Eine SMS mit Folgen

Navid Kermanis Roman "Kurzmitteilung" ermangelt es an künstlerischem Anspruch

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Leben der Hauptfigur Dariusch gerät durch eine SMS ins Wanken. Der erfolgreiche Eventmanager erfährt per Kurzmitteilung, dass Maike Anfang gestorben ist; eine Frau, die er nur zweimal bei beruflichen Meetings getroffen hat und deren Tod dennoch in seinem Kopf eine wahre Gedankenlawine auslöst.

Autor Narvid Kermani, habilitierter Islamwissenschaftler und Sohn iranischer Eltern, hat einen ziemlich unsympathischen Protagonisten gezeichnet - einen zeitgeistkonformen Egozentriker von Anfang vierzig, der beruflich zwischen Kunst und Kommerz und privat zwischen Abenteuer und Isolation pendelt. Hat der intellektuelle Grübler Kermani mit der lebenslustigen und oberflächlichen Figur einen Gegenentwurf zur eigenen Person im Sinn gehabt?

Frauen sind für den Protagonisten Dariusch primär Objekte der sexuellen Begierde, wenngleich die Verstorbene in seiner Hierarchie keinen vorderen Platz einnahm. Stattdessen hatte er ein Auge auf deren Kollegin Korinna geworfen, die ihn per Kurzmitteilung von Maikes Tod unterrichtet hatte. Die beiden Frauen arbeiteten in der PR-Abteilung eines Autokonzerns und waren damit beschäftigt, die Verabschiedung des Vorstandsvorsitzenden zu organisieren. Dariusch (wie sein geistiger Vater mit biografischen Wurzeln im Iran) sollte das Programm zusammen stellen und hatte sich bei den ersten Treffen für die Variante "Publikumstauglichkeit und Avantgarde" entschieden.

Als er die Nachricht erhält, sitzt er in seiner Wohnung im Künstlerdorf Cadaqués. In jenem Ort im Nordostzipfel Kataloniens, in dem Salvador Dali seinen Lebensabend verbrachte, Pablo Picasso eine Sommerwohnung besaß, Gabriel Garcia Márquez häufig zu den Gästen zählte und eine schmale Altstadtgasse nach Marcel Duchamp benannt ist. Dariusch hat es also geschafft und lebt - wie er es selber nennt -- "im Disneyland der Individualisten."

Es kann nur der plötzliche Tod eines gleichaltrigen Menschen gewesen sein, der ihn in eine innere Unruhe versetzt und antreibt, sofort in den Schnellzug zu steigen und von der Costa Brava nach Köln zu fahren. In der Rheinmetropole hat er selbst noch einen Wohnsitz, dort hat er auch Maike und Korinna getroffen. Er will sich in der Domstadt auf Spurensuche begeben, will Maikes Familie kennenlernen und ihrer Beisetzung beiwohnen.

Kermani (Jahrgang 1967) entwirft tragikomische Szenen, als es zum Treffen zwischen Dariusch und Maikes Angehörigen kommt. Ein fremder Mann interessiert sich über Gebühr für eine ihm (fast) unbekannte Verstorbene. Tatsächlich befindet sich Dariusch - ausgelöst durch den plötzlichen Tod in seinem Umfeld - auf der Suche nach sich selbst, nach seiner intellektuellen wie geografischen Heimat, nach Spuren, die man auf seinem Lebensweg hinterlassen hat.

Dass ein noch junges Leben abrupt ausradiert wurde, dass eine Existenz mit der Beerdigung abgeschlossen wird wie eine abgearbeitete Akte, stürzt den Protagonisten (auch vor dem Hintergrund der Attentate von London) in eine tiefe Depression, in eine aussichtslos anmutende Identitätskrise.

So weit folgt man Narvid Kermanis flott erzählter Story um die disparate Dariusch-Figur vorbehaltlos. Doch am Ende fügt der in Köln lebende Autor seinem Roman ein Kapitel an, dass so unnötig ist wie Kühlschränke am Polarkreis. Der durch seine innere Zerrissenheit interessante Dariusch wird von einer obskuren Sekte "eingefangen" und "bekehrt". "Ja, der wahre Sinn des Lebens liegt darin, für andere dazusein", entfährt es der geläuterten Hauptfigur. Mit diesem allzu versöhnlichen Finale hat Navid Kermani (um noch einmal Dariuschs Gedanken aufzunehmen) seinen künstlerischen Anspruch der Alltagstauglichkeit geopfert. Schade drum!


Titelbild

Navid Kermani: Kurzmitteilung.
Ammann Verlag, Zürich 2007.
160 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-13: 9783250601043

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