Spuren des Alltagslebens

Die "Kritische Gesamtausgabe" von Peter Weiss' "Notizbüchern" initiiert eine neue Epoche der Forschung

Von Arnd BeiseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Arnd Beise

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nach einem Aufenthalt in Frankreich reiste Peter Weiss im August 1960 über Frankfurt nach Kopenhagen, wo er an dem Dokumentarfilm "Bag de ens facader" ("Hinter den Fassaden") über das Leben in den Hochhaus-Vorstädten arbeitete. Zwei Tage verbrachte er auf Einladung Siegfried Unselds, der den neuen Autor des Suhrkamp-Verlags kennen lernen wollte, in Frankfurt am Main. Gerade bereitete man den aufwändig gestalteten Erstdruck des "Mikro-Romans" "Der Schatten des Körpers des Kutschers" vor, mit dem Weiss 1960 auf dem deutschen Buchmarkt debütierte und sogleich zu einer literarischen Größe avancierte.

In der Nacht vom 17. auf den 18. August 1960 las Weiss in den damals noch unveröffentlichten, später als "Arbeitsjournale" gedruckten "Aufzeichnungen" Bertolt Brechts, die dieser seit 1938 angefertigt hatte. Brechts "Journal" beeindruckte Weiss nachhaltig. Erstmals seit langer Zeit sah er durch sie auch für sich wieder die "Möglichkeit, doch wieder Tagebuch zu schreiben, nach vielen Abbrüchen und Überdrüssigkeiten." Er erhoffte sich davon die Überwindung eines seiner größten Probleme, nämlich die "Schwierigkeit, eine Synthese zu finden zwischen den intimsten, subjektivsten Reflexionen und dem ständigen Bedürfnis nach Objektivierung. [...] Einerseits die Absicht, das Erleben so direkt und roh zu lassen, wie möglich, andererseits die Absicht, alles zu gestalten, auszuformen, zu verwandeln. Es müsste gelingen, das zu vereinen".

Primäres Ergebnis war die Fortführung seiner Aufzeichnungen aus Frankreich bis über das Ende des Jahres hinaus. Sie wurden kürzlich unter dem Titel "Das Kopenhagener Journal" von Rainer Gerlach und Jürgen Schutte herausgegeben. 1961 stockte das Projekt während der Arbeit an dem Roman "Fluchtpunkt". Doch im Juni 1962 nahm Weiss einen erneuten Anlauf für ein eigenes "Arbeitsjournal". Er weilte wieder einmal in Frankreich und begann mit Notizen zu seinem Alltag und der Zeit überhaupt, zu seinem Leben und zu seiner Arbeit. Die Folge der immer intensiver werdenden Aufzeichnungen riss nun bis zum Tod des Autors am 10. Mai 1982 nicht mehr ab. Weiss schrieb 48 von ihm selbst nummerierte Notizbücher voll, jedes zwischen 100 und 200 Seiten stark. Der Herausgeber der vorliegenden "Kritischen Ausgabe" betont einleitend, dass diese Notizbücher "ein spontanes, zunächst vermutlich ohne eine dezidierte Veröffentlichungsabsicht entstandenes Zeugnis ihrer Entstehungszeit" sind. "Am Schnittpunkt von Leben und Werk stehend, dokumentieren sie - neben Spuren des Alltagslebens - je aktuelle Anstöße, Probleme und Widerstände der literarischen Produktion, zeitbezogene Reflexionen und sprachliche Suchbewegungen des Autors. Sie sind eine sehr unmittelbare, zuverlässige Quelle" für das Studium der Werkgenese seit 1962, die bisher nur im Archiv der Berliner Akademie der Künste zugänglich war, nun aber der Philologie durch ihre digitale Publikation allgemein zur Verfügung steht.

Damit ist ein Missstand behoben, der für manchen Irrtum in der literaturwissenschaftlichen Forschung verantwortlich war. Während der Arbeit am abschließenden dritten Band der "Ästhetik des Widerstands" entstand "bei der Frage, ob dem Roman eine Bibliographie hinzuzufügen sei", "der Gedanke, einen Teil der Notizbücher zu publizieren", wie Weiss 1980 in seinem Notizbuch Nr. 46 festhielt. Zu diesem Zweck fertigte Weiss eine stark gekürzte und bearbeitete, durch das Einfügen von Essays und zahlreichen publizistischen Stellungnahmen sowie bis dato unveröffentlichter Texte auch erweiterte Auswahl der Notizen an. Nur etwa 40% des handschriftlich vorliegenden Texts gingen in die Druckfassung der "Notizbücher 1971-1980" (erschienen 1981) ein. Weiss hatte die gedruckte Fassung als ",Arbeitsjournal' und Materialsammlung zur ,Ästhetik des Widerstands' angelegt" und machte "darin die Zeitzeugen und Quellen sichtbar, die ihm bei der Abfassung des Romans zur Verfügung gestanden hatten." Schon die Differenz zwischen den festgestellten 40% Übernahmen aus den handschriftlichen Notizbüchern in die "Notizbücher" und den etwa 60% des Umfangs, den die "Notizbücher" gegenüber einem Druck der handschriftlichen Notizbücher im Layout der gedruckten ergäben, zeigt, dass wir es mit einem sorgfältig bearbeiteten Werk zu tun haben, das Auskunft gibt über das retrospektive Selbstverständnis des Autors und das Bild, das Weiss von sich und seiner Geschichte vermitteln wollte. Oft wurde die artistische Qualität dieses ,autobiografischen' Projekts unterschätzt und die "Notizbücher" wurden behandelt, als seien sie authentische Zeugnisse der Zeit, von denen die Notate sprechen. Authentizität braucht man zwar den Notizen nicht absprechen, aber sie sind authentisch eben für Weiss' Reflexion seiner Situation am Beginn der 1980er-Jahre.

In besonderem Maße gilt dies für die "Notizbücher 1960-1971" (erschienen 1982), die Weiss nach dem überraschenden Erfolg der "Notizbücher 1971-1980" anfertigte. Für die Nachfolge-Publikation bearbeitete Weiss die Aufzeichnungen der 1960er-Jahre, wobei er den Anfang aus verstreuten Notaten und Tagebuchaufzeichnungen nachträglich komponierte (die Entwürfe sind in einem unnummerierten Notizbuch handschriftlich überliefert). Jürgen Schutte charakterisierte das Projekt so: "Auf der Suche nach einer neuen Orientierung nach dem Abschluss der zehnjährigen Arbeit an der ,Ästhetik des Widerstands' sind die ,Notizbücher' geprägt von der Absicht, die wichtigsten Aspekte der eigenen Entwicklung zu rekonstruieren und vielleicht eine verborgene Kontinuität aufzudecken. Dabei wurden die Eintragungen ausgearbeitet, geglättet, im Sprachgebrauch vereinheitlicht, streckenweise neu angeordnet und um - gelegentlich irreführende - erläuternde Zusätze erweitert. Sie erscheinen als eine Art ,Lebensroman', retrospektiv zusammengefasst und intentional geformt; auch finden sie in manchen Passagen zu einer eigenständigen, literarischen Form."

Insbesondere bei der zweiten "Notizbücher"-Publikation, die die ersten zehn Jahre nach seinem Debüt auf dem deutschsprachigen Literaturmarkt dokumentieren sollten, griff Weiss auf Notizen zurück, die sich nicht in der 1962 begonnenen Folge von 48 Notizbüchern finden. Neben diesen finden sich im Nachlass noch weitere 23 mehr oder weniger umfangreiche Manuskript-Konvolute, zum Teil einzelne Blätter, zum Teil aber auch Notizbücher außerhalb der nummerierten Reihe. Alle 71 Einheiten mit insgesamt etwa 10.578 Seiten sind von Jürgen Schutte und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern (vor allem Wiebke Amthor und Jenny Willner sind zu nennen) transkribiert, digital aufbereitet und durch sparsam kommentierte Register erschlossen worden. Auf der CD-ROM-Edition ist zusätzlich zu den handschriftlichen Original-Notizbüchern auch der Text der von Weiss für den Druck bearbeiteten "Notizbücher" enthalten, so dass beide Textfassungen mit einem Volltextsuchlauf erfasst werden können. Für die parallele Lektüre der handschriftlichen Notizbücher und der gedruckten "Notizbücher" empfiehlt sich gleichwohl, die Buchausgaben neben dem Bildschirm liegen zu haben, statt zwischen den digitalen Texten zu springen. Leider jedoch sind die "Notizbücher 1971-1980" schon seit Jahren nicht mehr lieferbar, was kein gutes Licht auf Suhrkamps Backlist-Pflege wirft.

