Scheitern light

Thomas Kapielskis hochkomische Anti-Künstlerbiografie

Von Anja HöferRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anja Höfer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man kann die Welt komisch sehen oder tragisch. Oder wie Kapielski. Das klingt dann so: "Wenn man schon sterben muss, sollte man wenigstens nicht gelebt haben." Der Berliner Autor Thomas Kapielski, der als knapp fünfzigjährige Nachwuchshoffnung beim letzten Bachmann-Wettbewerb mit seiner glänzenden Literaturbetriebs-Satire "Baden-Baden" die Aufmerksamkeit eben jenes Betriebs erregte, hat nun unter dem Titel "Danach war schon" den ersten Teil seiner "Gottesbeweise I-VIII" vorgelegt, deren Fortsetzung "Davor kommt noch. Gottesbeweise IX-XIII" bereits ein Jahr zuvor erschienen ist.

Ähnlich wie Max Goldt, der große Chronist der kleinen Schrägheiten, besitzt Kapielski den untrüglichen Blick fürs Bizarre im Normalen, und ähnlich wie Goldt schafft auch er sich sein eigenes Genre. Allenfalls könnte man seine "Gottesbeweise" noch zur Gattung der Künstlerautobiografie zählen. Doch anders als dort üblich, liefert Kapielski nicht etwa den selbstverliebten Rückblick auf das im Leben Geleistete, sondern eine Chronik der Fehlschläge und Niederlagen, eine Anti-Künstlerautobiografie gewissermaßen. Das könnte Stoff für Tragödien sein, aber der Autor sieht dem eigenen Scheitern als bildender Künstler, Musiker und Literat mit solch fröhlicher Lässigkeit zu, dass es dem Leser höchstens die Lachtränen in die Augen treibt. Auf Knien danken möchten wir dem Mann für Bonmots wie: "Wenn Sport der Bruder der Arbeit ist, dann ist Kunst die Cousine der Arbeitslosigkeit". Hellsichtigkeiten dieser Art finden sich bei Kapielski reichlich. Sie fügen sich zu einem aberwitzigen, glänzend ironischen Selbstportrait zusammen, in dem alle Höhen und vor allem Tiefen des Künstlerlebens ausgelotet werden: die verletzte Eitelkeit, das Haschen nach Ruhm, die Wut des Unverstandenen, die Selbstzweifel und die Melancholie des Scheiterns.

Über all das berichtet der Autor, freilich sehr entspannt und irgendwie immer gut gelaunt. Das Spektakuläre ist seine Sache nicht. Kapielski vertraut ganz dem Charme des Alltäglichen und erzählt einfach, was in seinem Leben so passiert: Es geht um Zugreisen nach Hannover, Scherereien mit dem Bankautomaten, Kuhmist-Schippen in einer abgewickelten Kolchose und um - leitmotivisch forcierten - Alkoholkonsum. Das ist für sich genommen noch nicht besonders komisch. Aber so, wie es Kapielski präsentiert, wird es zur puren Farce - zum Beispiel ein Besuch in der Metzgerei: "Ich stellte mich falsch an. Eine hübsche Hausfrau verlangte dafür eine Letztbegründung: 'Wer gibt Ihnen das Recht, sich hier vorzudrängeln?' - 'Carl Schmitt', behauptete ich, 'Leiter der Wurstabteilung' - den kannte sie nicht. Ich entschuldigte mich deswegen. Man musste sich von links anstellen, was ungewöhnlich und auch wohl ein Ausnahmezustand ist. Und war."

Kapielskis Prosa ist ein Fest für Freunde des durchgeknallten Parlandos. Sein eigenwilliger Sprachgestus vermischt auf elegante Weise barocke Ausschmückungswucht mit salopper Berliner Mundart; selten findet man so viele originelle Adjektive zwischen zwei Buchdeckeln, und nicht selten ergötzt man sich an den waghalsigen syntaktischen Konstruktionen.

"Gottesbeweise I-VIII" nennt der Autor sein Werk im Untertitel. Damit wird kaum übertrieben, denn immer wieder streut Kapielski komplizierte ontologisch-philosophische Spekulationen in den Strom des Anekdotischen ein. Das geschieht keineswegs aufdringlich, sondern gewissermaßen durch die Hintertür. An trivialen Alltagsbeobachtungen entzünden sich seine überdrehten theoretischen Reflexionen, und unversehens kippt die schale Empirie in vergnügliche Metaphysik: Als der Geldautomat nach dreimaliger fehlerhafter Eingabe der Geheimzahl Kapielskis Bankkarte schluckt, nimmt er dies zum Anlass für eine neue "Theodizeevariante: das Problem der Rechtfertigung von Geheimzahlen hinsichtlich der durch sie verursachten Übel in der Welt. Also: Was ist los mit dem Scheißapparat? Entweder 1) er will auszahlen, kann aber nicht; dann ist es eine Willens- oder besser Könnensschwäche, oder 2) er kann, will aber nicht, dann ist er missgünstig oder bösartig, oder 3) er will weder, noch kann er; dann taugt er gar nichts, oder 4) der Geldautomat will und kann auch. Warum tut er's dann nicht?"

Kapielski pflegt ein abgeklärtes, stets auch selbstironisches Anti-Heldentum. Seine Komik ist manchmal schrill, immer hintersinnig und erfreulich unprätentiös. Darin unterscheiden sich seine Bücher von der Spaß- und Wohlfühlprosa der jungen "Popliteraten" um Benjamin von Stuckrad-Barre. Deren komisches Potenzial beschränkt sich in der Regel auf die wohl feil-blasierte Verachtung aller Zumutungen der Trivialkultur vom Musikantenstadl bis Verona Feldbusch. Kapielski hat das nicht nötig. Er ist sich selbst Abgrund genug und beweist noch im Scheitern souveräne Größe.

Titelbild

Thomas Kapielski: Danach war schon. Gottesbeweise I-VIII.
Merve Verlag, Berlin 1999.
120 Seiten, 12,30 EUR.
ISBN-10: 3883961477

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch