Geschichten einer Ausstellung

Thomas Meineckes literarischer Sampler "Feldforschung" als Expedition in die Welt der Geschlechterdiskurse

Von Norman RinkenbergerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Norman Rinkenberger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die in dem Band "Feldforschung" versammelten elf Erzählungen sind als narrativer Beitrag zu der Kölner Ausstellung "Das achte Feld - Geschlechter, Leben und Begehren in der bildenden Kunst seit 1960" entstanden, die sich Fragen der Konstruktion von Identität und Geschlecht beziehungsweise Sexualität in der Kunst widmen. Der Popliterat und Musiker Thomas Meinecke versammelt dazu Gerüchte und Zeitungsmeldungen aus der Welt von US-Stars, die er kreativ verarbeitet - wobei es stets um den Zusammenhang von geschlechtlicher Konstruktion und deren Niederschlag im Pop geht.

Jede Erzählung behandelt prekäre und besondere Momente in der Geschichte der sexuellen Kulturen, analog zum 'achten Feld' eines Schachbretts, auf dem sich der Bauer, der es bis dahin geschafft hat, in die zuvor verlorene Dame verwandeln kann. Die wenig wirkungsvolle Männerfigur wird so zur schlagkräftigsten Frauenfigur des Schachspiels, eine passende Metapher für die behandelte Thematik: Grenzgebiete sexueller Zuschreibungen und Rollenwechsel jenseits des (heterosexuellen) Mainstreams: Trans-Gender sowie Inter-, Homo- und Transsexualität. Dies bildet die Rahmung der ansonsten zusammenhangslosen Kurzgeschichten. Uns begegnen des Weiteren keine einheitlichen Charaktere - dies würde auch der dekonstruktivistischen Anlage widersprechen - sondern 'Maskenköpfe', Figuren, die allerdings überbordet und voll von Theorien, doch seltsam leer und starr wirken; sie scheinen einzig die Funktion zu erfüllen, Meineckes Strom von Erkenntnissen, Anekdoten und Assoziationen zu kanalisieren.

Die erste Erzählung widmet sich der 'Queen of Sex' Mae West, die Mitte der 20er-Jahre ein Schwulen-Bühnenstück mit dem Titel "Sex" inszenierte, das ihr wegen "Obszönität auf dem Theater" einen Gefängnisaufenthalt einbrachte. Weitere Geschichten - zum Teil mit längeren Passagen in englischer Sprache - behandeln etwa die Hochzeit zwischen Robert Mapplethorpe und Patti Smith und die Stonewall Riots, eine Serie von gewalttätigen Konflikten zwischen Homosexuellen und Polizeibeamten in New York, den ersten AIDS-Toten et cetera.

Als eine Art Collage, die die Erosion vermeintlich gesicherter Geschlechteridentitäten sowie deren Spiegelung in der Kunst thematisiert, vermag der Band zwar durchaus die Dekonstruktion von (jeglicher) Identität vorzuführen, und zwar in einer dem musikalischen Experimentieren ähnlichen sampling-artigen Schreibtechnik. So entwickelt sich ein beabsichtigtes und selbstreflexives Spiel mit historischen Fakten und schriftstellerischer Freiheit. Was ist Erzählung, was ist Dokumentation und wo beginnt die meineckesche Fantasie?

Doch letztlich bleibt es bei einer diffusen Materialsammlung mit wechselnden, sprunghaften Bezügen. Meineckes Geschichten wirken dabei überaus statisch und konstruiert, die Personen wie Puppen an verknoteten Fäden, die hauptsächlich dazu da zu sein scheinen, seine Thesen zur Popkultur auf den postmodernen Kunst(Platten)Teller zu legen. Und ist es wirklich von (literarischem) Interesse, ob Richard Gere und Cindy Crawford tatsächlich heterosexuell sind?


Titelbild

Thomas Meinecke: Feldforschung. Erzählungen.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2007.
143 Seiten, 8,50 EUR.
ISBN-13: 9783518124741

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