Helden der Landstraße

André Kubiczek auf Landpartie durch Süddeutschland: "Oben leuchten die Sterne", unten leuchtet nichts

Von Stefan MeschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Mesch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

2002 veröffentlichte André Kubiczek einen grundsympathischen Jugendroman über die Bohème der DDR: "Junge Talente". Schon 2003 folgte die Polit-Groteske "Die Guten und die Bösen". Zwei flotte und breitbeinige Bücher; latent ostalgisch und ein wenig überspitzt, gutgelaunte Hauptstadtprosa eben. Allerdings - und deshalb lohnt es sehr, Kubiczek im Auge zu behalten - immer zweidrei Nummern politischer, historisch reflektierter als Thomas Brussig oder Else Buschheuer, als Jana Hensel oder Claudia Rusch. Kubiczek, geboren 1969 in Potsdam, hantiert mit Ensembles, so breitgefächert wie bei Dostojewski. Er knüpft Wandteppiche aus Politneurosen und Zeitgeistmalaisen, und dann donnert und klopft er so fest dagegen, dass aller Staub verfliegt. Zwischendurch gibt's auch mal ein Kapitel aus Sicht eines sexuell missbrauchten Wellensittichs. Prima. Eine pralle, bunte, laute, tolle Sache, die sich viel Zeit für Unfug nimmt. Und dabei das Selbstbewusstsein mitbringt, über lange Passagen hinweg auch mal nicht prall und bunt und laut zu sein.

"Prekariat" ist wichtigste Wort aus jener Stichwortsammlung, aus der sich Kubiczeks aktuelles Buch entwickelt zu haben scheint: "Oben leuchten die Sterne" ist ein Roadroman mit Stasidrama untendran, durchsiebt von Flashbacks aus der Nachkriegszeit. Die Helden sind Mitte 30, heißen Bender und Rock, haben so ein bisschen studiert und kommen beruflich kaum vom Fleck. Jetzt fahren sie weg, Richtung Süden. Die Mitte allerdings, das Herz, der springende Punkt des Romans, ist nicht so recht zu benennen: "Oben leuchten die Sterne" franst aus, in alle denkbaren Richtungen.

Immer, wenn sich ein Buch zu viel vorgenommen hat, floskelt man hilflos von "mutigen Querverbindungen", die das Rechts und das Links, das Oben und das Unten, das Heute und das Gestern "virtuos verknüpfen". Und dann zählt man alle Begriffe auf, die auf Kubiczeks Reißbrett gestanden haben mögen: "Riot Girls" und "Generation Praktikum", "Landnahme" und "Provinz-Skins", "Geschlechteridentitäten in südbadischen Agrarbetrieben", "Überwachungsstaat", "Entnazifizierung", "Erdbeben" und "Suchdienste für Kriegsgefangene", "Antikommunismus" und (ach nö, schon wieder?) "elitäre neokonservative humanistische Terroristen-Geheimbünde". In einer "Simpsons"-Episode von 1997 führte Homer seinen Sohn versehentlich in ein Stahlwerk, dessen Belegschaft nach Schichtende in knappen Höschen zu Discohymnen um die Schmelztiegel hottete. Auch diese Szene hat Kubiczek verheizt (aber warum nur?). Seine Gay Steel Mill steht im Harz.

In hohem Tempo, aber mit vielen Umwegen und Sackgassen klappert "Oben leuchten die Sterne" also von Berlin in den Schwarzwald, vom Kriegsende in die Gegenwart. Und ist dabei so dusslig und krude komponiert, dass kaum eine Pointe aufgeht: Bender und Rock erleben ein paar zusammenhanglose Beinahe-Katastrophen, der Autor switcht manisch-panisch durch die Zeitebenen, und nichts von Belang geschieht. Damit hat sich Kubiczek keine sehr große Tulpe verdient; allenfalls ein kleines Fleißsternchen, für seine waghalsige Themenketten. Und - wenigstens das - ein entschieden größeres Sternchen für seine funkelnd-soziologische Sammelwut. Schöne und lehrreiche Stunden mit Google und Wikipedia sind garantiert: Aus "Oben leuchten die Sterne" lassen sich unzählige Links zu allerlei obskuren dunklen gesamtdeutschen Stunden fischen.

Reicht das? Unbedingt! Auch im dritten Anlauf (Fehlstart?) hat André Kubiczek noch kein Buch vorzuweisen, das man ohne Einschränkung empfehlen kann. Der Plot ist total zerfahren. Aber verflucht ambitioniert - und es wird immer besser! Einem Romancier kurz vor dem 40. Lebensjahr "interessante Ansätze" zu bescheinigen, sein komplettes Werk als Vorbote und Baustelle zu lesen, das ist arschig pädagogisch. Das geht eigentlich nicht. Aber anders - also richtig begeistert und empathisch - geht es genauso wenig.

Kubiczek gehört zu einer spannenden Zwischengeneration aus Mit- und Enddreißigern, die um die Jahrtausendwende mit ersten poppigen Erzähltexten debütierte: Der Literaturinstituts-Absolvent Tobias Hülswitt (geboren 1973), der Journalist Moritz von Uslar (1970), vielleicht auch Selim Özdogan (1971). Seit kurzem nehmen diese Schreiber mächtig Fahrt auf: Ihre Texte werden komplizierter, weiträumiger und interessanter. Weg vom bräsigen Tresenlesen, raus aus der pointierten Privatwelt, rein in die großen, verwirrend großen Erzählräume. Swimming at the deep end of the Pool. Wenn sie's vergeigen, dann tut's gleich doppelt so weh - auch, weil überall eine nervige neue Sehnsucht nach dem Spirituellen durchschimmert und immer gleich alles komplett reflektiert und transzendiert werden muss in diesen neuen Texten. Aber vielleicht muss man so schreiben, mit Ende 30. Wenn's nochmal richtig um die Wurst geht.

Die poetologischen Renovierungsarbeiten sind noch nicht abgeschlossen, die Souveränität ausgewachsener Romanciers fehlt Kubiczek noch. Trotzdem super! Denn mit dem nächsten, spätestens übernächsten Roman haut er uns alle weg. Wer ihn beim Training beobachtet, der ahnt ihn schon jetzt, den ganz, ganz großen Schlag - und freut sich doppelt drauf! Rabimmel rabammel rabumm, fidibum.


Titelbild

André Kubiczek: Oben leuchten die Sterne. Roman.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2006.
301 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 387134527X

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