Bier ist wie das große Trans

Klaas Huizings böses Ding

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine kleine unscheinbare Scherbe, bei der es sich angeblich um ein Werk des Teufels handelt, im aufgeklärten Königsberg des 18. Jahrhunderts? Ein Immanuel Kant lässt sich von solchem Aberglauben natürlich nicht ins Bockshorn jagen. Der Gerichtshof der Vernunft wird dem Ding sein Geheimnis schon abpressen! Was aber, wenn das vermaledeite Objekt es sich partout nicht entreißen lässt?

Klaas Huizing hat diese Frage zur Grundlage seines Romas "Das Ding an sich" gemacht.

Die Lösung, die er Kant eingibt, besteht darin, seinen Diener Martin Lampe auf Reisen zu schicken, zu mehr oder minder bekannten Erfindern der Zeit. Sie sollen die Errungenschaften der Technik an der Scherbe erproben, von der immer wieder als "Ding an sich" die Rede ist. Kant wäre allerdings wohl kaum je auf die absurde Idee verfallen, eine Scherbe, wie geheimnisvoll auch immer sie sein mag, mit dem "Ding an sich" in Verbindung zu bringen. Und ganz sicher wäre er nicht der Auffassung gewesen, dem "Ding an sich" mit technischen Hilfsmitteln sein Geheimnis entlocken zu können. Dieses gravierende Missverständnis der Transzendentalphilosophie blieb zwei Generationen später Friedrich Engels vorbehalten, der meinte, sobald ein Gegenstand oder ein "Naturvorgang" der menschlichen Technik unterworfen sei, sei es "mit dem Kantschen unfaßbaren 'Ding an sich' zu Ende". In Huizings Buch teilen sämtliche Akteure - einschließlich Kant selbst - diesen fundamentalen Irrtum.

Auch zeichnen sich Kant und all die anderen großen Geister nicht gerade durch Weltklugheit aus. Insbesondere Hamann, der sich die Scherbe in England von einer undurchsichtigen Gestalt aufschwatzen lässt, und sie - seitdem vom Unglück verfolgt - Kant vorlegt, ist geradezu weltuntauglich, fast ein Trottel.

Ganz anders der ungebildete und devote Lampe. Zwar kann er sich nicht einmal merken, dass die Zeitung, die er Kant regelmäßig zur Lektüre vorlegt, Hartung'sche Zeitung heißt und eben nicht Hartmann'sche, wie er immer wieder sagt. Aber mit Bauernschläue, ja fast schon klug, prahlt er bereits auf seiner ersten Reise damit, beim berühmten Professor und Weltweisen Immanuel Kant seinen Dienst zu versehen, und weiß so, eine Mitreisende zu beeindrucken. Kant, so sagt er, erforsche "das große Trans".

Lampes Reisen führen ihn unter anderem zu Denis Papin, der die Scherbe erfolglos mit seiner Dampfmaschine bearbeitet, zu Tiberio Cavallo, der sie in einer Eismaschine tiefkühlt, und zuletzt gemeinsam mit Hamann zu Anton Mesmer.

Der zuhause servile Diener schnappt bei jedem der Wissenschaftler und Erfinder ein paar Brocken ihrer spezifischen Terminologie auf und weiß sie dann beim nächsten derart geschickt anzubringen, dass er bald selbst als Gelehrter durchgeht, ohne allerdings das geringste von irgendeiner Materie zu verstehen. Dem in Würzburg lebenden Papin etwa, der Bier bevorzugt, weil er den sauren fränkischen Wein nicht verträgt, versichert er "Bier ist wie das große Trans". Weder Papin noch ein anderer fragt, was es denn mit dem "großen Trans" auf sich habe. Irgendwann gilt auch dem Erzähler selbst, einem Kantforscher unserer Tage, der Diener als Gelehrter. Schließlich behauptet er sogar, Lampe sei der "größte Polytechniker des achtzehnten Jahrhunderts" und habe Kant Anregungen für seine Spätphilosophie gegeben.

Die ähnlich einem Märchen, stets wiederkehrenden Muster der Reisen und der Zerstörungsversuche ermüden schnell. Ebenso der immer stärker aufschneidende Lampe. Auch steigert es nicht das Interesse, dass man sicher sein kann, allen Versuchen bleibe der Erfolg versagt. Bis auf den letzten natürlich.

Dennoch ist die Lektüre des Buches nicht ganz ohne Reiz. Bietet es doch zahlreiche Anspielungen, Zitate und Paraphrasen, so dass die Lesenden stets geneigt sind zu rätseln, was sich wohl hinter einer eher belanglos oder vielleicht auch gewichtig daherkommenden Stelle verbergen mag. Oft genug darf man sich schmeicheln, zur Bildungselite derjenigen zu gehören, die nicht blind über all diese intertextuellen und gebildeten Bezüge hinweglesen. Doch auch diese Freude bleibt nicht ungetrübt. Denn zahlreiche der Anspielungen sind allzu trivial oder beliebig: Wenn Kant von Franzosen spricht, schiebt er die linke Hand in den Wanst; ein Mensch, dessen Stimme Glas zerspringen lässt, kann natürlich nicht anders als Matzerath heißen; und Hamann nennt Mesmer den "Magus im Westen". Das kann einem schon den Spaß verderben.

Titelbild

Klaus Huizing: Das Ding an sich.
Knaus Verlag, München 1998.
236 Seiten, 17,80 EUR.
ISBN-10: 3813500845

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