Goodbye Fräulein

Birgit Utz ist eine Frau. Und hat einen guten Roman geschrieben

Von Martin SpießRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Spieß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Manchmal, aber nur manchmal, haben Frauen das Problem zu meinen, sich mal wieder emanzipieren zu müssen. Wenn sie auf arte einen Beitrag über Klitorisbeschneidung gesehen haben zum Beispiel. Das ist eine schlimme Sache, keine Frage. Aber mitunter arten (Hoho!) Emanzipation und - welch widerliches Wort - neue Weiblichkeit in Bereiche aus, in denen sie nichts zu suchen haben. Die Literatur ist so ein einer. Im Zuge des Fräuleinwunders der späten 90er-Jahre beispielsweise schrieben sich unzählige neue Erzählerinnen ihre lakonischen Vater-Tochter, Mutter-Tochter, Geschwister- oder Beziehungsprobleme von der eigenen Seele, um sie der des nichts ahnenden Lesers aufzubürden.

Bei Birgit Utz gerade erschienenem Roman "Weggefahren" fühlt man sich zwar erinnert an diese Zeit, aber nur weil sich Utz auf positive Weise von ihren Kolleginnen abgrenzt. Utz, die 1970 geboren wurde, könnte sich allein aufgrund ihres Alters in die Riege neuer Erzählerinnen einreihen, vermag es aber, genau diese Klippe spielend zu umschiffen. Obwohl die Geschichte über einiges Assoziationspotential verfügt: Rebecca, die gerade eine Totgeburt hinter sich hat, fährt zu ihrer Schwester Elisabeth, der Protagonistin, um sich abzulenken. Weder die noch ihr Freund Ben sind darauf eingerichtet, jemand dritten in ihr beschauliches Leben zu zweit hineinzulassen, und so setzen sie Rebecca nach ein paar Tagen wieder in den Zug, zurück zu ihrem Ehemann Steve. Ab da entspinnt sich eine Geschichte, die die beiden so verschiedenen Schwestern schließlich wieder zueinander führt. Denn Rebecca fährt nicht nach Hause, sondern ans Meer, dorthin, wo alles Alleinsein Perfektion erlangt. Elisabeth fährt ihr hinterher, sucht sie, findet sie und die beiden verleben eine bewegte Zeit miteinander. Dabei spielt immer wieder die Kindheit der beiden eine Rolle: Elisabeth hat den Geigenunterricht abgebrochen, Rebecca hingegen ist professionelle Cellistin geworden. Der Tod ihres ungeborenen Kindes ist nur der Beginn einer Odyssee, die beide über sich und ihr Leben nachdenken lässt: Elisabeth über ihre Beziehung zu Ben, Rebecca über ihre zu Steve. Und am Ende wird klar, dass beide umdenken müssen, dass eine sogar den Weg ohne den anderen weitergeht.

Utzs Sprache ist einfach und direkt, ihr Stil zurückgenommen, fast karg. Mal erzählt sie voller Tempo und mal lässt sie sich Zeit. Nie aber ist ihre - im positiven Sinne - Wortarmut lakonisch. Die Begrenzung ist intendiert, aber dadurch erfährt die Geschichte ein Mehr an Verve und Drive. Es ist wie bei einem Gartenschlauch: je dünner der Schlauch, desto höher der Druck. Sie erzählt schnörkellos, oft sind die Sätze elliptisch. Aber die Geschichte erreicht eine Geschwindigkeit, die die langsamen Momente dann wiederum ungemein intensiv, ja, geradezu bedächtig macht. Am deutlichsten spürt man das, wenn Utz Sex beschreibt. Der ist mal hart, fast im Vorübergehen und heißt dann auch ficken und vögeln, manchmal aber besitzt er einen beinahe zarten Zauber, ist unsagbar leicht, fast still.

Unaussprechliche Familiengeflechtstraumata fräuleinesker Literatur kommen hier nicht vor. In "Weggefahren" hat eine Autorin etwas zu erzählen. Und erzählt es. Man würde ihr jedoch nicht gerecht werden, wenn man Birgit Utz nur im Vergleich zu ihren Fräulein-Kolleginnen lobte. Vielleicht ist das auch überhaupt nicht nötig. Weil sie einfach einen guten Roman geschrieben hat. Was einen wiederum dazu führt zu sagen: der erste Schritt ist getan. Goodbye Fräulein. Hello Frau.


Titelbild

Birgit Utz: Weggefahren. Roman.
Minimal Trash Art, Hamburg 2007.
166 Seiten, 11,90 EUR.
ISBN-13: 9783980878852

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