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Sigrid Nieberle und Elisabeth Strowick geben einen Sammelband zur fruchtbaren Verbindung von Narratologie und Gender Studies heraus

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Lange Zeit gingen Narratologie und literaturwissenschaftliche Gender Studies strikt getrennte Wege. Seit einigen Jahren finden sie jedoch mehr und mehr zueinander. So erschien in der "Sammlung Metzler" unlängst ein von Vera und Ansgar Nünning herausgegebener Band über das Verhältnis von - so der Titel - "Erzähltextanalyse und Gender Studies", in dem sie selbst einen Beitrag zu "neue[n] Entwicklungen in der gender-orientierten Erzähltheorie" beisteuerten. Für den von Sigrid Nieberle und Elisabeth Strowick nun herausgegebenen Band "Narration und Gender" haben sie ihren damaligen Beitrag entsprechend des etwas anders gelagerten Themas umgeschrieben. Nun fokussiert er auf "Analysekategorien und Forschungsperspektiven einer gender-orientierten Erzähltheorie und Erzähltextanalyse". Entstanden ist dabei ein Text, der nicht weniger instruktiv ist als der ursprüngliche Aufsatz.

Die nahezu zwanzig Beiträge des nun erschienenen Bandes untersuchen die Relevanz narrativer Strukturen und narratologischer Ansätze für die Konstruktion von Geschlecht und verteilen sich auf drei thematische Rubriken. Zunächst werden die "gegenseitigen Herausforderungen von poststrukturalistischer Narratologie und aktuellen Ansätzen der Gender bzw. Queer Studies" und deren "theoretische Schnittstellen" ausgemacht und erörtert. In den beiden anschließenden Teilen werden zunächst "mediale" und "epistemische Aspekte narrativer Geschlechterkonstruktion" als Gegenstände kulturwissenschaftlicher Forschung diskutiert. Dabei wird der Begriff des Erzählens über ein engeres literaturwissenschaftliches Verständnis hinaus auf die Medien Film und Fernsehen, aber auch auf die Malerei ausgedehnt.

Denn wie die Herausgeberinnen betonen, betreiben die AutorInnen des Bandes die Untersuchung der vielfältigen Beziehung von Narration und Geschlecht als "transgenerische, intermediale und interdisziplinäre Wissenschaft", die "sprachliches Handeln als grundlegende kulturelle Praxis" begreift. Ihr besonderes Interesse gilt dabei immer wieder dem unter dem Begriff "narrating gender" gefassten Verhältnis wechselseitiger Konstitution von "erzählende[m] und erzählte[m] Geschlecht". Zwar bedienen sich die Beiträge eines "breite[n] methodische[n] Spektrum[s]", allen gemeinsam ist jedoch das Anliegen, "das vielfältige Verhältnis zwischen narrativen Strukturen, medialen Bedingungen und Wissensformen unter gender-Aspekten zu perspektivieren".

Während Erika Greber dem "implizite[n] gendering" des "latente[n] Erzähler[s]" in einer Kurzgeschichte von Anton Tschechow nachspürt und Mitherausgeberin Strowick der Gattungszitation in Adalbert Stifters Erzählungen "Granit" und "Aus dem Bairischen Walde" untersucht, vertritt Brigitte Wagner die These, dass sich die analytische Kategorie der Stimme besonders gut dafür eigne, literatur- und kulturwissenschaftliche Forschungsinteressen zu verbinden und "ästhetische und ethische Fragen engzuführen". Nadyne Stritzke wiederum verknüpft feministische und gender-orientierte Narratologie mit der Performativitätstheorie Judith Butlers zu einem Konzept "narrativer Performativität", mit dessen Hilfe - so will sie zeigen - sich das "subversive Potential" literarischer Erzähltexte "entschlüssel[n]" und somit der "feministisch-politische Handlungsspielraum" erweitern lässt.

Neben Anette Runte, die sich den "trügerischen Geschlechtsidyllen" bei Hugo von Hofmannsthal, Heimito von Doderer, Arnold Böcklin und Giorgio de Chirico zuwendet, und Marion Picker, die "Genre und Geschlecht" am Beispiel von Rainer Werner Fassbinders 'Der amerikanische Soldat' untersucht, zählen Gaby Allrath und Marion Gymnich zu den AutorInnen, die das engere Feld literaturwissenschaftlicher Forschung verlassen. In einem erhellenden Beitrag beleuchten sie "Erzählen und Gender in amerikanischen Fernsehserien seit den 1990er Jahren". Als "Leitlinien" dienen ihnen drei "thematische Komplexe", die sie unter die Stichworte Stimme, Körper und Blick fassen, welche jeweils mit der Erzähltheorie, den Gender Studies und der feministischen Filmwissenschaft korrespondieren. Ihre These, "dass auch in Fernsehserien sex, gender und sexuality nicht repräsentiert, sondern vielmehr in performativen Akten generiert werden", erhärten sie, indem sie "die spezifischen Möglichkeiten audiovisuellen Erzählens, welche die Bild- und Tonspur jeweils für sich sowie in ihrem Zusammenspiel bieten", ins Zentrum ihrer kleinen Untersuchung rücken und sich dabei insbesondere den voice-over-ErzählerInnen etwa der Serien "Buffy" und "Sex in the City" zuwenden.

Insgesamt erweist der vorliegende Band einmal mehr, dass Narratologie und literaturwissenschaftliche Gender Studies durchaus eine glückliche Partnerschaft eingehen können.


Titelbild

Sigrid Nieberle / Elisabeth Strowick: Narration und Geschlecht. Texte - Medien - Episteme.
Böhlau Verlag, Köln 2006.
428 Seiten, 44,90 EUR.
ISBN-10: 3412356050
ISBN-13: 9783412356057

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