning Mankells Sympathie gilt in diesem erzählerischen Arrangement von "Herr und Knecht" dem Diener Felisberto und seiner unterdrückten Familie, die bei den Kolonialisten ein "Gesicht aus Gift" erblickten. Ob die am Ende des Romans von den Truppen des Rebellenführers Nquila eingeläutete politische Wende Felisberto und den Seinen tatsächlich bessere Lebensbedingungen beschert, hält Henning Mankell erzählerisch in der Schwebe. Die intime Kenntnis der afrikanischen Realität (Mankell lebt abwechselnd in Schweden und Maputo) hat kein allzu hoffnungsvolles Romanende erlaubt. Auch wenn aus den "flüsternden Seelen" im Laufe der Handlung deutlich vernehmbare Stimmen des Aufbegehrens geworden sind, weiß man um die vielen enttäuschten Hoffnungen nach verheißungsvoll gestarteten Revolten, um in dunklen Kanälen versickerte Millionen aus Entwicklungshilfeprojekten und Korruption durch Konzerne aus der westlichen Welt. Die Missionierung Afrikas, so Mankells zorniges Fazit, ist noch nicht beendet: "Die Bibel bekam einen Anhang des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank."

Am Ende fürchtet man, dass - entgegen der Versprechungen des Rebellenführers Nquila - das unmenschliche Gebaren von "Herr und Knecht" weiter existiert und die Rollen der Nachfahren von Dom Estefano und Felisberto vorbestimmt sind.


Titelbild

Henning Mankell: Die flüsternden Seelen. Roman.
Übersetzt aus dem Schwedischen von Verena Reichel.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2007.
253 Seiten, 21,50 EUR.
ISBN-13: 9783552053359

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