Mehrere Leben

Ilija Trojanow erzählt in einem Buch, wie er das Buch über Richard Burton schrieb

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Schon die Geschichte dieses Buches ist ein kleines Abenteuer. Sieben Jahre lang hat Ilija Trojanow für ein Buch über Richard Burton recherchiert. Richard Burton, nicht der Schauspieler und dreifache Gatte von Elizabeth Taylor, sondern der Weltreisende, der Kolonialoffizier im Dienst der Krone, Diplomat, Übersetzer, Anthropologe, Geograf und Geheimagent. Burton war eine schillernde Persönlichkeit, bewundert, angefeindet, verkannt. 1821 wurde er in England geboren, 1890 starb er in Triest. Was er dazwischen erlebte und schrieb, das reicht eigentlich für mehrere Leben, für mehrere Menschen.

Mehr als dreißig Sprachen soll er gesprochen haben, die europäischen Verkehrssprachen, aber auch einige indische Sprachen, lokale Dialekte, Persisch, Arabisch, Kisuaheli. Über sechzig Bücher hat er geschrieben, vier Kontinente bereist. Übersetzer war er und Forschungsreisender in Afrika. Und obwohl er, in seiner Zeit befangen, auch ein Rassist war und ein Viktorianer, hat er die Leistungen der Araber und Inder hoch geschätzt und einige ihrer Bücher übersetzt, unter anderem das nicht ganz jugendfreie "Märchen aus 1001 Nacht". Als erster Europäer drang er in das Innere Ostafrikas vor, als er die Quellen des Nils suchte, Mekka besuchte er und ging in seinen Verkleidungen fast überall als Einheimischer durch, sei es Araber oder Kaschmiri.

Auch was Ilija Trojanow erlebt hat, reicht für einige Leben: 1965 wurde er in Sofia geboren, floh 1971 mit seiner Familie über Jugoslawien und Italien nach Deutschland, lebte mehrere Jahre in Kenia, ging in Nairobi und Deutschland zur Schule und zur Universität, zog nach Bombay und Südafrika. Auch er spricht mehrere Sprachen, wagt sich zu Fuß in Länder, die man sonst nur als sicherer Tourist, begleitet, geführt und beschützt, bereist und hat eine Hochachtung vor der Kultur fremder Menschen. 2006 erschien sein Buch "Der Weltensammler", ein aus mehreren Perspektiven geschriebener Roman über Burton, in der die normale Sicht auf den berühmten Mann konterkariert wird durch Berichte seiner Diener und einer Untersuchungskommission, wo dann doch alles ein wenig anders aussieht. Aber was ist die Wahrheit?

Die Wahrheit ist, dass nicht nur "Der Weltensammler" ein wunderbares Buch ist, sondern auch der Vorläufernachfolgeband "Nomade auf vier Kontinenten", in dem Trojanow von der Suche nach Burton, von der allmählichen Zusammenfassung seiner Erkenntnisse über ihn erzählt. Mit allem, womit sich Burton befasst, beschäftigt sich auch Trojanow: Kartografie, indische Tempelprostituierte, heilige Tänzerinnen, Opium, Malaria, Hexerei, afrikanische Sklaven in Indien. Viele sinnliche Details regen ihn an, machen ihn den Mann zu einem persönlichen Erlebnis: gestrandete Quallen, der Geruch reifer Papayas, die Reise auf dem Kamelrücken durch die Thar-Wüste, die Rucksackwanderung durch Tansania, immer auf den Spuren von Richard Burtons Fahrten und der Expeditionsroute 1856 bis 1859.

Aber "Nomade auf vier Kontinenten" ist kein trockener Bericht. Es ist ein prallvoller, sinnlicher Roman, auch er zusammengesetzt aus mehreren Perspektiven. Grün gesetzt sind Richard Burtons eigene Berichte in das Buch integriert, manchmal gehen die Sätze in schwarzen und grünen Buchstaben ineinander über. Ohne Trennung, ohne Übergang lesen wir Sätze von heute und von damals, und oft ist da kaum noch ein Unterschied. Die Erfahrungen sind für beide ähnlich, sinnlich, unmittelbar und doch gleichzeitig reflektiert und analysiert.

Wer schreibt das, Burton oder Trojanow: "Die Landschaft ist so monoton, wir beginnen sie zu hassen. Wir wissen nicht, wie wir Staub und Hitze entrinnen sollen. Die Öde dringt in uns ein"? Es ist gleich, denn es ist die gleiche Erfahrung von Wüste, Hitze und Durst, Einsamkeit und Trostlosigkeit. Oder die Erfahrung der Kaaba in Mekka: "Ich kann wirklich behaupten, dass unter den vielen Andächtigen, die sich weinend an den Vorhang schmiegen oder ihre pochenden Herzen an den Stein drückten, keiner in diesem Augenblick tiefere Gefühle empfand als der Hadschi aus dem fernen Norden", schreibt der eine, und der andere fährt fort: "Und ohne nachzudenken, ohne mich vorbereitet zu haben, kam in mir ein bestimmter, klarer Wunsch auf, und meine Augen füllten sich mit Tränen".

Viele Skurrilitäten erzählt das Buch. Wie Trojanow bei einem indischen Antiquar für 10.000 Dollar eine Erstausgabe der Burton-Übersetzung von "Tausendundeiner Nacht" angeboten bekommt und in die labyrinthischen Tiefen des Antiquariats und eines äußerst seltsamen Katalogs steigt, der wie aus einem Buch von Jorge Luis Borges entsprungen scheint. Oder wie Trojanow mit seinen Fußnoten den "Fußnotenfetischisten" Burton noch zu übertreffen versucht. Alles sehr augenzwinkernd, alles aber auch mit großem Ernst und Respekt und großer Raffinesse.

Denn Trojanow ist auch ein glänzender Stilist. Mit innerem Abstand und großer Emphase gleichzeitig erzählt er von seinen Reisen, begeistert und zweifelnd, und immer auf der Suche nach dem treffenden Wort, das die Schranken durchbricht.

Genaue Erklärungen, einfache Antworten gibt Trojanow keine. Nicht auf das Phänomen Burton, nicht auf das Phänomen der Sehnsucht, die Burtons und seine Bücher durchziehen. Aber er erzählt davon, und das so lebendig und traumhaft, so illusionslos und magisch, dass man sich dem Sog, der Drogenwirkung dieses Buches kaum entziehen kann.

Noch dazu ist es wunderschön ausgestattet, mit einem edlen Leinenband mit goldenem Stoffmuster und dem Monogramm von Richard Burton in Arabisch, mit einer schönen Schrift im Inneren des Buches, schönen Bildern, Kapitelüberschriften in Gold und einer der sprachlichen gestalterisch genau entsprechenden, feinziselierten, aber nie aufdringlichen Ornamentalität.


Titelbild

Ilija Trojanow: Nomade auf vier Kontinenten. Auf den Spuren von Sir Richard Francis Burton.
Eichborn Verlag, Frankfurt a. M. 2007.
437 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783821847566

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