Viel zu viel auf einmal

Alexander Osangs Roman "Lennon ist tot" ist nur ein müder Abklatsch der Werke großer Künstler, die er permanent aufruft

Von Jan SüselbeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Süselbeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Derzeit überschlagen sich in der Presse die Horrormeldungen über Alkoholexzesse Jugendlicher. Die Pubertät und das Erwachsenwerden waren allerdings noch nie einfach - und ganz so neu, wie man vorgibt, ist das Thema nun auch wieder nicht. Dass sich junge Leute als Außenseiter fühlen, Kommunikationsprobleme haben, gerne einmal ziellos umherstreunen und mit Drogen experimentieren, ist außerdem ein beliebtes Sujet vieler Adoleszenzromane vor allem des letzten Jahrhunderts.

Alexander Osang hat jetzt einen weiteren geschrieben und sich dabei als Reporter, der sieben Jahre für den "Spiegel" in New York lebte, naheliegenderweise am großen Vorbild von J.D. Salingers "The Catcher in the Rye" (1951) orientiert. "Vor dem Hotel winkte ich mir ein Taxi heran, aber ich hatte verdammt nicht die leiseste Ahnung, wohin ich wollte. Ich wusste nicht, wohin", lautet denn auch eines der beiden Motti in Osangs Buch, das der Autor Salingers kanonischem Roman entnommen hat. Das andere stammt vom wohl berühmtesten Musiker der "Beatles" und steht (nicht nur) in Beziehung zu dem Romantitel "Lennon ist tot".

Und damit beginnt auch schon die überbordenede Vielschichtigkeit des Buchs: Mark David Chapman, der Mörder John Lennons, trug Salingers Roman bei sich, als er den Musiker 1980 in New York erschoss. Auch Osangs Protagonist ist Salinger-Leser und beginnt im Verlauf der wirren Handlung, sich für Lennon zu interessieren. Ohne hier auf den möglichen Sinn oder Unsinn dieser vagen Zusammenhänge weiter eingehen zu müssen, kann man das Thema von Osangs Buch in etwa so zusammenfassen: Der Berliner Abiturient Robert Fischer lebt bei einer jüdischen Gastfamilie in Brooklyn, scheitert am College, wo er ein Studium aufnehmen soll, verliebt sich in Rose, die Tochter seiner Vermieterfamilie - und nimmt schließlich reißaus, nachdem ihm bei dem einen oder anderen Besäufnis plus Jointkonsum zu viel passiert ist, um es allen Menschen um ihn herum noch plausibel erklären zu können.

Robert hat sowieso Probleme damit, seine Befindlichkeiten zu artikulieren. Er fertigt trotzdem (oder genau deswegen) akribische Protokolle seiner inhaltsleeren Telefongespräche mit seinen Eltern in Deutschland an. Als schließlich auch noch die Philosophiestudentin Sadie, von der er eigentlich gar nichts will, nach einer wüsten Drogen-Party neben ihm im Bett landet, quasi Tür an Tür mit Rose, macht sich der Protagonist lieber am frühen Morgen still und heimlich aus dem Staub, anstatt die ganze Sache seiner Angebeteten und seinen Gasteltern in Ruhe auseinanderzusetzen.

Robert wachsen die sich überstürzenden Ereignisse über den Kopf - und so ähnlich geht es auch dem Leser, wollte er versuchen, den Roman wortgetreu nachzuerzählen. Die Story zerfasert mehr und mehr. Ein Nebenjob in einer Wachdienstfirma, bei der Robert zunächst wochenlange Videokameraaufnahmen von Hauseingängen im Schnelldurchlauf sichten muss, um verdächtige Personen zu melden - an sich ein intelligentes Romanmotiv, bei dem man sofort an jüngere Filme Michael Hanekes und David Lynchs denken muss - bringt den jungen Mann auf die Spur eines clochardähnlichen Ex-DDR-Bürgers, der die Landessprache nicht beherrscht und ihn zu einem abgelegenen Haus auf Fire Island vor New York führt.

Hier soll übrigens einmal John Lennon einige Zeit mit Yoko Ono verbracht haben, und unser jugendlicher Held schläft angeblich im ehemaligen Bett des Musikers (wie so Vieles in dem Roman ist auch dies ein obskures Gerücht, das der Protagonist lange nicht zu verifizieren vermag, obwohl er sich fortwährend den Kopf darüber zerbricht). Auf dem Dachboden liest Robert derweil alte Zeitungsartikel über die Ermordung Lennons vor dem Dakota Building am New Yorker Central Park. Nebenbei verführt eine 36-jährige Inselbewohnerin den 18-jährigen, will aber danach nichts mehr mit ihm zu tun haben, weil sie ihn (möglicherweise) bloß als Samenspender brauchte - weswegen Robert am Ende total austickt. Und so weiter.

Man fasst sich an den Kopf: Osang stopft eine solche aberwitzige Fülle mehr oder weniger abstruser Handlungsideen in seinen Text, dass man sich fragt, was einen Traditionsverlag wie S.Fischer überhaupt zu der Entscheidung gebracht hat, ein derart unfertiges Prosasammelsurium im Hardcover zu drucken. Offenbar rechnen sich derartige Publikationen.