Da die handschriftlichen Notizbücher bisher nur im Archiv in mikroverfilmter Form zugänglich waren, sind sie bisher noch nie in umfassender Weise systematisch ausgewertet worden. Dies ist mit Vorliegen der digitalen Edition möglich geworden. Schon ein flüchtiger Vergleich provoziert interessante Fragen. So ist es auffällig, dass Weiss bei der Bearbeitung für den Druck sehr viele bibliografische Hinweise eliminierte. Warum aber blieb aber ausgerechnet der Hinweis auf das Buch "Leib und Seele" von Maxence van der Meersch (Köln/Berlin 1949) in einem stark bereinigten Umfeld stehen? Wollte Weiss den nachgeborenen Lesern von "Schmolk", dem "Bericht über die Grauhäute" oder dem "Gespräch der drei Gehenden" einen Hinweis geben? Bisher hat die Forschung sich um diesen Hinweis jedenfalls nicht gekümmert.

Einige andere bibliografische Angaben eliminierte Weiss vermutlich, weil sie nur Hinweise waren, die er dann doch nicht nutzte. So versetzte er die Einträge mit den bibliografischen Angaben zu den Marat-Studien von Louis Reichenthal Gottschalk und Hugo Rozbroj in der Druckfassung aus dem dritten Notizbuch in das zweite, weil die beiden Untersuchungen von Anfang an wichtig waren. Dagegen tilgte Weiss die Hinweise auf die Monographien von Ernest Belfort Bax beziehungsweise von Ivan Ivanovic Stepanov, weil sie eine geringe oder gar keine Rolle spielten.

Manchmal hat man den Eindruck, dass Weiss mit Absicht Spuren verwischen wollte. So werden fast alle Seitenzahlen, die es erlauben würden, Exzerpte als solche zu identifizieren, getilgt; gelegentlich werden auch die Exzerpte selbst zu Gunsten einer vorgespiegelten Arbeit am dichterischen Text entfernt. So fehlen in den "Notizbüchern 1960-1971" alle Zahlen, die sich in den handschriftlichen Notizbüchern auf Simone de Beauvoirs "Must We Burn de Sade?" beziehen; woanders fehlen nicht nur die Verweise, sondern auch die meisten Zitate aus den "Briefen aus der Französischen Revolution" von Gustav Landauer. Gelegentlich suggeriert der gedruckte Text dann Zusammenhänge, die ursprünglich nicht gegeben waren. So scheint die Frage "Was hat uns die Natur zu bieten außer dem Grab" im gedruckten Text de Sade zu gehören, tatsächlich paraphrasiert er jedoch einen Satz von Madame Roland. "Die Wahrheit in ihrem ganzen Lichte" scheint an derselben Stelle ein Satz von Jacques Roux zu sein, wo das handschriftliche Notizbuch als Urheber korrekt den Pariser Henker Sanson festhält. Bis zur Unkenntlichkeit zusammengestrichen sind Weiss' Notizen aus Bering Liisbergs "Franska Revolutionen", die in den handschriftlichen Notizbüchern einmal sechs ganze Seiten füllen, in der gedruckten Fassung aber nur eine halbe Seite ohne jeden Hinweis auf die Vorlage. Dass Liisbergs Buch die primäre Inspirations- und Informationsquelle für "Marat/Sade" war, deutete Weiss 1978 in einem Zeitungsartikel an, suchte er jedoch in den gedruckten Notizbüchern zu verbergen.

