Westwärts - Friedhelm Rathjen über Arno Schmidt und die amerikanische Literatur

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Arno Schmidt hat auf Amerika und die amerikanische Literatur gern geschimpft, doch zwei seiner wichtigsten Bezugsautoren waren Amerikaner: Edgar Allan Poe und James Fenimore Cooper. Weitere Autoren des 19. Jahrhunderts, die Schmidt rezipiert hat, sind Mark Twain, Henry David Thoreau und die tagebuchschreibenden Entdeckungsreisenden Meriwether Lewis und William Clark; von den amerikanischen Schriftstellern des 20. Jahrhunderts wiederum interessierten Schmidt erstaunlicherweise vornehmlich Humoristen, vor allem Thorne Smith und James Thurber.

Der Band "Westwärts" versammelt Studien zu Schmidts Umgang mit den genannten und einigen weiteren amerikanischen Autoren. Bereits weithin erforscht ist die Geschichte der Schmidt'schen Beziehung zum Werk von Edgar Allan Poe, mit Abstrichen auch diejenige zu James Fenimore Cooper: Zu Schmidts Umgang mit diesen beiden "Spitzen der US-Entwicklung" muss in "Westwärts" nicht viel Neues beigebracht wird, doch zumindest gilt es, den bisherigen Forschungsstand kurz zu referieren, ist doch Schmidts Beschäftigung mit Poe und Cooper Sprungbrett und Rahmen für alles, was er von anderen amerikanischen Autoren rezipiert und zu ihrem Werk geäußert hat. Wenn Schmidt viele Amerikaner für sich nur entdeckte, weil sie mit Poe oder Cooper (oder beiden) in Zusammenhang stehen, so gilt das auf besondere, freilich auch eher kuriose Weise für die Entdeckungsreisenden und Tagebuchschreiber Lewis & Clark; Schmidts Entdeckung dieser "großen Reisenden" wird deswegen ausführlich vorgestellt.

Zu den amerikanischen Autoren des 19. Jahrhunderts, die direkt nur wenig mit Poe und Cooper zu tun haben, gehören Henry David Thoreau und Mark Twain. Wie genau Schmidt das Werk beider gekannt hat, ist weitgehend ungeklärt, doch lohnt die Beschäftigung mit beiden aus Schmidt'scher Sicht allemal, wie die entsprechenden Aufsätze des hier angezeigten Bandes demonstrieren. Hinter Schmidts Rezeption amerikanischer Literatur des 19. Jahrhunderts bleibt die derjenigen des 20. Jahrhunderts etwas zurück, doch hatte Schmidt auch unter den Autoren seiner eigenen Lebenszeit einen Liebling, und das war Thorne Smith. Seine große Begeisterung für Smith in den Nachkriegsjahren und die Folgen dieser Begeisterung für Schmidts zweites Buch "Brand's Haide" werden in "Westwärts" ebenso nachgezeichnet wie die zweite Stufe von Schmidts Smith-Rezeption, die sich anfangs der 60er-Jahre vollzog und in den Joyce-Aufsätzen sowie der Erzählung "Caliban über Setebos" ihre Spuren hinterlassen hat.

Schmidt gewann sein Bild von der zeitgenössischen amerikanischen Literatur über etliche Jahre aus dem Programm des Rowohlt-Verlags, das er als Verlagsautor in weiten Teilen kostenlos zugeschickt bekam. Zum Dank ließ er in seinen Büchern abkanzelnde Bemerkungen über Hemingway, Faulkner und Kollegen fallen; behalten hat er nicht die Bücher der modernen amerikanischen Klassiker, sondern den humoristischen Seichtroman einer gewissen Betty Mac Donald und die witzig-satirischen Texte eines weiteren Lieblings, nämlich von James Thurber - warum das für Schmidt schon die Besten von Rowohlts amerikanischer Autorenliste waren, fragt in "Westwärts" ein gesonderter Beitrag. Schließlich beschäftigt sich ein weiterer Beitrag mit einem Stück 'amerikanischer' Literatur, das Schmidt selbst geschaffen hat, nämlich dem amerikanisierten Nibelungenlied in "Kaff auch Mare Crisium" - Schmidt hat es aus einer ganzen Reihe unterschiedlichster Quellen collagiert, die allerdings in der großen Mehrzahl nicht der amerikanischen, sondern britischer Literatur und Kultur entstammen. Wenn es hart auf hart kam, scheint Schmidt zwischen unterschiedlichen Nationalliteraturen also keinen großen Unterschied gemacht und alles Englischsprachige in einen großen Selbstbedienungstopf geworfen zu haben.

Außer den bereits aufgeführten Autoren gibt es noch rund hundert weitere, die Schmidt rezipiert hat oder auf die er sich (oft nur punktuell) in seinem Werk bezieht; ein umfangreiches kommentiertes Register all dieser Autoren und der Schmidt'schen Bezugnahmen steht am Schluss von "Westwärts". Die Durchsicht dieses Registers zeigt auch, daß Amerika für Schmidt (zumindest in literarischer Hinsicht) gleichbedeutend mit Nordamerika war, eigentlich sogar mit den Vereinigten Staaten, denn selbst kanadische Autoren sucht man bei Schmidt vergebens. Amerika war für ihn ein Raum, in dem sich utopische Sehnsüchte und nationale Klischees überlappten - ein Raum mit viel Platz und wenig Menschen, der sich deswegen aus der eigenen Phantasie bevölkern ließ (auch dies, wenn man so will, ein kolonialer Akt); ein Raum der Weite mit leeren Prärien, wo sich Freiheitsdrang wie Naivität fast grenzenlos ausbreiten konnte, und mit riesigen Wäldern, in denen man das Holz fand, um Hütten zum Sesshaftwerden und Kanus zum Weiterziehen zu bauen. Ein solches Amerika überblendet Schmidt in seinen Texten mit norddeutschen Landschaften - und ohne eine systematische Sichtung der Spuren, die die amerikanische Literatur in diesen sehr deutschen Texten hinterlassen hat, bleibt unser Bild der Schmidt'schen Welt immer unvollständig.

F.R.

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Titelbild

Friedhelm Rathjen: Westwärts. Arno Schmidt und die amerikanische Literatur.
Edition ReJOYCE, Scheeßel 2007.
268 Seiten, 34,00 EUR.
ISBN-13: 9783000212529

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