Konjunkturen des Körpers

Gudrun Piller verfolgt Spuren der Leiblichkeit in historischen Selbstzeugnissen

Von Kerstin R. WolffRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kerstin R. Wolff

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Körper ist wieder in! Diese scheinbar merkwürdige Aussage provoziert natürlich auch gleich die Gegenfrage: War er denn mal out? So einfach sich diese Aussagen aufschreiben lassen, so schwierig ist es, die verschiedenen Phasen der (historischen) Erforschung des Körpers zu reflektieren. Musste zu Beginn der Forschungen erst einmal ein Bewusstsein für die Historizität des Körpers - beziehungsweise des Sprechens und Wahrnehmen des (eigenen) Körpers - entwickelt werden, um diesen als Untersuchungsgegenstand der Geschichte überhaupt wahrnehmen zu können, so ist heute - nach einer Flaute durch die Butler'sche Dekonstruktion des Körpers - das Interesse an Körpergeschichte wieder sehr groß.

Und die neueren Arbeiten, die sich im Bereich der Körpergeschichte ansiedeln lassen, zeigen auch, dass es sich lohnt, dieses Feld immer wieder neu zu beackern. In ihrer Dissertation "Private Körper. Spuren des Leibes in Selbstzeugnissen des 18. Jahrhunderts" hat sich Gudrun Piller körpergeschichtlichen Fragen zugewandt und diese anhand von bürgerlichen Selbstzeugnissen des 18. Jahrhunderts verfolgt. Piller, heute Vizedirektorin des Historischen Museums in Basel, hat für ihre Arbeit rund 50 unedierte, handschriftliche Texte ausgewertet, bei denen es sich sowohl um Autobiografien, längere Lebensläufe, als auch um Tagebücher oder Haus- und Familienbücher handelt. Mit dieser breiten Definition von Selbstzeugnissen schafft sie die Möglichkeit, ein breites Spektrum an historischen Quellen in ihre Untersuchung mit einzubeziehen und so recht verschiedenartige Menschen in unterschiedlichen Situationen ihres Lebens zu Wort kommen zu lassen. Auf diese Weise ist eine Körpergeschichte vor allem des männlichen bürgerlichen Körpers des 18. Jahrhunderts entstanden, denn 40 der 48 Selbstzeugnisse wurden von Männern verfasst.

Gegliedert hat die Autorin ihre Arbeit in fünf thematische Blöcke, die jeweils für sich recht abgeschlossen sind. Im ersten Kapitel kreist die Untersuchung um die Frage, "wie Autoren von Selbstzeugnissen generell die körperliche Konstitution oder Körperereignisse in ihren autobiographischen Konstruktionen einsetzen", also: Wann und warum jemand in einem Selbstzeugnis über seinen Körper schreibt. Die Autorin nimmt pro Kapitel einige Texte näher unter die Lupe, hier sind es die Autobiografien des politisch bedeutenden Hans Caspar Hirzel (1746-1827) und des Züricher Bürgermeisters Johann Caspar Escher (1678-1762). Es macht großen Spaß, den Originalzitaten zu folgen und den beiden Männern bei ihrer Konstruktion der eigenen Leiblichkeit 'zuzusehen'. Da für die Autorin - und dies zu Recht - das Schreiben über den eigenen Körper in die gesellschaftlichen Vorstellungen über den Körper eingebunden ist, werden diese in die Quellenanalyse einbezogen und betten scheinbar individuelle Vorstellungen und Aussagen in den Gesamtkontext ein.

Der zweite inhaltliche Block berührt Körperkonzepte in Ehebeziehungen, wobei hier - nachvollziehbar - als Grundlagentexte der Bericht einer Frau (Sabine Schlatter geb. Gonzenbach (1774-1818) und der eines Mannes (Johann Konrad Nabholz (geb. 1743) stehen. Damit in Verbindung stehend folgt das dritte Kapitel der Körperwahrnehmung bei Geburt und Elternschaft. Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit der bürgerlichen Erziehung zum Körper und das fünfte Kapitel wendet sich der Körperwahrnehmung bei Krankheiten zu.

So spannend die Originalzitate in den Text eingebaut wurden, so unbefriedigend bleiben gelegentlich die Schlussfolgerungen, die die Autorin zieht. Ist bei den Körperinszenierungen in männlichen Autobiografien tatsächlich nur zu berichten, dass "[A]uch für die männliche Subjektivität [...] Leiblichkeit ein konstituierender Bestandteil" ist? Ist es wirklich ein neues Untersuchungsergebnis, dass nicht nur Frauen einen Körper besitzen, sondern auch Männer?

Die Dissertation von Gudrun Piller ist daher nicht so sehr eine Arbeit, die mit neuen Erkenntnissen aufwarten kann, als vielmehr eine Buch, welches sehr detailliert und quellengesättigt eine Welt auferstehen lässt, die sich - aufgrund ihrer Sprache - nicht immer leicht in unsere Deutungen ,übersetzen' lässt. Diese Hürde hat die Autorin aber recht gut genommen. Sie hat es geschafft, eine lesenswerte ,Übersetzung' zu verfassen, die die Körperkonstruktionen von Männern und Frauen des 18. Jahrhunderts begreiflicher macht.

Die Arbeit von Gudrun Piller ist aber auch sehr gut geeignet, die Quellengattung Selbstzeugnisse, die Grenzen und Chancen ihrer Analyse aufzuzeigen. Denn die Vielgestaltigkeit dieser Quellengattung ist in der Dissertation von Piller sehr nachvollziehbar beschrieben worden: "Der Versuch, die Vielfalt und Disparatheit nicht als Problem zu behandeln, sondern über Quellenauswahl und Analysemethode fruchtbar zu machen, war eine Herausforderung, welche die gesamte Arbeit begleitete." Die Autorin hat sich ihr mit Erfolg gestellt.


Titelbild

Gudrun Piller: Private Körper. Spuren des Leibes in Selbstzeugnissen des 18. Jahrhunderts.
Böhlau Verlag, Köln 2006.
352 Seiten, 44,90 EUR.
ISBN-10: 3412058068

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