Über Menschlichkeit und das Vergessen

John Bayleys Erinnerungen an Iris Murdoch

Von Heiko SeibtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heiko Seibt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Elegie für Iris" ist John Bayleys bewegend-unsentimentale Schilderung seiner Ehe mit der 1999 verstorbenen Schriftstellerin Iris Murdoch - einer Ehe, die von Respekt, tiefer Zuneigung und gegenseitigem Vertrauen geprägt war, woran selbst Murdochs spätere Erkrankung an Alzheimer nichts zu ändern vermochte.

In träumerischen Bildern erinnert sich Bayley an die ersten Begegnungen mit der jungen Autorin, die frühen Jahre seiner Ehe, die bukolischen Freuden gemeinsamer Badeausflüge und auch an das schriftstellerische Schaffen seiner Frau. Iris Murdoch verfaßte Theaterstücke, Gedichte und philosophische Arbeiten, unter anderem über Sartre und Platon. Ihr Hauptwerk jedoch sind ihre 26 Romane, die der introvertierten, äußerst bescheidenen Autorin, die von sich selbst behauptete, sie sei nur eine zweitrangige Schriftstellerin und gehöre nicht zu den Großen ihres Fachs, zahlreiche Auszeichnungen und Ehrungen eintrugen, darunter 1978 den Booker Prize für "The Sea, the Sea", 1987 die Ernennung zur Dame of the British Empire und 1988 den Shakespeare-Preis der Hamburger Alfred Töpfer-Stiftung.

Für Murdoch mußte ein Roman eine gute Geschichte erzählen, seine Leser beglücken und ihnen zur gleichen Zeit die Welt verständlicher machen. Ihre Romane sind oft als nüchterne Analysen menschlichen Verhaltens bezeichnet worden, die auch von ihrem Studium der Philosophie geprägt sind. Die Autorin zweifelte an der Fähigkeit des Individuums, die Welt zu erfassen und zu deuten, da es sich stets an seiner direkten Umwelt orientiere und sich von dieser beeinflussen lasse. Nur die Kunst ermögliche es, eine wahre Sicht auf die Realität zu entwickeln. Eines ihrer Hauptthemen, die Wandlung vom ich-bezogenen Menschen zum weltoffenen Wesen, steht im Mittelpunkt ihres bekanntesten Romans "Der schwarze Prinz".

Das Werk von Iris Murdoch war schon zu Lebzeiten abgeschlossen, denn ihre bemerkenswerte Karriere nahm durch die Alzheimersche Krankheit ein verfrühtes Ende. Zuerst als Schreibkrise gedeutet, sollte sie die Schriftstellerin innerhalb weniger Jahre in einen lebendigen Leichnam verwandeln. Mit viel Feingefühl zeichnet Bayley den Verlauf der Krankheit nach, schildert, wie seine Frau allmählich ihr Konzentrationsvermögen verliert, später dann die Fähigkeit, zusammenhängende Sätze zu formulieren. Am Ende bleiben ihr nur noch Furcht, Erstarrung und eine stete Unruhe. Die jahrzehntelang geübte Vertrautheit hilft Bayley, die Angstzustände seiner Frau zumindest für kurze Zeit zu lindern.

Trotz aller Veränderungen, die diese Ereignisse in das Eheleben der beiden gebracht haben, erzählt Bayley meist in einem zuversichtlichen Ton; so habe die Erkrankung, "die Wesenszüge so sehr verändern kann, daß es fast einer teuflischen Parodie gleicht", bei seiner Frau nur bewirkt, ihre natürliche Freundlichkeit zu verstärken. Unbefangen spricht John Bayley über das gemeinsame Leben mit der Krankheit und über das Verdämmern eines ehemals kreativen Geistes in sprachlose, kindliche Emotionen, ohne sich dabei in triviale Rührseligkeiten zu verlieren. "Elegie für Iris" ist eine einfühlsame Geschichte über Menschlichkeit, Humor, Bescheidenheit und Toleranz.

Titelbild

John Bayley: Elegie für Iris.
Verlag C.H.Beck, München 2000.
259 Seiten, 19,40 EUR.
ISBN-10: 340646064X

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