Bequemlichkeit tötet

James Salter begreift das Leben als Herausforderung

Von Robert HabeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Robert Habeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vernon Rand ist fünfzehn, als er mit dem Bergsteigen beginnt. Er ist dreißig Jahre alt, als ihn mitten im Berg der Mut verläßt. Zum ersten Mal kehrt er um. Das ist das Ende einer so fabelhaften wie abenteuerlichen Karriere. Abenteuerroman und Fabel überschneiden sich in "In der Wand" vielfach und sind vom Autor eng miteinander verknüpft. Was den Abenteuerroman angeht, so gestaltet Salter in der Figur des Vernon Rand ganz nach dem amerikanischen Muster des lonely wolf einen Cowboy, der sich außerhalb der Gesellschaft stellt. Er entläßt sich selbst aus der Universität, "weil er die Cafeteria nicht mochte und auch die Leute nicht, die dort saßen", er jobbt, geht nach Chamonix, um von dort aus in den französischen Alpen unglaubliche Bravourstücke zu vollbringen. Er wird gefeiert, verläßt seine Geliebte, als sie nicht abtreiben will und wird in Paris auf Parties vorgeführt. Für die Gesellschaft besitzt Rands Bergsteigerleben nicht die größere Reinheit oder Welthaltigkeit, die es für ihn hat, sondern ist schiere Unterhaltung.

Salters liebevolle Beschreibungen von Frankreich konnte man bereits in seinem Roman "Ein Spiel und ein Zeitvertreib" nachlesen, seine melancholischen Stimmungsaufnahmen in "Dämmerungen". Beides kehrt hier wieder. "Herbsttage sind wie Fieber. Die Sonne nimmt Abschied, sie gibt alles, was sie hat. Die Wärme ist geheimnisvoll, sie trägt eine Botschaft: Lebewohl." Das Mondäne, die Dialektik von Verlangen, Aufschub und Befriedigung, die Salters bisherigen Büchern den Rhythmus diktierten, herrschen nicht mehr unwidersprochen. Die Einsamkeit der Berge ist eine andere als die der großen Alleen. Salters Schilderungen der Kletterpartien sind in ihrer Kargheit und Härte literarische Kammtouren. Mehrfach stockt der Atem, wenn sich unvermittelt kühne Sprachfügungen öffnen.

Die Bilder der erhabenen Höhe sind ein tradionsgesättigtes Arsenal für die Beschreibung der verschiedenen Formen von Initiationsriten. Oben ist man Gott näher, wird die Luft dünner, kann es nur einen geben, ist schließlich - über allen Gipfeln Ruh. Bergsteigen ist die Sportart, wo das Leben buchstäblich am Faden hängt, wo sich der Abgrund unvermittelt auftut, man sich selbst und dem Tod begegnet. All diese Bezüge lassen sich auch an diesen Roman herantragen und mit Erfolg ausbeuten. Doch schießen all diese Bilder, Vergleiche und Kontexte letztlich in einem großen Thema zusammen: Der Analyse des Mechanismus, der sie erzeugt.

Rand flüchtet aus Paris erneut in die Berge, ist einsamer als je zuvor und klettert höher, steiler und besser denn je - bis er an den Punkt kommt, wo es nicht mehr weiter geht. "Es gibt einen Moment, in dem man das Messer kalt hineinstoßen muss, ansonsten triumphiert das Opfer."

Mit dem Ende der Kletterkarriere beginnt erst der eigentliche Kampf des Lebens, für das alles zuvor Gewesene nur Gleichnis war. Und von diesem Moment an werden die fabelhaften Elemente, die zuvor Teil einer Legendenbildung um Vernon Rand waren, als Analyse mythischer Strukturen selbst lesbar. Diese lassen sich auf den einfachen Nenner bringen, dass Helden ihr Schicksal nicht überleben dürfen. Das ist zwar nicht unbedingt neu, aber in der Lakonie der Salterschen Sprache liest es sich großartig.

"Glauben Sie nicht, daß es in der Stadt bequemer wäre?" wird Rand in der Einsamkeit einer Berghütte einmal gefragt. "Bequemlichkeit tötet", antwortet er.

Der Kampf um den Mythos seiner eigenen Person ist der gleiche, den Rand auch während der fünfzehn Jahre seiner Klettertouren geführt hat, doch sind ihm nun die Waffen aus der Hand genommen. "Er wollte nichts mehr durchleben, was er bereits durchlebt hatte. Er wollte nicht, daß sich alles wiederholte." Um der Wiederholung, der Behaglichkeit warmer Betten und großer Städte zu entkommen, hatte Rand zuvor wie um sein Leben geklettert, jetzt muss er sich ihm stellen.

Rand wird als Desateur charakterisiert, als Heiliger, aber in erster Linie als Mann. "Er war der Gesandte eines Geschlechts, das man vergessen hatte, großmütig, ohne Angst, mit einem heiligen Lächeln und dem Gefäßsystem eines Marathonläufers." Immer wieder wird Rand mit überirdischen Vergleichen belegt. Äußerlich ähnelt er den Darstellungen Jesu. Wenn er am Ende seinen gestürzten und querschnittsgelähmten Freund mit der Pistole bedroht, damit dieser aufsteht und geht, wird die religiöse Parallele übermächtig. Doch raffiniert deutet Salter Rands Leben als Heiland um und unterlegt ihm das Motiv, der die mächtigste Sogkraft für die einsamen Helden in den Bergen hat: Den Ruhm, ein echter Mann zu sein. "Es gibt etwas, das größer ist als das Leben der Städte; größer als Geld und Besitz; es gibt eine Männlichkeit, die einem nie genommen werden kann. Dafür gibt man alles." Jedoch ist auch die Männlichkeit nur die Metapher für a life less ordinary. Mann zu sein, ist in diesem Fall ein Adelsprädikat für diejenigen, die das Leben als Herausforderung begreifen.

"Sie lieben die Berge..." wird Rand einmal gefragt. Und er antwortet: "Nein, nicht die Berge. Ich liebe das Leben."

Titelbild

James Salter: In der Wand. Aus d. Amerik. v. Howeg, Beatrice.
Berlin Verlag, Berlin 1999.
38 Seiten, 99,99 EUR.
ISBN-10: 382700098X

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