Mussolini, Goebbels, Mao

Curzio Malapartes Kriegs- und Reisereportagen "Zwischen Erdbeben" zeigen einen wendigen und wechselhaften Charakter

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Beinah wäre er nach Karlsruhe gezogen, in einem Vorort hat er sich schon ein Haus angesehen, in der Nähe seiner deutschen Verlegerin Ingeborg Stahlberg. Leider wurde nichts daraus, und das ist schade, denn Malaparte als Karlsruher Autor: Was hätte er da Freches schreiben können. Zumal er die Deutschen mochte. Vor allem die Nachkriegsdeutschen. In seinen Reisefeuilletons lobte er vor allem die Höflichkeit, die er nach dem Krieg erlebte. Früher hat er sie verabscheut, vor allem Hitler, den er "weibisch" fand. Von Mussolini, dessen Krawatten er geschmacklos nannte, wurde er verhaftet und verbannt.

Ein spannendes Leben hat Curzio Malaparte geführt, der 1898 als Kurt Erich Suckert in der toskanischen Industriestadt Prato als Sohn eines erfolglosen sächsischen Textilunternehmers und einer Mailänderin geboren wurde. Ein unruhiger Geist: Schon mit sechzehn Jahren lief er von zu Hause davon, um Soldat zu werden. Noch vor dem Eintritt Italiens in den Weltkrieg schloss er sich einer Sonderdivision gegen die Deutschen an. 1925 legte er sich seinen neuen Namen zu, der eine Anspielung auf Bonaparte ist: Malaparte ist der "böse Teil" des Menschen. Nacheinander wurde Malaparte begeisterter Faschist italienischer Prägung und Mussolini-Anhänger, danach Mussolini-Gegner, Chefredakteur verschiedener Zeitungen, Reise- und Kriegsjournalist, Verfemter und auf eine Insel Verbannter, Regisseur und Dramatiker, Architekt eines der seltsamsten Häuser des letzten Jahrhunderts, Dandy, Snob und Exzentriker. Und Autor zweier zynischer Skandalbücher, der Kriegs- und Nachkriegsromane "Kaputt" und "Die Haut", für die er von einer der Hauptpersonen der Romane verklagt wurde - beziehungsweise derjenigen, die sich darin wiederfand

Sein spannendes Leben wird in seinem neuen Buch deutlich, aber auch seine Wechselhaftig-, seine Wendigkeit: Malaparte lavierte sich durch, aber immer etwas unangepasst. Seine Reisestücke, die in der Anderen Bibliothek jetzt versammelt wurden, erzählen von den Nazis und den Russen, vom Nachkriegsstuttgart und -schwarzwald, dem Titisee und China, von den Hunger-Slums in Glasgow, der Belagerung Leningrads durch die deutschen Truppen, die drei Jahre lang diese große Industriestadt aushungerten. Malaparte schrieb von der Seite der Deutschen aus, für Mussolini. Wie er überhaupt den ganzen Weltkrieg über an vielen Fronten war und berichtete. Der italienische Außenminister Galeazzo Ciano hatte ihn vom Dienst an der Waffe befreit und ihn als Sonderberichterstatter für den "Corriere della Sera" nach Äthiopien geschickt, dann nach Griechenland. Mit seinen Artikeln sollte der populäre Journalist auch den Krieg vorbereiten. Aber er schrieb eine Griechenhymne: "Was die Verwandtschaft zwischen Griechenland und Italien ausmacht, ist weniger die Kunst und die Kultur als dieses verborgene, geheimnisvolle Gefühl, das nur ein Italiener in Griechenland zu erkennen vermag. Zu erkennen vermag als sein eigenes, zu erkennen vermag in sich selbst." Weiter ging es nach Jugoslawien, Rumänien und auf den Balkan.

Und schließlich durfte er vom ersten Tag an die Deutsche Wehrmacht bei ihrem Angriff auf die Sowjetunion begleiten. Ein sehr "ehrenvoller" Auftrag, den er dadurch ein wenig unterlief, indem er immer wieder die Landschaft beschrieb, nicht die heroischen blonden Bestien. Den Wald und den Himmel. Und wenn er die eingeschlossenen Arbeiter in Leningrad thematisiert, kommt einmal der seltsame Satz: "Das gefällt mir nicht, und es ist sinnlos, näher auf die Einzelheiten dieser Tragödie einzugehen." Lieber schrieb er über die Wälder: "Es sind Wälder mit nicht sehr hohen Bäumen, unter ihnen sehr viele Birken mit hellen Blättern und Stämmen, die im dunklen Blau der Tannen silbern glänzen."

Leider ist der Text dieser Reportagen von Malaparte nachträglich umgeschrieben worden, und der Herausgeber Jobst Welge schweigt sich über Umfang und Art der Überarbeitungen aus. Nur dass er "die philosowjetische Tendenz verstärkt" hat, gibt er zu. Das verleidet einem leider ein wenig die Lektüre. Immerhin ließ Goebbels ihn von der Front abziehen und nach Finnland versetzen. So ganz beliebt kann sich Malaparte auch damals nicht gemacht haben, Tendenz hin oder her.

Sein Leben verläuft auch nach dem Krieg weiter unruhig. Er reist durch die Welt, findet Mao Dsedong sehr sympathisch und schreibt Reportagen, die seine Sympathien für die einfachen Menschen bezeugen, für ihr Streben nach Glück, und sei es auch durch Gewalt, durch eine Revolution.

Immer etwas pathetisch und vollmundig sind seine Reportagen, oft ein wenig übertrieben die Waldmystik feiernd, die Landschaft als Ruhepunkt eines Getriebenen. Auch scheut er sich nicht vor Kitsch: "Das Meer küsste das Ufer mit seinem schüchternen und matten Seidenglanz." Dennoch: Immer wieder scheinen schöne Situationen durch, kleine Geschichten, in denen er von den Menschen erzählt, in denen er sie schön zu charakterisieren versteht, manchmal in fast ungewollt scheinenden Nebensätzen.

Curzio Malaparte war ein sehr interessanter Mann, ein schlauer Mensch, der sich halb gewollt, halb aus Versehen immer wieder in die Nesseln setzte und durch seine vielen Beziehungen gerettet wurde. Nur richtig sympathisch wird er einem nie, man wird nicht richtig warm mit ihm. Ein wenig zu sehr stellt er sich auch in seinen Reisereportagen ins richtige Licht, scheint auch sich selbst immer ein wenig mitzufeiern, mitzuzelebrieren. So wie auch seine letzte Reise ein seltsames Projekt sein sollte: Auf dem Fahrrad wollte Malaparte Mitte der 50er-Jahre Amerika durchqueren, von New York nach San Francisco und damit gegen die Mechanisierung der modernen Welt protestieren. Dabei sollte ihn Coca Cola sponsern, und er versprach, unentwegt diese braune Zuckerbrause zu trinken: zweitausend Flaschen. Ein seltsamer Protest gegen die moderne Welt. Dazu kam es nicht mehr. Nach seiner Reise nach China wurde er schwer krank, flog nach Rom, wurde Mitglied der kommunistischen Partei und trat zum katholischen Glauben über. Dann starb er.


Titelbild

Curzio Malaparte: Zwischen Erdbeben. Streifzüge eines europäischen Exzentrikers.
Übersetzt aus dem Italienischen von Michael von Killisch-Horn.
Eichborn Verlag, Frankfurt a. M. 2007.
364 Seiten, 25,50 EUR.
ISBN-13: 9783821845821

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