Mit Sugar-Daddy nach Highdelberg

Wolf-Ulrich Cropps verkorkstes Fremdwörterlexikon

Von Frank MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit diesem Lexikon hat der Autor Wolf-Ulrich Cropp natürlich keine "Syphilisarbeit", sondern vielmehr wahre "Sysiphusarbeit" geleistet. Trotzdem ist das Wortspiel nicht aus der Luft gegriffen, denn von derlei Sprachschnitzern will Cropp den Nutzer seines "umgekehrten" Fremdwörterbuches bewahren. Fremdwörter drücken oft aktueller und pfiffiger aus, was im Deutschen langatmig und umständlich klingt, sie bergen aber auch die Gefahr, dass man sie falsch benutzt und unabsichtlich danebenhaut. Ob Cropps Nachschlagewerk dabei hilft, peinliche Verwechslungen zu vermeiden, muss indes bezweifelt werden.

So müsste der Leser bereits wissen, unter welchen Bedingungen Bedeutungsunterschiede wie der zwischen "Ehefrau" und Xanthippe vernachlässigbar sind. Ihm müsste klar sein, dass ein "Vertrauensbruch" nicht eo ipso auf einer Indiskretion beruht, bevor er zu diesem Band greift. Weiß Gott nicht jedes "Ärgernis" lässt sich mit Skandal übersetzen, selbst dann nicht, wenn es sich um die Skandalnudel Nina Hagen dreht. Der Rezensent möchte beschwören, dass er außer von Katakomben auch noch von anderen "Begräbnisstätten" hat läuten hören und "Spürnasen" zu Gesicht bekam, die mit Trendscouts nur wenig gemein hatten. Bei Cropp wird ein Verb wie "beschönigen" ohne jeden Hinweis auf die umgangssprachliche Semantik seines Pendants zu frisieren zurechtgestutzt. Ein anderes Mal bleibt der Begriff des Intellektuellen unterbestimmt, da sich als solcher jeder "Mensch mit Denkvermögen" schimpfen darf.

Die Gründe für solche Patzer liegen auf der Hand. Zwar können Fremdwörter durch zahlreiche Verwendungsmöglichkeiten im Deutschen umschrieben werden. Nur selten lassen sie sich jedoch wie im Vokabular der Medizin in eindeutige, lexikalisch lokalisierbare Begriffe überführen. Das hat zur Konsequenz, dass es zwischen Fremdwort und deutscher Rückübertragung zu bisweilen empfindlichen Bedeutungsverschiebungen kommt, zumal auch die Anzahl der zu Gebote stehenden Synonyme auf der Transkriptionsseite des "umgekehrten" Lexikons im Vergleich mit dem konventionellen Fremdwörterbuch schrumpft. Obgleich dem im vorliegenden Fall durch Anwendungsbeispiele entgegengewirkt werden soll, gehen Nuancen und graduelle inhaltliche Unterschiede bisweilen verloren oder sie verschwimmen. Wird das Fremdwort mit Hilfe verallgemeinernder Wortgruppenlexeme eingeführt, bleibt es für den Nutzer oftmals unauffindbar. Einmal ehrlich: Wer schlägt schon unter dem Stichwort "Armbandgerät, das piepst" (Scall) nach, unter "Gruppe, negativ eingestellte" (Gang) oder "Aufwand, der den Standard weit übersteigt" (Luxus)?

Überproportioniert erscheint in Cropps Wörterbuch der Bereich der Trend- und Szene-Akronyme (z. B. Fruppy für "Großstadtmensch, frustrierter") und der Neuen Medien. Längst lauert hinter der Maske des "Datenbankeindringlings" - des schon fast wieder biederen Hackers - der fiese Cyberpunk. Gerade im Bereich der EDV-Fachterminologie verschärft sich die oben skizzierte Problematik. Zum Stichwort "Welten, vom Computer hergestellt" oder "Grundplatte am Rechner" wird sich der Leser nur durch Zufall verirren. Hat er es einmal getan, dann stößt er mit Cyberspace und Motherboard doch nur auf Begriffe, die mittlerweile ohnehin zum festen Grundwortschatz des vernetzten Individuums gehören. Streckenweise langweilt das Lexikon durch technische Details und die Aufzählung unterschiedlicher Fabrikate. Hier legt sich Cropp mächtig ins Schreibzeug, wie eine entsprechende Notiz erkennen lässt. Das blinkende 12:00-Zeichen im Display des Videorekorders, so heißt es, sei "symbolisch für das technische Unvermögen der Bürger, auch nur die Uhrzeit programmieren zu können".

Das Vergnügen des Verfassers am Kommentar und an der aktuellen Fußnote von Feldbusch bis Lewinsky ist gerade noch zu verschmerzen, und selbst aus den koketten Bemerkungen zum Drogenkonsum (wir stoßen auf ein in "Highdelberg" stattfindendes Smoke-In; unter "Marihuanazigarette" spricht ein 68-er Richter nur widerwillig das Urteil gegen einen Hanfkonsumenten) wollen wir Cropp keinen Joint, pardon, keinen Strick drehen. Und heißt es unter dem Stichwort "Frauenbewegung, ruppige", die Riot-Girl-Bewegung sei heute eine "Ausdrucksform junger, radikaler Frauengruppen, die sich dem Sexismus u. der Diskriminierung im Beruf verschrieben haben" (gemeint ist doch sicher der Kampf dagegen?), so geschehen solche Schludereien doch sicher ohne weiteren Vorsatz. Selbst die im Bemühen um Originalität aus Boulevardblättern zitierten Geschmacklosigkeiten (Stichwort "Mullbausch" bzw. Tampon) überliest der Rezensent verschämt und blättert rasch weiter.

Dafür lassen ihm eine Reihe anderer Passagen die Halsschlagader unschön hervortreten. Ein grober und unverzeihlicher Missgriff ist das unkommentierte Zitat zum Marxismus als Herrschaft der "Deklassierten" und "Defekten". Daneben, so könnte man meinen, macht sich unverhohlene Frauenfeindlichkeit (Mysogynie) breit. Verantwortlich für das "Beziehungsdurcheinander zwischen den Geschlechtern" ist nach Cropp nämlich die Post-Emanzipation der Frau, die ihrem Gefährten durch Schwangerschaftserpressung und Karriereverweigerung die Partnerschaft verleidet. Ist das noch steigerungsfähig? Es ist. So übersetzt der Verfasser "Sex mit älteren Männern" mit Nekro-Sex, und zwar "aus der Sicht 'moderner' Mädchen (Girlies) mit Grufties oder Sugar-Daddies, die das Low-Budget-Problem lösen". Auch in soziologischer Hinsicht geht hier manches schief. Mag die Familienforschung auch einen gesellschaftlichen Wandel traditioneller Familienformen diagnostizieren, Cropp verbannt die Patchwork-family mit einem unzeitgemäßen Konservativismus unter das Stichwort "Familie, zerrüttete".

Die Quittung für diese grobschlächtigen Worthubereien? Die stellt der Rezensent dem Verfasser in Form einer Fahrkarte aus. Reiseziel Makulaturien.

Titelbild

Wolf-Ulrich Cropp: Sofort das richtige Fremdwort. 20.000 Stichwörter mit originellen Anwendungsbeispielen und hilfreichen Zitaten.
Eichborn Verlag, Frankfurt a. M. 1999.
438 Seiten, 22,50 EUR.
ISBN-10: 3821814799

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