Um die vorstehenden Beobachtungen machen zu können, bedarf es allerdings der vorherigen Kenntnis der Quellen zu "Marat/Sade". Die vorliegende Gesamtausgabe enthält viele der dafür notwendigen Informationen nicht. So sind zwar das Kürzel "Br." Beziehungsweise das Wort "Briefe", womit Weiss die Zitate oder Paraphrasen aus Landauers Sammlung markierte, mit dem bibliografischen Nachweis im Anhang verlinkt; dass im Unterschied dazu die Anmerkung "grosses B." (zu lesen wohl als: "großes Buch") Liisbergs "Standardwerk" meint, wird ebenso wenig angegeben wie die Zugehörigkeit der genannten Seitenzahlen zu de Beauvoirs Schrift. Die Textzeugenbeschreibung zu Notizbuch Nr. 2 spricht sehr allgemein von "Arbeitsnotizen zu ,Marat/Sade'", während die zu dem unnummerierten Notizblock aus dem Jahr 1963 spezifiziert: "Lektüre-Notizen und Exzerpte zu ,Marat/Sade'", und zur französischen Revolution; v.a. aus Gottschalk, ,Jean Paul Marat', London/New York 1927. Die Erläuterungsleistung des Anhangs ist also sehr uneinheitlich; das Vorliegen oder Fehlen einer Information sagt nichts über den Forschungsstand.

Störend sind gelegentliche Falschinformationen. Ein Beispiel ist die schon erwähnte, im Druck von 1982 eliminierte Notiz von Weiss: "1921 Moskau Marat von Stefanov Staatl. Verlags-Anstalt". Klickt man auf Stefanov, landet man bei folgendem Registereintrag: "Stefanow: russischer Autor. [Ein Werk mit dem Stichwort ,Marat' im Titel, bzw. ein einschlägiges Werk von einem Autor ,Stephanow / Stefanov' ist nicht nachgewiesen]". Das hätte man besser wissen können. Weiss schrieb den Hinweis aus Gottschalks Buch ab; daher stammt auch die falsche Schreibung. Damit, dass der Name, was "f" und "v" angeht, nicht korrekt geschrieben sein könnte, rechneten die Bearbeiter, das zeigt ihre Anmerkung. Dass sie den Titel nicht fanden, mag verzeihlich sein; doch hätten sie schreiben sollen, der Titel sei nicht ermittelt worden. Denn nachgewiesen ist er in den verschiedensten Medien. Auch wenn man Gottschalk nicht kennt, kann man ihn im gedruckten "Catalogue" der British Library finden, doch ist nicht einmal nötig dort nachzuschauen, weil die Anfrage im KVK (Karlsruher Virtueller Katalog) binnen Sekunden zeigt: Weiss meinte die 5., korrigierte Auflage der Marat-Biographie von Ivan Ivanovic (Skvorcov-) Stepanov, einem bekannten Publizisten und Freund Lenins, der zusammen mit Vladimir Alexandrovic Bazarov die klassische russische Übersetzung von Karl Marx' "Kapital" besorgte.

Klickt man in besagter Notiz zu Stepanovs Schrift auf das verlinkte Wort Marat, landet man bei dem Registereintrag: "- Mascagni, Pietro Antonio: Il piccolo Marat , Oper in drei Akten (1921). Uraufführung: Rom, Teatro Costanzi, 2.5.1921". An diesem Registereintrag ist dreierlei bemerkenswert: Erstens hat Mascagnis Oper mit Stepanovs Buch nichts zu tun; es handelt sich also um eine falsche Verlinkung. Zweitens ist nicht nur die Verlinkung falsch, sondern der Register-Eintrag gehört überhaupt nicht in die Edition, denn von Mascagnis Oper "Il piccolo Marat" ist weder in den handschriftlichen, noch in den gedruckten Notizbüchern jemals die Rede. Drittens ist er schlecht redigiert worden. Redaktionsfehler ist nicht nur, dass der Eintrag überhaupt da ist, sondern auch dass er nicht mit dem direkt vorhergehenden Eintrag zu der von Weiss tatsächlich erwähnten Oper "Cavalleria rusticana" von Mascagni verbunden wurde; dieser lautet: "- Mascagni, Pietro (1863-1945): Cavalleria rusticana [Oper], Libretto Giovanni Targioni-Tozzetti und Guido Menasci (1890). Uraufführung: Teatro Costanz, Rom, 17.5.1890". Es sind also zwei Registereinträge, wo nur einer stehen dürfte (zwei Werke eines Autors werden sonst zusammen gefasst); sie sind uneinheitlich strukturiert (warum erfahren wir die Namen der Librettisten von "Il piccolo Marat" nicht); sie enthalten offenkundig Fehler (das falsche Leerzeichen nach "Il piccolo Marat"; der Name des Uraufführungstheaters von "Cavalleria rusticana"); sie sind teilweise falsch formatiert (nur Literaturangaben erscheinen nach Spiegelstrich; Lebensdaten werden normalerweise nicht gefettet).

