Zwischen allen Eames-Stühlen

Thomas Lang bleibt in seinem Roman "Unter Paaren" an der Oberfläche

Von Bernhard WalcherRSS-Newsfeed neuer Artikel von Bernhard Walcher

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die ersten Vertreter der "Generation Golf" sind mittlerweile auch schon in die Jahre gekommen und fahren heute SLK mit AMG-Ausstattung oder die G-Klasse von Mercedes. Wer schon mit der ungefähren preislichen Zuordnung dieser Luxuskarossen Probleme hat, sollte den neuen Roman von Thomas Lang erst gar nicht in die Hand nehmen. Denn was das Porträt einer Generation von Enddreißigern sein und deren Wertehorizont und Glücksstreben darstellen soll, verkommt dort zu einem Almanach über Markensessel und Designerlampen, in dessen Vordergrund sich eine wenig überzeugende, kaum mit neuen Ideen aufwartende Dreiecks-Beziehung abspielt.

Und die ist auch schnell erzählt: An einem Maiwochenende besucht der schon seit Jahren in Spanien lebende Pascal zusammen mit der gut fünfzehn Jahre jüngeren Inita seine alten Freunde Per und Rafa - die vollständigen Namen lauten natürlich Reginita, Peter und Rafaela - in deren ländlichem Wochenendhaus. Schnell wird klar, dass es zwischen Rafa und Per schon lange nicht mehr gut läuft, dass man sich auseinander gelebt hat und das Wochenendhaus für Per eigentlich der Hauptwohnsitz geworden ist, Rafa aber unter der Woche alleine in Köln lebt. Der Besuch von Pascal bringt nach fünfzehn Jahren nicht nur die ohnehin schon ins Wanken geratenen Gefühlswelten in Schwingung, sondern weckt vor allem bei Rafa die Erinnerung an ihre alten Gefühle für Pascal. Nach dem Wochenende weiß der Leser auch Bescheid, dass es zwischen den beiden Männern offenbar eine Art Wettkampf um sie gegeben hat, aus dem Per als Sieger hervorgegangen ist.

Wie es Lang in seinem letzten, von der Kritik viel gelobten Roman "Am Seil" (2006) verstanden hat, das alte literarische Motiv eines Vater-Sohn-Konfliktes sowohl durch die räumliche und zeitliche Situierung der Geschichte als auch durch erfrischende erzähltechnische Einfälle neu zu beleben, so scheitert er in seinem neuen Roman an einer angestrengt (und auch unangemessen) wirkenden Virtuosität.

Man hat einmal gesagt, die Kirche habe einen großen Magen und könne alles verdauen. So ähnlich verhält es sich auch mit der Gattung Roman. Vom Gedicht über den eingeschobenen Ein- oder Mehrakter bis hin zur Einfügung von Dokumentationsmaterial vereinigt er je nach Epoche ganz verschiedene Textsorten. Thomas Langs neuer Versuch etwa ist eine Mischung aus Drehbuch und Bericht. Zwar wird die Geschichte jenes Maiwochenendes linear erzählt, doch lesen sich die Beschreibungen - seien sie auf die Landschaft oder die Personenhandlungen bezogen - in der Tat wie Drehbuchzeilen. Die andere, auch durch das kursive Schriftbild abgesetzte Erzählebene stellt eine Art Protokoll oder Interview im Stile eines Dokumentarfilms dar, in dem die 'Akteure' im Nachhinein die einzelnen Szenen kommentieren.

Man ahnt ja, was die Absicht des Romans sein soll: Es geht um die Darstellung einer Generation, der auch der Autor angehört und für die Leute wie Per und Rafa nur allzu typisch sind: Moderne Dandys, für die nicht mehr nur ausgefeilte Duftwasserkompositionen und eine minutiös aufeinander abgestimmte Garderobe wichtig sind, sondern unter deren Blickwinkel auch ein Werbeprospekt für Bulthaupt-Küchen zum philosophischen Traktat gerät und man auch schon einmal die nicht zum Statement passende Einkaufstüte verschwinden lässt.

Auch liegt der Leser richtig, wenn er vermutet, dass sich hinter der scheinbaren Leichtigkeit und der geschmackvollen 'Schöner-Wohnen-Einrichtung' unterdrückte Gefühle, Sehnsüchte und - vor allem - eine unermessliche Leere verbergen, die auch noch so viele Eames-Sessel oder Noce-1-Bodenlampen nicht auszufüllen vermögen. Das alles weiß man. Aber auch nur, weil man Christian Krachts mitreißenden Roman "Faserland" (1995) vor Augen hat, dem es allerdings im Gegensatz zu Langs Roman nicht an Originalität mangelt. Vielleicht hat sich Lang einfach zu stark auf den heute schon wieder fast ausgetretenen Pfad der neuen deutschen Popliteratur eines Christian Kracht oder Rainald Goetz berufen und dabei seine eigenen Stärken - zumindest für diesen Roman - nicht ausgeschöpft.

Man fragt sich denn auch bisweilen, was der eine oder andere Kunstgriff überhaupt bedeuten oder welche Funktion er erfüllen soll. Gemeint sind vor allem die ausgesprochen unmotiviert daherkommenden Motti der Kapitel, die unter anderem aus Stücken und Romanen von Goethe, Flaubert, Robert Musil oder gleich aus dem Otto-Katalog und ähnlichen Prospekten stammen, die im Anhang erläutert werden. Vergeblich sucht man allerdings nach einem tieferem Sinn der Zitate, die sie mit den darauf folgenden Kapiteln verbinden. So ist beispielsweise das 36. Kapitel mit einem Zitat aus Alban Bergs "Lulu" versehen ("Da kommt jemand" - "Ich wusste es ja!") und das Kapitel beginnt dann folgendermaßen: "Die Tür öffnete sich schwungvoll. Mit breitem Lächeln tritt Pascal in die Küche." Ob das komisch sein soll oder tiefgründig?

Das zweite Kapitel - wie könnte es anders sein - ist mit einem Satz aus Goethes "Wahlverwandtschaften" überschrieben: "Nichts ist bedeutender in jenem Zustande als die Dazwischenkunft eines Dritten." Und so geht es munter weiter mit Shakespaere, Hamsun, Bizet, Robbet-Grillet, Thomas Mann - bis man begriffen hat, dass der Autor seine Weltliteratur gelesen hat. Was nicht weiter verwundert, denn schließlich ist Lang studierter Germanist. Allerdings lebt literarische Intertextualität von der leisen Anspielung - neben dem auf irgendeine Weise zwei Texte verbindenden Moment - und nicht vom Wink mit dem Zaunpfahl.

Langs neuer Roman über modernen (Design-)Konsum ist leider allzu leicht zu konsumieren - und es bleibt dabei nicht einmal ein bitterer Nachgeschmack zurück, über den man sich ärgern könnte. Dazu sind die Figuren nicht einprägsam genug, bleibt die Handlung zu oberflächlich und die Personenkonstellation ohne Tiefendimension. Man könnte freilich einwenden, dass diese Figuren in dieser Umgebung gar nicht anders als oberflächlich sein können. Aber Tschechows Stücke über die Langeweile - um einmal einen zu nennen, der nicht in Langs Zitatensammlung vorkommt - sind ja auch nicht langweilig, sondern gehen nicht nur 'unter Paare', sondern auch unter die Oberfläche.


Titelbild

Thomas Lang: Unter Paaren.
Verlag C.H.Beck, München 2007.
205 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-13: 9783406556104

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch