Auf den Leib geschrieben

Beiträge zur diskursiven Verflechtung von "Antisemitismus und Geschlecht", herausgegeben von der A.G. Gender-Killer

Von Annika NickenigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Annika Nickenig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In literarischen Texten, die sich als Teil einer Literatur nach Auschwitz begreifen und die komplexen Prozesse von Gedächtnis und Nicht-Erinnern an die nationalsozialistische Judenvernichtung reflektieren, begegnet man bisweilen der Anspielung auf die Doppelbedeutung des Wortes Geschlecht, die zugleich konkret auf die deutsche Vergangenheit bezogen wird: so findet sich in Elfriede Jelineks Roman "Die Kinder der Toten" (1995) eine semantische Verknüpfung von körperlich-genitaler Geschlechtlichkeit einerseits und dem Verweis auf die Juden als 'Menschengeschlecht' andererseits, denen ihr Anderssein auf den Körper, auf das Geschlecht, "eingeschrieben" ist. Jelineks Text, der sich sowohl formal wie inhaltlich auf radikale Weise mit dem Genozid an den europäischen Juden und der Verdrängung dieses Verbrechens aus dem offiziellen Erinnerungsdiskurs befasst, führt die Bereiche der Sexualität und des eliminatorischen Antisemitismus zusammen, jedoch nicht ohne die einmal aufgerufene Parallele auch wieder als unzulässig herauszustellen und ästhetisch zu brechen.

Der herausragenden Bedeutung von Körperlichkeit und damit Geschlechtlichkeit für die Konstruktion antisemitischer Vorstellungen widmet sich der im Anschluss an eine Konferenz von der A.G. Gender-Killer veröffentlichte Band zum Thema "Antisemitismus und Geschlecht. Von 'effeminierten Juden', 'maskulinisierten Jüdinnen' und anderen Geschlechterbildern" aus theoretischer Perspektive.

Auch wenn antisemitische Stereotypen schon immer auch über äußere, etwa physiognomische Merkmale funktionierten, so ist die grundlegende Feststellung von der 'Verkörperlichung' der antisemitischen Ideologie zweifelsohne für den Zeitraum der nationalsozialistischen Herrschaft besonders virulent. Der jüdische Körper wird in der Propaganda des "Dritten Reiches" einmal mehr als Abweichung entworfen, als unmittelbares Gegenbild zum arischen Idealkörper. Der herausragende Körperkult, die Mechanismen der Disziplinierung und zugleich der Entsexualisierung der deutschen Männer und Frauen, erklärt die Wirksamkeit einer auf die leibliche Ebene bezogene Matrix von Norm und Abweichung: was in den Körper hineingelegt wird, kann anschließend wieder an ihm abgelesen werden. Entsprechend begegnet man in Darstellungen jener Zeit so widersprüchlichen Zuschreibungen wie dem Bild des jüdischen Mannes als schmächtig und entmännlicht, zugleich als lüstern, bedrohlich und kriminell, oder dem Bild der jüdischen Frau als femme fatale und bolschewistisches 'Flintenweib'.

Zentrales Merkmal des 'beweglichen Vorurteils' ist dabei die Uneindeutigkeit des jüdischen gegenüber der Eindeutigkeit des arischen Typus, vor allem in dem Verschwimmen der Geschlechtergrenzen: die Verweiblichung gilt als Kennzeichen für den jüdischen Mann, so wie die Maskulinisierung der jüdischen Frau zu ihrer Dämonisierung beiträgt. Gegenüber dem Ideal arischer Maskulinität als Klarheit der Form wird der jüdische Körper, und davon ausgehend der jüdische Charakter, zur Inkarnation des Zweifels und der bedrohlichen Vieldeutigkeit.

Die Tendenz, ausgehend von körperlichen Gegebenheiten Urteile über die moralische Verfassung eines Menschen abzuleiten, das heißt der Umschwung von der kulturellen zur biologischen Verankerung antisemitischer Vorurteile, muss über die Zeit des Nationalsozialismus hinausgehend aus einer historischen Perspektive betrachtet werden: dabei ist auch die zunehmende gesellschaftliche Integration europäischer Jüdinnen und Juden im 19. Jahrhundert von Bedeutung, welche dem in Deutschland zeitgleich erstarkenden Bestreben nationalistischer Einheit und Reinheit entgegenstand. Die wachsende Schwierigkeit, die 'Andersheit' der Juden an ihren Bräuchen und Handlungen abzulesen, die als bedrohlich wahrgenommene Unsichtbarkeit der Differenz, führte Klaus Hödl zufolge zu der Maßnahme, die kulturelle Differenz körperlich zu verankern und sie so greifbar zu machen. Im Kontext des neuausgeprägten Nationalismus sind die Geschlechterbilder auf eine Weise strukturiert, die Maskulinität und Militarismus zusammenführen und Juden mangelnde Wehrtauglichkeit bescheinigen, ihnen Schwächlichkeit und Effeminierung zuschreiben und davon ausgehend bis zu einer Hysterisierung und Pathologisierung des jüdischen Körpers führen.