Leider handelt es sich nicht um seltene Ausnahmen. Fehlende Recherche (zu "A 1000 days" steht im Register: "nicht nachgewiesen", dabei ist nichts leichter, als Arthur M. Schlesingers "A thousand days. John F. Kennedy in the White House", Boston 1965 zu identifizieren), falsche Links (am meisten lachen musste ich dieser Missweisung: Klickt man auf "Scientology" landet man bei "Deutsches Kulturinstitut. Institut für kulturellen Austausch (der DDR), Brahegatan 43, Stockholm"), Uneinheitlichkeiten (heißt das Stück "Arden aus Feversham" oder "Arden von Feversham", und ist es "um 1586" oder "um 1591" entstanden?), stehen gebliebene Tippfehler (was soll der Punkt vor der Klammer bei "Weiss.(*1885)"; warum stehen so häufig zwei Leerzeichen vor dem Gedankenstrich, während dieser an dem folgenden Wort klebt?) und fehlende Literaturangaben (nie aufgelöst wird die abgekürzte und mit einem überflüssigen Komma verunstaltete Literaturangabe "Sieg, 1994") gibt es viele. Meistens sind es nur Kleinigkeiten, aber sie nerven gelegentlich.

Die Bedingungen, unter denen Editionen wie die vorliegende heute erarbeitet werden müssen, erlauben oft gar nicht mehr eine gründliche Recherche oder die Vernetzung aller wissenschaftlichen Ressourcen. Inzwischen weisen einen die immer sparsamer fördernden Drittmittelgeber auch schon darauf hin, dass zügiges Fertigwerden wichtiger sei, als in die Tiefe zu gehen. Was unter solchen Bedingungen von den Bearbeitern der "Notizbücher"-Edition geleistet wurde, ist fantastisch, das muss bei aller Kritik im Einzelnen ausdrücklich festgehalten werden. Bei zahllosen Erläuterungen im Personen-Register kann man nur ahnen, welcher Recherche-Aufwand notwendig war und muss dankbar sein. Außerdem erfreut uns der Herausgeber gelegentlich mit seinem feinen Sinn für Selbstironie. Drei Mal erwähnte Weiss Jesus; zwei Mal werden wir zu der wunderbaren Erläuterung geschickt: "Jesus, gen. Christus: biblisch: jüdischer Wanderprediger und Stifter des Christentums".

Das Wichtigste aber ist: die schiere Präsenz des Texts ist eine Sensation. 10.578 Seiten handschriftliche Notizen haben die Bearbeiter transkribiert und digitalisiert. Ohne jede Erläuterung würde allein dies schon rechtfertigen, davon zu sprechen, dass von dieser Edition eine neue Epoche der Weiss-Forschung ausgehen wird.

Die "Notizbücher" sind in der Digitalen Bibliothek der Directmedia Publishing GmbH erschienen, das heißt die Software ist eine der besten, die es auf dem Markt für digitale Bücher gibt. Leider aber handelt es sich um die Version 4.01, die in einer Hinsicht eindeutig schlechter abschneidet als die Vorgänger-Version 3.91: Es gibt den Suchfilter "Textbereich" nicht mehr. Vielmehr muss man erst umständlich eine "Auswahl" herstellen und laden, um etwas Analoges zu erreichen, nämlich den Suchbereich zu verkleinern. Das ist so umständlich, dass man in der Praxis darauf fast immer verzichtet und die Suche über den ganzen Band laufen lässt, was im Fall der "Notizbücher" nicht so schlimm ist wie im Fall einer Anthologie, etwa der "Großbibliothek" "Deutsche Literatur von Luther bis Tucholsky" (DB 125). Die Wiedereinführung dieses Suchfilters wäre das größte Geschenk, das Directmedia den Nutzern der Digitalen Bibliothek machen könnte.


Titelbild

Peter Weiss: Die Notizbücher. Kritische Gesamtausgabe. CD ROM.
Herausgegeben von Jürgen Schutte in Zusammenarbeit mit Wiebke Amthor und Jenny Willner.
Directmedia Publishing, Berlin 2006.
45,00 EUR.
ISBN-10: 3898535495
ISBN-13: 9783898535496

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