Sind Frauen Menschen?

Magdalena Drexl analysiert die "Querelle des Femmes" im Kontext konfessioneller Konflikte

Von Pauline PuppelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Pauline Puppel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Frage, ob Frauen überhaupt Menschen oder vielleicht sogar bessere Menschen oder immer noch benachteiligte Menschen sind, wird nicht nur zu Beginn des 21. Jahrhunderts diskutiert. Schon 1399 kritisierte die Schriftstellerin Christine de Pizan (1365 - 1430) die Misogynie der Männer im Umfeld des französischen Hofes. Schnell fanden sich Anhänger und Gegner ihrer Schriften und es entbrannte eine heftige Kontroverse, deren Ausgang bis heute offen ist. Der Höhepunkt des in ganz Europa in den unterschiedlichsten Textsorten und Disziplinen ausgetragenen Streits um die Frauen lag zwischen 1500 und 1700. War denn - so fragt die Bochumer Historikerin Magdalena Drexl - im Zeitalter des Patriarchalismus Männlichkeit keine triumphierend selbstverständliche Kategorie, sondern etwas so Fragiles und Bedrohtes, dass sie beständig auf Kosten der Frauen bestätigt werden musste?

Während die zumeist von Männern in lateinischer Sprache verfassten Querelle des Femmes'-Schriften in Frankreich, Italien, England und Schottland als gut erforscht gelten kann, richtet Drexl ihr Augenmerk auf das Heilige Römische Reich deutscher Nation. Da theologische und geistesgeschichtliche Traditionen bereits recht umfassend untersucht sind, nimmt die Verfasserin im ersten Teil ihrer Untersuchung eine historische Kontextualisierung vor und fragt nach den Entstehungsorten, nach den möglichen Gebrauchsweisen der "Querelle"-Schriften sowie vor allem nach den unterschiedlichen Funktionen. Die Autoren stehen daher im Mittelpunkt ihrer Analyse. Die Auseinandersetzung über die Herrschaftsbefähigung und -ausübung reichsständischer Fürstinnen war ein dezidiert öffentlicher politischer Diskurs, an dem insbesondere Hofprediger teilnahmen. Diese Theologen hatten wegen des engen persönlichen Verhältnisses zur fürstlichen Familie nicht nur bedeutende geistliche Positionen, sondern auch hohe politische Stellungen inne. Insbesondere, wenn Fürst und Fürstin unterschiedlichen Konfessionen angehörten, war ihre Rolle von Bedeutung. Drexl untersucht, welche Schriften den Fürstinnen gewidmet wurden, und welche Intentionen mit der Dedikation verknüpft gewesen sein könnten. Um die Absichten eines Autors herauszuarbeiten, bezieht die Verfasserin sein gesamtes schriftstellerisches Œuvre sowie die in seinem Umkreis entstandenen Werke in ihre Untersuchung ein. Sie hebt daher die Relevanz von Netzwerken hervor und fordert bei der Erforschung von Höfen, das Frauenzimmer und den Beraterstab der Fürstinnen stärker zu berücksichtigen. Auch die Beziehungen eines Autors zu anderen humanistischen und theologischen Gelehrten ebenso wie zu den anderen höfischen Funktionsträgern sind für eine angemessene Interpretation nicht unerheblich.

Im zweiten Teil ihrer Untersuchung nimmt Drexl den politischen Raum, in dem die Schriften entstanden, in den Blick: die Dynastie der Kurfürsten von Brandenburg mit den um 1600 virulenten Erbschafts- und Konfessionsstreitigkeiten. Da die Gelehrten von fürstlicher Patronage abhängig waren, analysiert die Verfasserin auf der Grundlage von Korrespondenzen die Handlungsspielräume und Aufgabenbereiche von Fürstinnen, denen die Verteidigungsschriften gewidmet wurden. Bedeutsam dabei ist, wie eine Fürstin selbst ihre Position bei Hof einschätzte und welche Argumente sie nutzte. Drexl fragt nach den politischen und konfessionellen Standpunkten der Fürstinnen, zumal es im 16. und 17. Jahrhundert keine Seltenheit war, dass innerhalb desselben Herrscherhauses, ja in einer Ehe unterschiedliche Konfessionen vertreten waren. Im Mittelpunkt steht Herzogin Anna von Preußen (1576-1625), die 1594 den späteren Kurfürst Johann Sigismund von Brandenburg heiratete. Als Herzog Johann Wilhelm von Jülich-Kleve 1609 starb, trat Anna unter Anrufung göttlicher Autorität als Erbin der Vereinigten Herzogtümer eigenständig für ihre Ansprüche ein, so dass erstmals Gebiete im Rheinland und in Westfalen an Kur-Brandenburg fielen. Die Kurfürstin wurde wegen ihres aktiven politischen Handelns, ihrer eigenständigen Position angegriffen. Nachdem Annas Gemahl 1613 zum reformierten Glauben übergetreten war, bildete sie eine bedeutende Integrationsfigur sowohl für die lutherischen, als auch für die preußischen Belange - und dessen war nicht nur Anna sich durchaus bewusst, sondern auch ihre Gegenspieler wie Landgraf Moritz von Hessen-Kassel, der dem böhmischen Kammerpräsidenten schrieb: "Wenn doch Gott diese Fürstin hinwegnähme, dass wir dem Herrn eine andere Gemahlin geben könnten." Die Stellung der Kurfürstin war insbesondere gefährdet, als ihr Sohn Statthalter der rheinischen Gebiete wurde. In der anonymen Schrift "Der Frantzösische Cato" wurde sie mit der französischen Regentin Maria von Medici verglichen. Im Vorwurf des Gattenmordes, dessen die italienische Prinzessin auf dem Thron der Valois bezichtigt wurde, liegt die Brisanz des Vergleichs. Anna verteidigte sich in einem Brief an Georg Wilhelm, um ihre mütterliche Liebe zu beteuern und ihn konkret um die Wiederherstellung ihrer Ehre zu bitten. Anhand der Korrespondenzen kann Drexl schlüssig nachweisen, dass Anna von Brandenburg-Preußen geschickt die Argumente der "Querelle" nutzte. Die Kurfürstin bewegte sich innerhalb des normativen Rahmens und stilisierte sich nicht nur als fürsorgliche Mutter, sondern darüber hinaus als gute Ehefrau, die sich jedoch in der Glaubensfrage nicht dem Ehemann unterwarf, sondern die Heilige Schrift als oberste Autorität anerkannte. Annas Briefe zeugen davon, wie sie sich innerhalb der Rollen bewegte, die die 'Ordnung der Geschlechter' für sie als Ehefrau und als Mutter, aber auch als regierende Kurfürstin vorsah, sowie wie sie ihren Handlungsspielraum nutze, an seine Grenzen ging und ihre Positionen gegen die Anfechtungen von Seiten ihrer Gegner vertrat.

Detailliert rekonstruiert Drexl die sozialen, konfessionellen und politischen Kontexte, in denen die vorgestellten "Querelle"-Texte entstanden, und betont, dass neben der "richtigen Ordnung" der Geschlechter andere Themen angesprochen wurden. Indem die Verfasserin die Mehrschichtigkeit der "Querelle"-Schriften aufdeckt, zeigt sie auf, dass der 'Streit um die Frauen' genutzt wurde, um theologische und politische Meinungen zu thematisieren. Durch Drexls gelungene Verknüpfung konfessioneller und politischer Diskurse mit dem Geschlechterdiskurs kann die traditionelle Politik- und Konfessionsgeschichte angemessener erarbeitet werden. Diese sehr gut lesbare Studie öffnet der Forschung darüber hinaus weitere Felder: Es ist nach wie vor zu wenig untersucht, ob Frauen eigenständig als Autorinnen "Querelle"-Texte veröffentlichten. Aber auch die bereits bekannten Veröffentlichungen von Frauen sollten unter dem Aspekt interpretiert werden, ob, wie und wann sich die Autorin der Argumente des Diskurses bediente. Insbesondere regt Drexl den europäischen Vergleich an, der für die angemessene Lesart der "Querelle des Femmes" wichtige Erkenntnisse liefern dürfte. Auch könnten die Netzwerke der Gelehrten, ihre gegenseitige Beeinflussung sowie die höfischen und universitären Klientelsysteme besser erfasst werden. Nicht zuletzt aber bilden umfassende Untersuchungen der politischen Tätigkeit von Fürstinnen ein großes Forschungsdesiderat.


Titelbild

Magdalena Drexl: Weiberfeinde - Weiberfreunde? Die Querelle des femmes im Kontext konfessioneller Konflikte um 1600.
Campus Verlag, Frankfurt a. M. 2006.
442 Seiten, 45,00 EUR.
ISBN-10: 3593380013

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch