Comics gegen den Krebs

Anthony McCarten thematisiert in seinem Poproman "Superhero" die Probleme eines totkranken Jungen

Von Jan FischerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Fischer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Den kennt man doch. Schlaksiger Junge, fast kein Junge mehr, Kleidung in Übergröße, voll-iPodverkabelt, steht sabbernd vor Plakatwerbung mit halbnackter Frau. Kein zweiter Blick, eigentlich, weitergehen, wird auch mal erwachsen, macht nichts. Soweit, so kein Buch.

Dann kommt aus den Kopfhörern manchmal auch Klassik. Dann kann der Junge zeichnen. Dann wird der Junge vielleicht nicht erwachsen, weil er schwere Leukämie hat, die sich kaum noch bekämpfen lässt. Auf seinem Grabstein soll stehen: "Ich habe nichts kapiert. Ich will mein Geld zurück." Soweit, so eine Hauptfigur: Donald Delpe, 14.

Eigentlich will er nichts anderes als alle anderen Vierzehnjährigen dieser Welt auch: vögeln. Den neuerwachten Hormonen eine Chance geben. Seinen Körper ausprobieren: Schwer zu realisieren, wenn in dem Körper ein Permaport genanntes Ding steckt, mit dem sich Chemotherapie-Chemikalien hinein pumpen lassen, wenn die Haare schon längst ausgefallen sind und der Leib nichts mehr ist als ein malträtiertes Klappergestell: Ein einsamer Wolf mit größeren Problemen als sich ohne heldenhafte Kräfte bewältigen lassen, solchen, die bewältigt werden müssten, damit das Leben endlich weitergehen kann, missverstanden vom Rest der Welt, ein typischer Pubertierender, eine typische Figur im englischen Pop.

Donald Delpe artikuliert seine Probleme in Superheldencomics, "er tut überhaupt nichts mehr, nur diese hässlichen Comicbilder zeichnet er noch", sagt Donalds Vater, Bilder, auf denen die Frauen wenig anhaben und gigantische Brüste, Bilder, auf denen Donalds Superheld, Miracle Man, sich ohne Superkräfte immer wieder in Abenteuer stürzt, die ihn fast umbringen.

In der englischen Popliteratur haben die meisten Leute keine wirklichen Probleme, verglichen mit Donald Delpe. Sie versuchen die richtige Frau zu finden und probieren dabei fünfzig aus, sie versuchen von Drogen loszukommen und probieren fünfzig Sorten aus, letztlich sind das alles Luxusprobleme, die nicht an die eigentliche Lebenssubstanz gehen, die nicht bedrohlich sind: Popprobleme. Probleme von Menschen, die vor ihrem Leben davonlaufen.

Donald Delpe ignoriert seinen Krebs gerne, weil er sowieso nicht dagegen angehen kann. Das tun entweder die Chemikalien oder gar nichts, er versucht nur, ein normales Leben weiterzuleben, Mädchen abzubekommen, mit seinen Freunden Basketball zu spielen - und scheitert auch daran. Seine Eltern halten ihn deswegen für verrückt und schicken ihn zu einem Psychologen, der versucht, Donald wieder Lebenslust einzuimpfen.

Anthony McCarten ist hauptberuflich Dramenautor, er schreibt die Geschichte als eine Mischung aus Comic und Drehbuch. Sie ist unterteilt in Szenen, die hart aneinandergeschnitten sind, meistens mit einer Ortsangabe starten und ihre Stärke aus dem Dialog gewinnen. Die einzige Figur, der ein bisschen mehr ausformuliertes Innenleben zugestanden wird ist Donald. Die Drehbuchszenen sind vermischt mit Beschreibungen der Comicbilder Donalds: Miracle Man liegt im Krankenhaus, Donald ist plötzlich in Metropolis. Kein Problem, das kann passieren. Schnelle Schnitte, die Szenen nur lockere Skizzen, das ist eine gute Wahl um eine Geschichte zu erzählen, die von außen als Pop daherkommt, ihre Wirkung durch seifenoperhafte Überdramatisierung entfaltet, aber eigentlich dazwischen liegt, die ernsthafte Probleme in die Form des Popromanes transportiert. Die Seifenoper stört nicht weiter, die Form ist leicht und fluffig, was Donalds Probleme, Donalds Leben nur noch tragischer erscheinen lässt: Es ist nicht diese Form, in der die Geschichte erzählt werden müsste, die Form ist zu leicht dafür, zu einfach. Donalds Leben ohne Krebs könnte so erzählt werden. Dass genau das nicht passiert, verleiht der Geschichte zusätzliche Tragik und zusätzliche Ernsthaftigkeit. Mehr, als es eine betroffene ernsthafte Erzählweise könnte. Die Tragik versteckt sich ganz kurz unter der Oberfläche, dem Ort, an dem die meisten Popromane gerne stecken bleiben.


Kein Bild

Anthony McCarten: Superhero. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Manfred Allie´und Gabriele Kempf-Allie.
Diogenes Verlag, Zürich 2007.
304 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3257861540

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