Den meisten Aufsätzen ist dabei dankenswerter Weise nicht so sehr daran gelegen, Parallelen in den Ausgrenzungsmechanismen von Frauen und Juden herauszuarbeiten. Wenn einige der Konstruktionsweisen und -bedingungen stereotyper Bilder zur Kennzeichnung von Frauen und Juden als 'Andere' vergleichbar sein mögen, so reflektieren doch einige der Beiträge auch die Problematik allzu reduktionistischer Querverbindungen. So entwickelt sich eine Diskussion um die Frage, warum und auf welche Weise herrschende Geschlechtervorstellungen einen Bildfundus für rassistische Vorurteile liefern können.

Dabei wird, wie so oft in Verblendungszusammenhängen, das Stereotyp zum Zerrspiegel für die Projektionsmechanismen derer, die sie entwerfen: ausgehend von den Konstruktionen eines jüdischen Körpers als abweichend, uneindeutig und verschwommen, lassen sich Ängste und Bedürfnisse der Zeit, eine 'Krise des modernen Subjekts', ablesen. Aber auch diese Erkenntnis wird, etwa in dem Beitrag von Bini Adamczak, einer eingehenden Analyse unterzogen: die Autorin wirft die Frage auf, ob nicht in der Annahme, antisemitische Vorurteile seien allein die Produkte einer antisemitischen Phantasie und gänzlich abgekoppelt von jeglicher empirischer jüdischer Realität und Reaktionsmöglichkeit, die problematische Geste einer Objektivierung der Juden wiederholt wird, der Ausschluss aus dem betrachteten Handlungsspektrum und damit die erneute Auslöschung seines Daseins auf diskursiver Ebene auf's Neue vollzogen wird.

Einer ähnlichen Problematik versucht sich auch die Literatur 'nach' oder 'aufgrund von' Auschwitz immer wieder auszusetzen, in der Frage, wie die grauenvolle Vernichtung dargestellt werden kann, ohne die Mechanismen der Auslöschung in der Repräsentation zu wiederholen. Diese Diskussion ist umso dringlicher als, wie der Tagungsband "Antisemitismus und Geschlecht" darlegt, die Ästhetisierung ideologischer Bilder entscheidenden Anteil an ihrer Naturalisierung und Wirkung hat. Diese Normalisierungsprozesse müssen sowohl in der theoretischen Debatte wie auch in der jeweiligen Kunstproduktion selbst reflektiert werden, um nicht in die Fallen der eigenen Bilder und Diskurse zu geraten. Die vieldiskutierte 'Performativität' ideologischer Körperzuschreibungen hat eine sehr viel weitreichendere Dimension, wenn man bedenkt, dass es nicht allein darum ging, mit den konstruierten Körper-Bildern eine symbolische Macht auszuüben, sondern das erklärte Ziel der nationalsozialistischen Herrschaft ganz konkret die Vernichtung der auf diese Weise stigmatisierten Körper war.

Unter anderem durch die perspektivische Heterogenität der Einzelbeiträge versucht der Band, die Kluft zwischen theoretischer Auseinandersetzung und praktischer Dringlichkeit der Thematik gering zu halten. Das Diktum Adornos, dass Auschwitz dazu zwingt, dafür Sorge zu tragen, dass es sich niemals mehr wiederhole, ist den Aufsätzen vorangestellt und bestimmt damit die Ausrichtung des Buches als Anregung zur Diskussion, als kontroverse Auseinandersetzung mit den ideologischen Hintergründen, Bedingungen und Kontinuitäten kultureller Bilder und ihren Festschreibungen bis heute.


Kein Bild

A.G. Gender-Killer (Hg.): Antisemitismus und Geschlecht. Von "effeminierten Juden", "maskulinisierten Jüdinnen" und anderen Geschlechterbildern.
Unrast Verlag, Münster 2005.
281 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-10: 3897714396

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch