Desperata

Vor 70 Jahren wurde die verzweifelte Rebellin Gisela Elsner geboren

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In den letzten Jahren hat der kleine Verbrecher Verlag damit begonnen, einige der Werke von Gisela Elsner neu aufzulegen. Offenbar hat der Rowohlt Verlag das Interesse an seiner 1992 verstorbenen Autorin verloren. Literarische Gründe kann das kaum gehabt haben. Romane wie ihr 1964 erschienenes Erstlingswerk "Die Riesenzwerge" oder die Sexualsatire "Das Berührungsverbot" überzeugen noch immer, wenngleich sie auch nicht mehr als derart skandalös empfunden werden wie seinerzeit, als der Episodenroman "Die Riesenzwerge" in der Österreich als jugendgefährdend eingestuft und die Zeitschrift "Konkret" in der biederen Schweiz wegen eines Vorabdrucks gar konfisziert worden war. Dem Erfolg des in mehr als ein Dutzend Sprachen übersetzten Buches tat beides allerdings keinen Abbruch.

Gemeinsam mit Renate Rasp, Erika Runge und Angelika Mechtel wurde Elsner zu den Vertreterinnen des "Schwarzen Realismus" gerechnet. Zudem war sie Mitglied der in Abgrenzung zur Gruppe 47 entstandenen Gruppe 61, deren Angehörige sich mit der "Arbeiterdichtung" und deren Entwicklung befasste. Dem korrespondiert das politische Engagement der später in die Deutsche Kommunistische Partei eingetretenen und dort bis in die Parteispitze aufgestiegenen Autorin. Allerdings begab sich die, wie Hans Magnus Enzensberger sie treffend bezeichnete, "Humoristin des Monströsen, das im Gewöhnlichen zum Vorschein kommt", nie in die literarischen Niederungen des Agitprop oder auch nur des sozialistischen Realismus. Und das nicht nur, weil sie stets auf ein proletarisches oder sonstiges Happy End verzichtete. Auch ihre Verbindung mit der DKP hatte zuletzt keinen Bestand. Im Juni 1989 verließ sie die Partei, um dann im darauffolgenden Frühjahr, also nach 'der Wende' doch wieder einzutreten. Zwar wurde sie alsbald erneut in den Parteivorstand gewählt, doch dauerte es nicht lange, bis sie der Partei wiederum den Rücken kehrte. "Jetzt habe ich überhaupt keine Verbindungen mehr zur DKP, der meine Radikalität ebenso suspekt war, wie meine Verzweiflung", bekannte die rebellische Desperata kurz vor ihrem Tod.

Stand Elsner der sozialistischen Bewegung mehr als nur nahe, so grenzte sie sich von der feministischen 'Frauenliteratur' der 1970er Jahre entschieden ab und verbat sich, dass ihre Werke "Abseits", "Die Chronik einer Ehe" oder "Die Zähmung" "thematisch und ästhetisch unter die Rubrik 'Literatur der Frauenbewegung'" eingeordnet würden. Diese vehemente Abgrenzung mag ein wenig befremden, ist aber durchaus verständlich, wenn man sich vor Augen hält, dass schlichte Erlebnisberichte wie Svende Merians "Tod eines Märchenprinzen" oder Inga Buhlmanns "Ich habe mir eine Geschichte geschrieben", mehr noch das Gesicht der feministischen Literatur dieser Zeit prägten als etwa die zwar - wie es im Untertitel für die damalige Zeit durchaus werbewirksam hieß - ebenfalls "persönliche Erzählung" "Die Scham ist vorbei" der Niederländerin Anja Meulenbelt oder Verena Stefans sprachexperimentelle "Häutungen".

Wiederholt und nicht zu unrecht wurden Elsners Werke mit Texten so namhafter ZeitgenossInnen wie Peter Weiss, Ingeborg Bachmann, Thomas Bernhard sowie den NobelpreisträgerInnen Günter Grass und Elfriede Jelinek in einem Atemzug genannt. Doch im Laufe der 1980er-Jahre fielen die Werke der mehrfach mit literarischen Preisen ausgezeichneten Autorin ein ums andere Mal bei Kritik und Publikum durch. Rowohlt lehnte schließlich nicht nur ihren antifaschistischen Roman "Heilig Blut" ab, sondern kündigte ihr gar den Hausvertrag. Elsners Versuche, das Werk in einem der anderen deutschen Verlage unterzubringen, schlugen ausnahmslos fehl, so dass es 1988 nur in einem Verlag der UdSSR erschien. Erst jetzt, annähernd zwanzig Jahre später, liegt endlich auch eine deutsche Ausgabe vor.

Wie Michael Töteberg konstatiert, reagierte Elsner in den letzten Jahren mit "Verschwörungstheorien und Verfolgungswahn" auf ihre zunehmende Isolierung, die sie auch durch weitere literarische Auszeichnungen - 1987 erhielt sie den Gerrit-Egelke-Literaturpreis und 1991 den Kulturpreis ihrer Geburtsstadt Nürnberg - nicht wirklich durchbrochen fühlte. Zudem, so Töteberg, habe sie "über Jahre Raubbau an ihrem Körper betrieben", so dass sie Anfang der 1990er "psychisch wie physisch am Ende" gewesen sei.

Schon 1980 und 1982 hatte Elsner die Protagonistinnen ihrer Romane "Die Zerreißprobe" und "Abseits" in den Suizid geführt. Im Mai 1992 beschritt sie selbst diesen Weg, der für sie einer ins Freie gewesen sein mag.

Am zweiten Mai wäre Gisela Elsner 70 Jahre geworden. Ihre Romane und Erzählungen sind so lesenswert wie eh und je und es ist eine Freude, dass zumindest einige von ihnen wieder - oder wie im Falle von "Heilig Blut" erstmals - zu haben sind. Dem Verbrecher Verlag sei es gedankt.


Titelbild

Gisela Elsner: Heilig Blut. Roman.
Verbrecher Verlag, Berlin 2007.
250 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-13: 9783935843829

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