Der Autor, dessen Debüt "die nachrichten" (2000) immerhin verfilmt und mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet wurde, will in seinem zweiten Roman einfach viel zu viel auf einmal erzählen. Einerseits kopiert er den typischen Salinger-Sound, bestehend aus schnoddriger Jugendsprache und der Beschreibung zielloser oder zu teuerer Taxitrips (siehe Motto). Über deren Zahl verliert der Erzähler übrigens selbst den Überblick: Einmal verkündet er bewegt, dies sei seine erste Taxifahrt in New York, obwohl wir kurz zuvor schon von einer anderen vom Stadtteil Brooklyn nach Hoboken gelesen haben - möglicherweise hat aber auch Osang selbst hier die Übersicht verloren und das spätere Lektorat ebenso versagt.

Hinzu kommt im Roman das leidige Problem der ersten Liebe und mangelnder sexueller Erfahrung. So dürfen wir bei der Lektüre Roberts Gedanken und Gefühlsverirrungen zu folgen versuchen, während ihm alle möglichen Mädchen und Frauen auf Anhieb nachlaufen und er nicht so recht weiß, wie er damit umgehen soll. Dies unterscheidet ihn übrigens von Salingers Held Holden Caulfield, der bei den Frauen eher schlechte Karten hat und daher weit sympathischer wirkt.

Immerhin besinnt sich der Journalist Osang auf das, was er gelernt hat: Detailverliebte Reportagebeobachtungen aus New York und Umgegend, allerlei Gedanken über Land und Leute sind in dem Buch Legion. Ein weiterer modischer Trick ist die Thematisierung des sich wandelnden kollektiven Rock- und Popgedächtnisses: Den einzelnen Teilen des Romans sind verschiedene CD-Songlisten vorangestellt, die miteinander korrespondieren, von der "Beatles"-, Bob-Dylan- und Jimi-Hendrix-Ära bis hin zu Tracks von Radiohead, Portishead und wie die neueren Bands alle heißen.

Die Auseinandersetzung mit John Lennon markiert bei dem Protagonisten nicht zuletzt so etwas wie den scheiternden Versuch, den eigenen Vater zu verstehen: "Father and Son" von Cat Stevens ist denn auch ein weiterer bedeutungsvoller Titel auf einer der menetekelnden Tracklists. Auf der Metaebene dürfte sich Osang, Jahrgang 1962, hier nicht nur auf die literarische Frage nach verschiedenen generationellen Selbstbildern beziehen, sondern auch die eigene schriftstellerische Nachfolge reflektieren - oder sagen wir: die schwierige Suche nach einem geeigneten Stoff für Autoren seines Alters.

In ganz anderem, aber vielleicht doch nicht so unterschiedlichem Zusammenhang schrieb kürzlich Eckhard Fuhr in der "Welt" zur Autorgenerationen nach den derzeit so umstrittenen Altstars Günter Grass und dem verstorbenen Joachim C. Fest, die in ihren viel diskutierten Romanen angeblich "die Macht historischer Erfahrung und des authentischen Erzählens ins Spiel" brächten: "Die Vierzigjährigen", also die Autoren aus Osangs Generation, verfügten dagegen "über die medialen Apparate und eine schier unbegrenzte Bereitschaft zum inszenatorischen Spiel. Aber sie haben keine Botschaft. In der generativen Folge stehen diese beiden Altersgruppen in keinem direkten Verhältnis. Es geht weder um Väter und Söhne noch um Großväter und Enkel. Eigentlich stehen sie mit dem Rücken zueinander."

Mag sein. Doch auch mit solchen Interpretationsansätzen kommt man bei Osang letztlich nicht viel weiter. Zu sehr kokettiert sein Buch mit postmodernen Verweisen in alle nur erdenklichen Richtungen: Ein paar atmosphärische Anleihen bei Paul Austers "Moon Palace" (1989) hier, ein bisschen DDR-Wende-Generationskonflikte à la Ingo Schulze dort, am Rande die poetische Einführung der Internet-Parallelwelt versus medialer Abkapselung und Rückzug in die rätselhafte Natur (samt quasi-mysthischen Erlebnissen); ein sattes Lob des Alkohols sowieso, gemixt mit dem staunenden deutschen Blick auf New York - all das und noch viel mehr ergibt nicht zwangsläufig einen guten Roman.

Weniger wäre also mehr gewesen. Es hat aber auch niemand behauptet, dass das originäre Erlebnis einer Salinger-Lektüre oder auch des Hörens einer guten Beatles-Platte wie des - bei Osang übrigens merkwürdigerweise nicht vorkommenden - "White Albums" so einfach zu multiplizieren wäre. Einen Preis dürfte dieser Roman jedenfalls nicht erhalten.


Titelbild

Alexander Osang: Lennon ist tot. Roman.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2007.
314 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-10: 310057611X

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